EZB-Rat: Zinsen nicht von einzelnen Daten abhängig machen - Protokoll
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Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones) - Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat bei seinen Beratungen am 17. und 18. Juli beschlossen, unvoreingenommen in die im September anstehende Sitzung zu gehen. In dem jetzt veröffentlichten Sitzungsprotokoll heißt es: "Diese Sitzung sollte unvoreingenommen angegangen werden, was auch bedeutet, dass Datenabhängigkeit nicht gleichbedeutend mit einer übermäßigen Konzentration auf spezifische, einzelne Datenpunkte ist."
Der Rat hatte am 18. Juli wie erwartet beschlossen, die Leitzinsen und die Pläne für die Verkleinerung der Anleihebestände unverändert zu lassen. Ob er seine Zinsen im September senken würde, ließ er offen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde verwies in ihrer Pressekonferenz auf die im August und September anstehenden Daten zu Löhnen, Gewinnen und Produktivität, die es abzuwarten gelte.
Im Vorfeld der Juli-Sitzung hatte es unerwartet schwache Wachstums- und unerwünscht hohe Inflationszahlen gegeben. "Die jüngsten Daten zeigten, dass die Inflation hartnäckiger war als zuvor angenommen, während die Konjunkturindikatoren nach unten enttäuschten. Es wurde argumentiert, dass die kurzfristigen Aussichten damit etwas 'stagflationärer' geworden seien. Gleichzeitig wurde gesagt, dass die schwächere Konjunktur die Inflation im Laufe der Zeit dämpfen dürfte", heißt es dazu im Protokoll.
Der Rat bekräftigte seine Absicht, die Zinsen weiterhin an drei Kriterien auszurichten - dem Inflationsausblick, dem unterliegenden Inflationsdruck und der Transmission der Geldpolitik. Mit Blick auf diese Kriterien wurde folgende Einschätzung gegeben:
1. Inflationsausblick grob unverändert
"Die neuesten Informationen und in die Zukunft gerichteten Indikatoren haben die bisherige Einschätzung des EZB-Rats zu den mittelfristigen Inflationsaussichten im Allgemeinen bestätigt. Die jüngsten Entwicklungen und die neuesten Daten stimmten nach wie vor weitgehend mit den von Experten erstellten Projektionen vom Juni überein." Das bedeutet: Es kann weiterhin ein Inflationsrückgang auf 2 Prozent bis 2025 erwartet werden. Zwei Wochen später wurde allerdings bekannt, dass die Inflation im Juli auf 2,6 (Juni: 2,5) Prozent gestiegen ist. August-Daten werden am Freitag nächster Woche veröffentlicht.
2. Unterliegende Inflation hartnäckig
"Die Signale der verschiedenen Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation waren uneinheitlich. Die inländische Inflation war nach wie vor hoch, lag am oberen Ende der Bandbreite dieser Messgrößen und schien stabiler als erwartet zu sein." Die Kerninflation blieb höher als erwartet und zeigte eine gewisse Hartnäckigkeit. "Angesichts der wiederholten positiven Überraschungen bei der Dienstleistungsinflation bestand weiterhin ein Aufwärtsrisiko", so das Protokoll.
Die Arbeitskostendynamik werde weiterhin ein zentrales Thema sein, wobei die Wechselwirkung zwischen Löhnen, Produktivität und Gewinnen für die Entwicklung der inländischen Inflation, die durch den BIP-Deflator erfasst wird, besonders wichtig sein dürfte. Wie erwartet seien die inflationären Auswirkungen des hohen Lohnwachstums durch die Gewinne abgefedert worden.
Die seither veröffentlichten Produktivitätszahlen - gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Erwerbstätigem - sind allerdings schwach gewesen. Allerdings ging das Wachstum der Arbeitskosten im zweiten Quartal deutlich zurück, und der Anstieg der Tariflöhne noch deutlicher.
3. Übertragung des geldpolitischen Signals
Der Rat will den Grad der geldpolitischen Restriktion im September neu bewerten. Für den Moment ging er davon aus, dass die geldpolitische Transmission den Erwartungen entsprechend verläuft. Die Geldpolitik halte die Finanzierungsbedingungen restriktiv, und die Übertragung früherer Leitzinserhöhungen bleibe stark. Die restriktiven Finanzierungsbedingungen erklärten zum Teil die schleppende Inlandsnachfrage und würden die Konjunktur in den kommenden Monaten weiter belasten.
Die nächste EZB-Zinsentscheidung steht am 12. September an. Bis dahin werden noch ausführliche BIP-Daten und Verbraucherpreise für August veröffentlicht.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
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