Kommentar
13:46 Uhr, 04.10.2013

Die spinnen, die Amerikaner oder alle Börsenräder stehen still, wenn der starke Arm der Politik es will

In den USA bleibt eine Einigung zwischen Demokraten und Republikaner im Haushaltsstreit bisher aus. Ähnlich wie schon bei der Eskalation des letzten Budgetstreits 1995/96 wurden Teile der öffentlichen Verwaltung - damals 28 Tage - geschlossen.

In den USA bleibt eine Einigung zwischen Demokraten und Republikaner im Haushaltsstreit bisher aus. Ähnlich wie schon bei der Eskalation des letzten Budgetstreits 1995/96 wurden Teile der öffentlichen Verwaltung - damals 28 Tage - geschlossen. Laut Angaben der US-Regierung dürfte jeder Tag des sogenannten government shutdown der US-Wirtschaft einen Schaden von ca. 300 Mio. US-Dollar zufügen. Eine Lösungsfindung im Budgetkonflikt wird zunehmend dringender, da der 17. Oktober als Stichtag zur Erhöhung der US-Schuldenobergrenze immer näher rückt.

Sollte bis dahin eine Einigung über die Erhöhung der Schuldenobergrenze ausbleiben, könnten die USA zwar den Zinszahlungen auf US-Staatsanleihen Priorität einräumen. Allerdings würde sie damit den juristischen US-Staatsbankrott mit dramatischen Folgen auch für die Weltkonjunktur und -finanzmärkte lediglich hinauszögern.

Beim letzten Budgetstreit 1995/96 konnten sich schließlich selbst die politischen Erzfeinde Bill Clinton und Newt Gingrich einigen. Und es ist zu erwarten, dass sich angesichts des zunehmenden öffentlichen Drucks und mit Blick auf die US-Zwischenwahlen 2014 Demokraten und Republikaner in den kommenden Tagen verhandlungsbereiter zeigen. Schließlich will keine Seite Schuld an einem erneuten Rückfall der US-Wirtschaft in die Rezession - double dip - haben.

Unterdessen ist die Verunsicherung an den Finanzmärkten angesichts der verfahrenen politischen Lage in den USA bereits merklich spürbar. Das verdeutlichen die sprunghaft angestiegenen Kreditausfallversicherungen für 5-jährige US-Staatsanleihen, die sich innerhalb kürzester Zeit nahezu verdoppelten. Hiervon kann sogar der Euro profitieren, der fast auf Jahreshoch gegenüber US-Dollar notiert. Dabei kommen auch in der Eurozone die Krisensymptome bereits wieder zum Vorschein.

Grafik der Woche: 5-jährige US-Kreditausfallprämien und Euro gegenüber US-Dollar

Wo politische Sorgen am größten, ist die EZB am nächsten

Denn allein schon die Betrachtung der innenpolitischen Lage Italiens führt deutlich vor Augen, dass die euroländischen Krisensymptome weiter schwelen. Aus der Regierungskrise in Folge des Streits über die geplante Mehrwertsteuererhöhung ist Regierungschef Letta durch die gewonnenen Vertrauensfragen zwar als Sieger hervorgegangen. Doch es hat etwas von Pyrrhussieg: Die politischen Spannungen in der Regierungskoalition halten an und damit ebenso die politische Lähmung und der Reformstillstand.

Angesichts der politischen Problemfelder nicht nur in Italien sorgt die EZB weiterhin für die nötige Krisenbekämpfung. So bestätigte ihr Chef Draghi nach der letzten EZB-Sitzung nicht nur die Beibehaltung oder sogar Senkung der Notenbankzinsen. Auch steht die Notenbank bereit, jegliche liquiditätspolitisch notwendige Maßnahme - also auch die erneute volumenstarke Vergabe außerordentlicher Langzeitkredite - zu ergreifen, um das geldpolitische Nirwana der Eurozone aufrechtzuerhalten.

