Kommentar
11:15 Uhr, 19.10.2012

Die „Romanische Schuldenunion“ nimmt Gestalt an

In Spanien muss dringend die Entblähung der Immobilienblase herbeigeführt werden, um überhaupt die Immobilienkrise langfristig lösen zu können. Dieser Prozess der spanischen Flurbereinigung läuft bislang noch viel zu schleppend. Das Beispiel USA zeigt sehr deutlich, dass erst mit Zulassen eines konstruktiven Verfalls der Immobilienpreise die Krise gelöst werden konnte. So haben die US-Immobilienpreise nach ihrem Höchststand Mitte 2006 innerhalb von drei Jahren den Großteil ihrer Korrektur hinter sich gebracht. Dagegen besteht in Spanien vier Jahre nach dem Platzen der Blase 2008 noch immer deutliches Korrekturpotenzial. Im Gegensatz dazu sieht sich Deutschland übrigens keiner immobilienseitigen Blase trotz zuletzt gestiegener Preise gegenüber. Die Preisentwicklung von Bestandsimmobilien zeigt sich vielmehr äußerst stabil. So befinden sich die Preise aktuell auf dem Niveau von 2007.

Grafik der Woche: Hauspreisentwicklung in Spanien, USA und Deutschland, indexiert

Aufgrund des massiv gewinn- und eigenkapitalbindenden Korrekturbedarfs der spanischen Banken, die die Immobilienabschreibungen dann stemmen müssen, dürfte Spanien daher auf dem EU-Gipfel über einen offiziellen Hilfsantrag - hinter vorgehaltener Hand - verhandelt haben. Nach den spanischen Regionalwahlen ist nun jederzeit mit einem Antrag an den Euro-Rettungsschirm zu rechnen.

Damit wird die „Romanische Schuldenunion“ jetzt mit Leben gefüllt. Denn strikte Spar- und Reformauflagen für das konjunkturell geschwächte Spanien als Gegenleistung sind nicht zu erwarten. Und so werden Hilfskandidaten wie Italien die spanische Rettung zukünftig als Blaupause, als Muster für die eigene Rettung heranziehen. Gleichzeitig sorgt man mit der Vertuschung der nicht vorhandenen griechischen Schuldentragfähigkeit für die „moralische“ Rechtfertigung der Auszahlung der nächsten Hilfstranche über 31,5 Mrd. Euro. An den Finanzmärkten wird auch das zumindest temporär für Entspannung sorgen. Da ist er wieder, der schon sprichwörtliche euroländische Zeitgewinn.

Das gelebte Prinzip „Barmherzigkeit geht vor Leistungsprinzip“ zeigt sich konkret in der Beruhigung an den euroländischen Staatsanleihemärkten. Die Renditen 10-jähriger italienischer und spanischer Staatsanleihen befinden sich aktuell auf dem niedrigsten Niveau seit Frühjahr und sogar griechische Staatstitel weisen eine deutliche Renditeentspannung auf.

Dem Konjunkturpessimismus geht die Puste aus

Die fortgeführte finanz- und geldpolitische Beruhigung der Krise in Euroland schlägt sich auch positiv in den konjunkturellen Stimmungsindikatoren nieder. Eine leichte Trendwende ist bereits zu erkennen.

In Deutschland beurteilen die im Rahmen der ZEW-Daten befragten Finanzanalysten die aktuelle Konjunkturlage zwar weiterhin verhalten. Die bereits den zweiten Monat in Folge aufwärtsgerichteten ZEW Konjunkturerwartungen weisen jedoch auf eine deutlich weniger pessimistische Konjunkturentwicklung in Deutschland hin.

So ist auch die Stabilisierung der auf direkten Unternehmensbefragungen basierenden ifo Geschäftserwartungen nur eine Frage der Zeit. Interessanterweise hat sich die zuletzt schwächere Wertentwicklung des MDAX im Vergleich zum DAX - der Aktienindex industrielastiger deutscher Mittelstandswerte reagiert deutlich konjunktursensitiver als sein großer Bruder - umgekehrt, ein Signal für eine verbesserte Konjunkturstimmung.

