Kommentar
08:47 Uhr, 20.04.2011

Die Wandlung des Stabilitätsbegriffs und seine Folgen für Staatsanleihen

Die Deutschen sind nach dem 2. Weltkrieg mit Stabilität groß geworden, insbesondere mit Staatshaushalts- und Preisstabilität. Und diese Soliditätsgrundsätze haben wir auch dann noch durchgehalten, als in Amerika mit den Reagonomics der Pfad einwandfreier Staatsfinanzen bereits verlassen wurde und in unseren europäischen Nachbarländern der schuldenpolitische Laissez Faire-Stil schon fest etabliert war.

Die deutschen Stabilitätsgrundsätze haben wir sogar in den euroländischen Harmonisierungsprozess mit den sogenannten Maastricht-Kriterien exportiert. U.a. war für die Euro-Länder nur eine Neuverschuldung von drei Prozent zur Wirtschaftsleistung bzw. ein Schuldenstand von maximal 60 Prozent zum BIP zulässig. Wie die Stabilitätsgeschichte weiterging, wissen wir alle. Nach der Bankenpleite von Lehman 2008 und in Euroland spätestens seit Frühjahr 2010 ist ein massiver Strukturbruch in punkto Stabilitätsbegriff zu beobachten. Die eisernen Stabilitätsgrundsätze konnten angesichts der massiven Finanz- und Euro-Krise nicht mehr aufrecht erhalten werden. Zur umfangreichen globalen Rettung der Finanzwelt wurden sie deutlich aufgeweicht. Grundsätzlich wird der Stabilitätsbegriff neu interpretiert: Heute gehen Finanzmarkt- und Konjunkturstabilität vor Staatshaushalts- und Preisstabilität.

Dieser Paradigmenwechsel hat auch Konsequenzen für die Vermögensanlage.

Staatsverschuldung lässt Bonität sinken

Zur Verhinderung massiver Rezessionen hat die Finanzpolitik in allen etablierten Industrieländern eine massive Konjunkturunterstützung betrieben. Besonders markant ist dies am Beispiel der USA zu sehen. Dort musste die Staatsneuverschuldung drastisch angehoben werden, um über diesen Hebel die US-Volkswirtschaft nicht in die Rezession abdriften zu lassen.

Grafik der Woche: Entwicklung US-Staatsverschuldung und US-BIP seit 2006

Besonders prekär ist nach wie vor die Beschäftigungssituation. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit in den USA hat sich auf 39 Wochen, einen Nachkriegsrekord, erhöht.

Kein verantwortlicher Politiker in den USA wird in dieser Situation an einer staatlichen Konjunkturstützung vorbeikommen. Es geht um die Vermittlung einer Perspektive. Haushaltspolitische Stabilität macht nämlich nicht satt, wohl aber konjunkturelle Stabilität. Insofern müssen die martialisch vorgetragenen Sparabsichten der US-Regierung auf ihre reale Umsetzbarkeit abgeklopft werden: Die US-Binnenkonjunktur braucht diese Unterstützung noch länger. Aus dem Sparpaket wird zum Schluss ein Sparpaketchen werden.

Ähnliche Entwicklungen sind auch im Vereinigten Königreich, in Japan - aufgrund seines Wiederaufbauprogramms von über 300 Mrd. US-Dollar - und in Euroland zu beobachten. Sicherlich sind in Großbritannien, Irland, Griechenland, Portugal und Spanien Sparbemühungen und auch - erfolge zu beobachten. Dennoch lassen sich die früher gültigen Maastricht-Kriterien auf absehbare Zeit nicht mehr erfüllen.

Und auch Deutschland wird trotz seines unbestritten erstklassigen Aufschwungs neue Schulden in Höhe von knapp 50 Mrd. Euro aufnehmen. Die Schuldenbremse, die es den Bundesländern ab 2020 nicht mehr gestattet, neue Kredite aufzunehmen und dem Bund ab 2016 enge Grenzen bei der Schuldenaufnahme setzt, sollte nicht als Rückkehr zu einer klaren Haushaltsstabilität interpretiert werden. Denn die in der Schuldenbremse verankerten Ausnahmen bei schwerwiegenden konjunkturellen Störungen lassen im Bedarfsfall genügend fiskalpolitische Hintertürchen offen.

Deutschland verfügt gegenüber anderen westlichen Ländern sicherlich über vergleichsweise stabile Staatsfinanzen. Aber die Bürgschaften und Bareinzahlungen zur Beilegung der Euro-Krise beziffern sich für die Bundesrepublik mittlerweile auf bereits ca. 190 Mrd. Euro. Man kann Deutschland damit bei der Analyse seiner Finanzverhältnisse nicht mehr singulär betrachten. Die Mithaftung für Euroland muss auch beachtet werden.

Vor diesem Hintergrund kann man also insgesamt nicht mehr auf die frühere Bonität von deutschen Staatsschulden verweisen. Der in der Portfoliotheorie stark verankerte Grundsatz, wonach Staatsanleihen risikolos sind, ist daher kritisch zu beleuchten.

