Kommentar
23:26 Uhr, 08.10.2010

Document Leak: Das denkt Chinas Regierung über die Welt

Wir alle haben eine Meinung über China, und auch darüber, was China über uns denkt. Meinung ja, belastbares Wissen eher nein. Wir können zwar Interviews und Stellungnahmen chinesischer Politiker lesen, doch werden wir dort auch nur das erfahren, was wir erfahren sollen. Ein internes Dokument, das jetzt im Internet aufgetaucht ist, könnte dies ändern.

Gonzalo Lira, Wirtschaftsanalyst aus den USA, behauptet auf seinem Blog ein internes Memorandum der chinesischen Regierung erhalten zu haben, das die Vorbereitungen Pekings auf den im November anberaumten G20-Wirtschaftsgipfel zeigt. Zwar zählen Blogs nicht zu den zuverlässigsten Quellen. Die Informationen aus dem Artikel sind aber durchaus schlüssig und geben interessante Einblicke.

Japan

Die chinesische Regierung sieht die japanische Verschuldungsproblematik „kurzfristig als vernachlässigbar“ an. Die Anstrengungen Japans, die Binnennachfrage zu stärken, werden insgesamt gelobt. Peking fürchtet jedoch, dass diese Maßnahmen zu früh zurückgenommen werden. Dies könnte die erst schwache Wirtschaftserholung abwürgen. Die Chinesen sorgen sich um die japanische Deflation und begrüßen die Maßnahmen – auch kreative – der Bank of Japan, den Yen vor einer weiteren Aufwertung zu schützen. Auch heißen die Chinesen weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Liquidität in der japanischen Wirtschaft willkommen.

Interessant ist, dass die Chinesen den japanischen Außenhandelsüberschuss als etwas Negatives ansehen. Sie wünschen sich, dass die Japaner es vermeiden, ihren Handelsbilanzüberschuss und Ungleichgewichte im Außenhandel zu „verschärfen“. Sie sehen die „verlorene Dekade“ in Japan als eine, die auch China befallen könnte. In dem Dokument werde deutlich, dass die Chinesen alles unternehmen würden, um ein zweites Japan, eine zweite „verlorene Dekade“ zu vermeiden. Diese Information wirft neues Licht darauf, dass Chinas Regierung sich nach wie vor weigert, ihre eigene Währung aufzuwerten, obwohl die USA ihren Druck auf China stetig erhöhen. „Es geht hier nicht nur um die Stimulierung der Exporte, es geht auch darum, eine Deflation im Renminbi zu vermeiden“, schreibt Gonzalo Lira auf seinem Blog.

Europa

Hinsichtlich der Europäischen Union wird deutlich, dass die Chinesen wegen der pragmatischen Herangehensweise bei der Lösung des Griechenland-Problems sehr nervös waren. Sie fordern eine Stärkung des Wachstums- und Stabilitätspaktes, um weitere „fiskalische Ungleichgewichte lösen und vermeiden“ zu können. Sie sehen den „dringenden Bedarf“, Mechanismen zu entwickeln, um zukünftige Krisen dieser Art vermeiden zu können, oder diese zumindest bekämpfen zu können, wenn sie denn eintreten.

Die internen Handelsbarrieren innerhalb der EU sollten nach Ansicht Chinas eliminiert werden, auch fordern sie eine engere Verknüpfung der Länder innerhalb der EU. „Das ist ein Vorschlag, der einen merkwürdigen blinden Fleck der Chinesen offenbart“, schreibt Lira weiter. Die politische Realität in Europa sei eine andere, als in China. „Das ist ein blinder Fleck, der meiner Meinung nach verständlich ist: In China erschießen sie Dissidenten einfach.“

USA

Hinsichtlich der Vereinigten Staaten sind die Chinesen sehr besorgt. Aus den Formulierungen lasse sich allerdings auch eine gewisse Geringschätzung herauslesen, schreibt Lira. Die Anstrengungen und Prognosen zur Reduzierung der Verschuldung der USA „basieren auf zu optimistischen und unrealistischen Wachstumsannahmen.“ Die Verschuldung der USA schaffe ein Ungleichgewicht, das schließlich alle Volkswirtschaften der Erde betreffen könne. Die Ziele der US-Regierung zum Schuldenabbau seien „nicht ganz realistisch“. China scheint sich laut Lira wirklich darüber zu sorgen, dass die USA nicht den politischen Willen zu haben scheinen, ihren enormen Schuldenberg zu reduzieren. Die USA werden es in den Augen der Chinesen nicht schaffen, ihre Verschuldung alleinig durch die Reduzierung ihrer Ausgaben zu verringern. Hierzu sei auch eine Erhöhung der Einnahmeseite nötig. Sie sorgen sich darum, dass die langsame Verringerung des US-Haushaltsdefizits zu steigenden Zinsen in den USA führen werde.