Stimmung in der Weltkonjunktur ungetrübt

Grundsätzlich zeigt sich die Weltwirtschaft in stabiler Verfassung. In Japan hat sich die Konjunkturstimmung merklich aufgehellt. Der vierteljährlich von der Bank of Japan ermittelte Tankan-Index für die japanische Großindustrie konnte dank einer soliden Export- und Konsumlage überraschend stark auf einen Wert von 12 zulegen. Auch in punkto Geschäftserwartungen zeigt sich der Tankan-Index weiter aufwärts gerichtet. Grundsätzlich befinden sich beide Indices im positiven und damit Expansion anzeigenden Bereich. Die über die extrem lockere Geldpolitik der Bank of Japan herbei geführte signifikante Schwächung des Yen, die japanischen Produkten am Weltmarkt preisliche Wettbewerbsvorteile verschafft, und Steuersenkungen für japanische Unternehmen verfehlen ihre Wirkung offenbar nicht.

„US-Konjunktur profitiert von Asien“

In China stabilisiert sich der offizielle Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe mit 51,1 klar im Expansion anzeigenden Bereich. Nicht zuletzt stellen staatliche Infrastrukturmaßnahmen die Erreichung des chinesischen Wachstumsziels von mindestens 7,5 Prozent zum Vorjahr in Aussicht.

Von dieser stabilen Konjunkturprognose in Asien insgesamt profitiert auch die US-Exportwirtschaft. Der ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe in den USA notiert mit einem Wert von 56,2 - der höchste Stand seit 29 Monaten - sehr komfortabel im expansiven Bereich. Insbesondere die Neuauftragskomponente signalisiert eine im Trend dynamische US-Industrie. Gleiches gilt auch für die Neuaufträge im US-Dienstleistungssektor.

Aktuelle Marktlage und Charttechnik

Die Gemengelage an den Finanzmärkten insgesamt - auf Euro-Basis - spiegelt die aufgehellte weltwirtschaftliche Stimmung und das exzellente Liquiditätsumfeld wider.

Seit Jahresbeginn zeigen sich die Aktienmärkte als Gewinner der Performance-Hitliste. Dank des geldpolitischen Stimulus avancieren japanische Aktien zur erfolgreichsten Anlageklasse. Auf Platz zwei befinden sich die nicht minder geldpolitisch unterstützten US-Aktien. Und auch dank des geldpolitischen Rettungsankers der EZB finden sich euroländische und deutsche Aktien auf Platz drei und vier wieder. Die Rentenmärkte zeigten insgesamt einen Seitwärtsverlauf.

Rohstoffe, darunter auch Rohöl, zeigen sich volatil und haben trotz einer stabilen weltwirtschaftlichen Stimmung unter der anhaltenden Tapering-Diskussion zu leiden. Diese Verunsicherung machte auch Aktien aus den Schwellenländern zu schaffen, die zwischenzeitlich unter einem massiven Kapitalabfluss zu leiden hatten. Zuletzt konnten sich die Emerging Markets jedoch wieder stabilisieren. Die großen Verlierer waren Gold und Silber, die ihren Status als Krisenanlagen teilweise verloren haben.

Grundsätzlich sorgt seit Kurzem jedoch die aktuelle politische Unsicherheit in den USA für eine Eintrübung fast aller Anlageklassen.

„Hoffen auf den politisch gesunden, amerikanischen Menschenverstand“

Aktuell kämpfen die sich wieder stabilisierende Weltkonjunktur und das üppige geldpolitische Umfeld gegen die politischen Störmanöver in Italien und den USA. Die Ungewissheit über die volkswirtschaftlichen Schäden des Budgetstreits gibt auch der Unsicherheit über das Timing und die Höhe des Tapering der Fed neue Nahrung. Insofern könnten die Volatilitäten an den Finanzmärkten noch zunehmen.

Unter der Voraussetzung einer Lösung im US-Budgetstreit - ein politisch gesunder Menschenverstand amerikanischer Politiker unterstellt - bleibt das Jahresziel für den DAX von 8.900 Punkten erhalten.