Dies unterstreicht auch die Analyse von Ausfallprämien als Gradmesser für den Ausfall eines Schuldners. Sicherlich ist der Zahlungsausfall Deutschlands kein Thema an den Märkten. Die Ausfallprämie ist sehr gering. Allerdings war sie schon einmal geringer. Schaut man auf die Ausfallprämien von beispielhaft ausgewählten Substanzaktien, so stellt man fest, dass diese nicht wesentlich höher sind als die von deutschen Staatsanleihen. Die Bonitätsfrage ist also kein schlagendes Argument mehr für Schuldtitel des Staates bzw. gegen Aktien

Inflation als zentrales Anlageproblem

Die Rettung der Finanzwelt wäre aber ebenso ohne die Geldpolitik nicht möglich gewesen. Sehr viel billiges Geld wurde in die Finanzmärkte injiziert, um die Banken zu stabilisieren. In Euroland ging es zusätzlich darum, die Rettungsaktionen der EU-Peripherie zu begleiten.

Diese geldpolitische Offensive hat weltweit zu Inflationsbeschleunigungen geführt. Insbesondere die von der US-Notenbank bereit gestellte Liquidität ist exportiert worden und hat weltweit zu Preisdruck geführt.

Da mindestens bei der US-Fed, der Bank of England und aus naheliegenden Gründen auch der Bank of Japan die konjunkturelle Stabilität Vorrang vor Preisstabilität hat, wird die Inflation nicht konsequent bekämpft. Und auch die EZB agiert mit Blick auf die schwierige finanzielle Lage der Banken und der Volkswirtschaften in der euroländischen Peripherie sehr zurückhaltend. So liegen die realen, also inflationsbereinigten Notenbankzinsen der EZB trotz der kürzlichen Leitzinserhöhung bei minus 1,5 Prozent. Es sind zwar zwei, maximal drei weitere Zinsschritte zu je 0,25 Prozentpunkten bis zum Jahresende zu erwarten. Dann spätestens wird die EZB die Euro-Krise nicht weiter verschärfen wollen und inne halten. Insgesamt wären damit die realen Notenbankzinsen immer noch negativ. Damit wird die Inflation neben der übrigen westlichen Welt auch bei uns nicht konsequent und vor allem nicht präventiv bekämpft. Das Problem der Inflation ist, dass sie, wenn sie erst einmal im Gange ist, nur schwer zu stoppen ist. Denn Zweitrundeneffekte über Löhne und Preise schließen sich dann gewöhnlich an.

Inflation schlägt sich kaum in Anleiherenditen nieder

Der Zweck der Aufkäufe von US-Staatsanleihen seitens der US-Notenbank besteht darin, die Absetzbarkeit von neuen Staatsschulden zu gewährleisten und die Renditen zu drücken, damit die Bedienung der Staatsverschuldung nicht zu teuer wird. Niederschlag findet diese Aktion der US-Notenbank in einer dramatischen Liquiditätsversorgung der US-Banken.

Über die globalisierten Rentenmärkte schlägt sich diese geldpolitische "Sünde"auch in vergleichsweise niedrigen Renditen für deutsche Staatsanleihen nieder.

Die für die Anleger negative Konsequenz ist, dass sich weder die nachlassende Bonität noch der gestiegene Inflationsdruck in gerechtfertigt höheren Renditen niederschlagen können. Die Anleger werden also für steigende Risiken nicht entsprechend entschädigt.

Betrachtet man z.B. die Entwicklung der durchschnittlichen Rendite von Staatsanleihen - gemessen an der Umlaufrendite - insbesondere nach Abzug der Inflation, ist die im Trend deutlich gefallene Verzinsung für staatliche Schuldtitel klar ersichtlich.

Geht man noch einen Schritt weiter und berücksichtigt auch noch die Steuer, ist die Rendite von Staatsanleihen nicht wirklich attraktiv.

Über Alternativen zu Staatsanleihen nachdenken

Es ist also erste Anlegerpflicht, diesen Paradigmenwechsel von Staatshaushalts- und Preisstabilität auf Finanzmarkt- und Konjunkturstabilität auch in punkto Anlagen in Staatsanleihen zu berücksichtigen.

Im Übrigen sollte man sich vor Augen führen, dass man bereits deutlich in Staatspapieren investiert ist. So ist die typische deutsche Lebensversicherung, die im Grunde jeder Deutsche teilweise mehrfach sein Eigen nennt, zu etwa 85 Prozent in Staatsanleihen investiert.

An dieser Stelle muss man aber auch bedenken, dass der Deutsche Rentenversicherungspflichtige bereits hohe Ansprüche an den Staat hat. Dies ist vergleichbar mit Ansprüchen aus Staatspapieren. Dazu ein aktuelles Beispiel. Die deutsche Durchschnittsrente beträgt 984 Euro, die über eine durchschnittliche Bezugsdauer von 18 Jahren gezahlt wird. Dies ergibt für einen Neurentner einen Auszahlungswert von 212.544 Euro. Auf heute berechnet ergibt das einen Barwert von 120.143 Euro.

In Staatspapieren ist der Deutsche also schon deutlich investiert. Die Alternativen der sachkapitalistischen Vier, also Aktien, Rohstoffe, Edelmetalle und die eigengenutzte Immobilie, sollten daher verstärkt im Anlegerfokus stehen.

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG


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