Und auch der Konjunkturpessimismus in der Weltwirtschaft hat sich zuletzt etwas abgeschwächt. So haben die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe in den USA und China ihren seit Mai anhaltenden Abwärtstrend gestoppt und deuten mit Werten von 51,5 bzw. 49,8 - die Expansion anzeigende Schwelle liegt bei 50 - zumindest eine Konjunkturstabilisierung an. Und auch die Rohstoffpreisentwicklung lässt keinen Wirtschaftseinbruch wie im Schreckensjahr 2009 erwarten. In dieses Bild passt im Übrigen auch diese Beobachtung: Die Entwicklung eines gleichgewichteten Rohstoffindex aus Agrarrohstoffen, Energie und Industriemetallen deutet im Vorjahresvergleich bereits seit Juli auf eine Nachfrageerholung hin.

Die Notenbanken sorgen für konjunkturelle Stimmung

Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass sowohl in den USA als auch in China die Geldpolitik unverhohlen als Instrument der Wirtschaftsförderung eingesetzt wird. In China ist die People’s Bank of China angesichts des vergleichsweise schwachen Wachstums im III. Quartal von 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr - immerhin der niedrigste Stand seit mehr als drei Jahren - längst von ihrem Ziel der Preisstabilisierung abgewichen. Eine anhaltend niedrige Inflationsrate von zuletzt 1,9 Prozent - auch wenn diese ohne Zweifel politisch geschönt ist - verschafft ihr dabei erneut moralischen Spielraum für eine noch expansivere Geldpolitik.

Und in Amerika sorgt das mittlerweile dritte Anleihenaufkaufprogramm (QE3) der US-Notenbank für eine Stabilisierung der Gesamtwirtschaft über den US-Immobilienmarkt. Die von der Fed auf ein historisches Tief gedrückten Hypothekenzinsen stimulieren die Nachfrage nach Hypothekenkrediten und lassen die Immobilienpreise steigen. Diese Erholung spiegeln auch die im Trend deutlich aufwärtsgerichteten Baubeginne und -genehmigungen wider, die sich mittlerweile wieder auf dem Niveau vor der Pleite der Lehman Bank befinden.

Über den monatlichen Aufkauf hypothekenbesicherter Anleihen im Volumen von 40 Mrd. US-Dollar zielt die Fed weiterhin auf den Effekt der Vermögenspreisinflation ab. Zum Einen sollen über steigende Immobilienpreise mehr Konsummöglichkeiten geschaffen werden. Gleichzeitig sorgt das günstige Zinsniveau für eine erleichterte Umschuldung der Hypothekenkredite der Haushalte.

Zum Anderen nimmt die Fed über den Aufkauf der hypothekenbesicherten Wertpapiere Investoren - die in der heute schwierigen Zeit nach attraktiven Renditemöglichkeiten Ausschau halten - die Angst vor Investitionen in mit Immobilien besicherten Finanzprodukten. Es ist sogar von einer deutlichen Renaissance des Verbriefungsgeschäfts von Hypothekenanleihen auszugehen.

Berichtsaison keine Belastung für die Aktienmärkte

Der Erfolg dieses neuerlichen „Coup“ der US-Notenbank ist nicht zuletzt an der Berichtsaison der US-Banken für das abgelaufene III. Quartal abzulesen. So konnten die Wall Street-Größen Citigroup, Goldman Sachs und Bank of America insbesondere durch die Erholung am US-Häusermarkt von einem anziehenden Geschäft mit Hypothekenkrediten profitieren, dass kompensierend für andere Geschäftsbereiche wirkte. Denn insbesondere Citigroup und Bank of America hatten unter hohen Milliardenabschreibungen und Verlusten aus der Neubewertung eigener Schulden zu leiden. Unterdessen haben die IT-Unternehmen Google und Microsoft herbe Gewinneinbußen von 20 bzw. 22 Prozent zu verzeichnen. Bei Google belastet die neu eingekaufte Hardware-Sparte, Microsoft machen Umsatzrückgänge bei Windows zu schaffen. Hier liegen alle Hoffnungen auf dem neuen Betriebssystem Windows 8.