Charttechnisch gewährt die Unterstützung am Jahreszwischenhoch des DAX vom Mai bei 8.557 Punkten im Falle einer Korrektur einen ersten Halt. Knapp darunter verläuft die obere Grenze des seit Juli bestehenden flachen Aufwärtstrendkanals bei derzeit 8.535 Punkten. Als weitere Auffanglinie bietet sich darunter die Marke bei 8.457 Punkten an.

Auf der Oberseite verläuft der erste Widerstand in der Zone zwischen 8.720 und 8.770 DAX-Punkten. Sollte dieser Bereich signifikant überwunden werden, wartet die nächste merkliche Barriere an der psychologisch wichtigen Marke bei 9.000 Punkten.

Und was passiert in der nächsten Kalenderwoche?

Auf Unternehmensebene richten sich die Blicke der Anleger auf den Start der US-Berichtsaison für das III. Quartal 2013. Aufgrund der vorübergehenden Probleme der Emerging Markets im Zuge der Tapering-Diskussion sind Enttäuschungen bei den tatsächlichen Bilanz- und Gewinnzahlen nicht auszuschließen.

Insofern kommt dem Ausblick dieses Mal eine besondere Rolle zu. Hier gilt nächste Woche die Anlegeraufmerksamkeit insbesondere dem Aluminiumhersteller Alcoa, einem harten Zykliker, der wegweisend für die weltkonjunkturelle Perspektive ist. Daneben dürften die US-Banken Wells Fargo und JP Morgan als Indikatoren dienen, inwieweit die zuletzt gestiegenen US-Zinsen wirtschaftlichen Tribut fordern.

Auf Makroebene steht das USA Protokoll der letzten US-Notenbanksitzung im Fokus. Angesichts der zunächst hinausgezögerten Entscheidung einer Drosselung der Anleihenaufkäufe durch die Fed erhoffen sich die Anleger nähere Hinweise auf einen Starttermin des Taperings möglicherweise im Dezember.

Die US-Einzelhandelsumsätze dürften erneut leicht zugelegt haben. Sollten die Arbeitsmarktzahlen in Abhängigkeit von der Wiedereröffnung des US-Statistikamtes veröffentlicht werden, dürften sie eine kleine Besserung anzeigen.

In Deutschland unterstreichen solide Auftragseingänge in der Industrie, eine leicht gestiegene Industrieproduktion sowie anziehende Exporte das positive Momentum der deutschen Wirtschaft.

Es kann der frömmste Anleger nicht in Frieden leben, wenn es der bösen Politik nicht gefällt

Wie in der Muppet-Show die bekannten Balkonnörgler Waldorf und Stadler den Theaterbetrieb, so stören die Politiker aktuell die Börsenverfassung.

In Deutschland wird um eine neue Regierung gepokert. Union und SPD zusammenzubringen wäre - obwohl die Mehrheit der Bundesbürger diese politische Traumhochzeit will - selbst für professionelle Partneragenturen schwierig. Die Schwarzen haben Angst, in einer Zwangsehe ihre Steuerversprechen brechen zu müssen und die Roten fürchten, wie bereits bei der letzten Großen Koalition unter den schwarzen Rasenmäher zu kommen. Und die Sache einfacher machen auch die vielen politischen Luftpumpen nicht, die jetzt der jeweils anderen Seite locker aus der Hüfte schießend und medienwirksam Extrembedingungen auferlegen.

Deutschland als der Konjunktur- und Reformmotor der Eurozone und ausgestattet mit der „Richtlinienkompetenz“ bei der Lösung der euroländischen Schuldenkrise - die immer noch leibt und lebt - kann sich keinen langen politischen Stillstand leisten. Ansonsten kann das Euro-Immunsystem keinen Vollschutz gegen erneute Krisenvirenanfälle entfalten. Euroland braucht einen politisch starken Adler, keine flügellahme Taube.