In den Augen der Chinesen hat der Widerwille der US-Regierung, ihre Defizite unter Kontrolle zu bekommen, weitaus größere Auswirkungen als jegliche Ungleichgewichte im Außenhandel, worüber sich die USA seit Jahren beschweren. „Es ist schwer für einen externen Beobachter, dieses Argument zu widerlegen“, schreibt Lira.

Die Chinesen kritisieren außerdem, dass die USA zwar ihre Exporte erhöhen und ihre Konsumabhängigkeit verringern wollen, hierzu aber – bis auf die Verringerung von Handelsschranken - keine konkreten Maßnahmen vorschlagen. China sieht es als „irrgeleitet“ an, dass die USA Handelsschranken anderer Länder als Ursache ansehen, dass die USA ihren Export nicht verbessern können. „Auch hier wird jeder außenstehende Beobachter sagen: Ein Punkt für China“, kommentiert Lira weiter.

Obwohl China die jüngst von US-Präsident Obama verabschiedete Finanzreform begrüßen, sorgen sie sich um die Hypothekenfinanziers Freddie Mac und Fannie Mae. Sie können keine Exitstrategie der US-Regierung erkennen. Auch gebe es keine klare Zielsetzung für die Regulierung der vom Staat geretteten Institutionen. Kurioserweise stammt diese Kritik aus einem Land, das selbst stark in seinem Finanzsystem und seiner Wirtschaft interveniert.

Last but not least kritisiert China den Kurs der US-Regierung und auch der US-Notenbank. Beide seien „am Steuerruder eingeschlafen“ und würden es dadurch nie schaffen, weder Haushalts- noch Außenhandelsdefizit zu verringern. Sie sehen die Maßnahmen der Fed und Washingtons nicht als effizient an – sie hätten die Probleme nur vertagt. Es sei einfacher gewesen, Fannie und Freddie und alle Too-Big-to-Fail-Banken zu retten, anstatt sie pleitegehen zu lassen und einen schmerzlichen Konsolidierungsprozess des gesamten Systems zu durchlaufen.

China

Ihre eigene Wirtschaft sehen sie entgegen der Einschätzung vieler Volkswirte nicht in einer Spekulationsblase. Die ultralockere Geldpolitik habe geholfen, Chinas Wirtschaftswachstum in den vergangenen zwei bis drei Jahren zu stützen. An dieser lockeren Geldpolitik will China weiter festhalten, um auch mit aller Kraft eine Wiederholung der japanischen Deflation im eigenen Land zu verhindern. „Das bedeutet, dass die chinesische Spekulationsblase, wovon schlaue Leute wie Chanos und jetzt Nouriel Roubini glauben, dass sie bald platzen wird, noch länger aufgeblasen bleiben wird, als man sich das heute vorstellen kann“, schreibt Lira weiter.

China setze einen Schwerpunkt auf die Stärkung der Binnennachfrage. Sie Chinesen scheinen sehr stolz auf die bisherige Stärkung der Binnennachfrage und die Senkung ihrer Exportabhängigkeit zu sein. Den Rückgang im chinesischen Handelsüberschuss sehen sie nicht als etwas Negatives an. Dies sei vielmehr ein Nebeneffekt gesteigerter Binnennachfrage.

Fazit

China plane laut Interpretation von Lira eine Schaffung einer sich selbst versorgenden, nach außen hermetisch abgeriegelten Volkswirtschaft, die sich durch Binnennachfrage selbst trägt. Letztere solle weiter entwickelt werden. China sorge sich außerdem um einen sprunghaften Anstieg der Zinsen in den USA, der die dortige Konjunkturerholung abwürgen würde.

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