USA - Denn sie wissen nicht, was sie tun

„Die spinnen, die Römer!“ ist der typische Ausruf von Obelix aus der Comicserie „Asterix“, wenn er es mit unverständlichen Verhaltensweisen von Beamten des Römischen Weltreiches zu tun hat. Angesichts dessen, was derzeit im Haushaltsstreit des heute real existierenden Weltreichs USA abläuft, kann ich nur ausrufen „Die spinnen, die Amerikaner!"

Selbstverständlich gehören haushaltspolitische Auseinandersetzungen zur Glaubwürdigkeit einer Demokratie. Politische Gremien sind ja keine Veranstaltungen des gegenseitigen Abnickens. Während man allerdings in den USA beim letzten großen Haushaltskonflikt 1995/96 noch aufeinander zugehen konnte, liegen heute die Konfliktparteien unversöhnlich in ihren Schützengräben. Es mangelt an sozialer Intelligenz. Der Präsident hält - wie ein Kind an seinen Förmchen im Sandkasten - an seinem 4.000 Seiten langen Krankenversicherungsgesetz „Obamacare“ ohne die kleinste Änderungsbereitschaft fest. Der demokratische Senatsführer, der seine amtsgegebene politische Beinfreiheit durchaus zur smarten Kompromissfindung mit der anderen Seite nutzen könnte, macht auf Zickigkeit und heizt den Konflikt noch durch Verbalentgleisungen an. Und die Republikaner - in punkto Beleidigung des politischen Gegners auch nicht gerade Waisenkinder - legen im Haushaltskonflikt eine derart sture Dogmenhaltung an den Tag, von der sich die Chefideologen früherer kommunistischer Regime noch eine dicke Scheibe hätten abschneiden können.

Ach, was könnten wir es an den Börsen doch schön haben, zumal die wirtschaftlichen Fundamentaldaten durchaus ermutigende Signale senden. Aber alle Börsenräder stehen still, wenn der starke Arm der Politik es will.

Jetzt regiert endlich mal schön

Was nun, verehrte Anlegerinnen, verehrte Anleger? Müssen wir uns für Herbst und Winter warm anziehen?

Politik hat derzeit viel mit Realsatire zu tun. Anscheinend finden Sandkastengefechte aus der Kindergartenzeit manchmal ihre Fortsetzung auf der politischen Spielwiese. Langsam ist aber Schluss mit lustig, Schluss mit dieser Dramaturgie auf Kosten von Konjunktur und Finanzmärkten. Zur parlamentarischen Demokratie gehört das Aufeinanderzugehen. Wenn man diese Fähigkeit nicht besitzt, hat man in der Politik nichts zu suchen. Vielleicht versucht man es alternativ als Schauspieler in Billig-Western.

Trotz allem glaub’ ich unbeirrt, dass unser (politisches) Wetter besser wird, um es frei nach Rudi Carrel zu sagen. Politiker kennen auch ihre Verantwortung. Sie werden es hüben wie drüben nicht zum Schlimmsten kommen lassen. Seit 2009 hat die Politik, wenn es hart auf hart kam, immer ihren Rettungsanzug angezogen. Welchen Sinn machte es, jetzt mit politischen Scharmützeln Erholungsprozesse in der Eurozone oder den USA zu gefährden und im Extremfall der Weltwirtschaft wie beim Spiel Monopoly sagen zu müssen „Geh zurück auf Start und ziehe keine 4.000 Geldeinheiten ein“. Wollten Sie als „Ruinator“ in die Geschichte eingehen?

Und sie - die Politik - bewegt sich doch

Zwischenzeitlich werden die Kursschwankungen deutscher Aktien wegen den politischen Showeinlagen wohl zunehmen. Aber schließlich wird Deutschland eine handlungsfähige Regierung haben und ehe Amerika über einen Budgetkonflikt bankrott geht, fallen Ostern und Weihnachten terminlich zusammen.

Und da die Politik den Schmutz, den sie gelegentlich verursacht, auch wieder in Meister Proper-Manier bereinigt, fällt es mir schwer, Argumente zu finden, warum DAX und MDAX im nächsten Jahr keine neuen Höchststände machen sollten.

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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