Intel und IBM haben unter einer Flaute im Rechnergeschäft zu leiden. Trotzdem konnte IBM eine Gewinnsteigerung im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent erzielen und liegt damit im Bereich der Erwartungen. Im Ausblick wurde die Gewinnprognose bestätigt. Ein positives Signal für die Weltwirtschaft sendete Coca-Cola. Der Konsumgüterhersteller konnte – maßgeblich getragen von einem Schwellenländerwachstum von sieben Prozent - in allen fünf globalen Unternehmensgruppen zulegen und ein Gewinnplus von vier Prozent erzielen. Der Ausblick ist stabil.

Generell liegen die Konsumgüterhersteller in der US-Berichtsaison weit vorne. Von den bisher berichtenden Unternehmen konnten 90 Prozent die Gewinnerwartungen der Analysten übertreffen. Aber auch Unternehmen aus dem Finanz- und Gesundheitssektor liegen weit vorne und überraschten hinsichtlich ihrer Gewinne zu ca. 85 bzw. 82 Prozent. Enttäuschend verläuft bisher die Berichtsaison insbesondere für Energieunternehmen. Die Gesamtbilanz der bisher berichtenden Unternehmen im S&P 500 fällt aber positiv aus. So konnten ca. 72 Prozent aller bisher berichtenden Unternehmen in punkto Quartalsgewinn überraschen.

Und was passiert in der nächsten Woche?

Auf Unternehmensebene geht die Berichtsaison in die nächste Runde. In den USA dürften Analysteneinschätzungen zufolge die IT-Konzerne Yahoo und Apple ein solides Zahlenwerk präsentieren. Beim weltgrößten Baumaschinenhersteller Caterpillar macht sich hingegen das schwierige weltweite Konjunkturumfeld bemerkbar. Und auch in Deutschland startet die Berichtsaison. Analysteneinschätzungen zeugen davon, dass BASF unter dem schwierigen Makroumfeld gelitten haben dürfte. Nachdem Daimler-Chef Zetsche bereits im Vorfeld das Jahresgewinnziel kassiert hat, dürften die Zahlen des Autobauers keine negativen Überraschungen mehr bereit halten. Volkswagen hingegen dürfte starke Quartalzahlen präsentieren, die voranschreitende Integration von Porsche macht sich hier bemerkbar.

Allerdings bleibt die Börsenentwicklung weiterhin geprägt von den Ereignissen auf der Makroebene. Schon in der nächsten Woche könnte der Hilfsantrag Spaniens an den Euro-Rettungsschirm die aktuelle Beruhigung der Euro-Krise verfestigen. Zudem dürften die Einkaufsmanagerindices in Euroland weiter abnehmenden Konjunkturpessimismus signalisieren. Spannend wird sein, ob auch die ifo Geschäftsklimazahlen ihren Abwärtstrend stoppen können. Unterdessen verdeutlichen in Amerika die soliden BIP-Zahlen des abgelaufenen III. Quartals, dass hier das Glas eher halbvoll als halbleer ist. Trotz wieder anziehender Auftragseingänge bei langlebigen Gütern wird die US-Notenbank auf ihrer Zinssitzung weiterhin die konjunkturellen Abwärtsrisiken und damit die Notwendigkeit der geldpolitischen Stabilisierung betonen. Die Stimmung an den Aktienmärkten bleibt insgesamt definitiv weiter freundlich.

Wird aus charttechnischer Sicht dabei die Unterstützung im Bereich der 7194 Punkte durchbrochen, muss eine Fortsetzung der Korrektur bis zu den nächsten Auffanglinien bei 7100 und 7000 Zählern ins Auge gefasst werden. Darunter bietet die nächste Unterstützung bei 6875 Punkten halt.

Sollte jedoch auf der Oberseite der Abwärtstrend bei 7417 Punkten durchbrochen werden, verlaufen die nächsten Barrieren bei 7523 und am bisherigen Jahreshoch von 7600 Punkten. Darüber gerät das Jahresendziel im DAX von 7800 Zählern in greifbare Nähe.

Halvers Woche:

Europäische Integrationsbemühungen oder die Quadratur des Kreises

Um heute in der Weltwirtschaft Gewicht auf die Waage zu bringen, muss man nicht nur groß sein, sondern auch noch geschlossen auftreten. In diesem Zusammenhang bin ich mir sicher, dass man sich um die USA, China, Indien oder Brasilien keine wirklichen Sorgen machen muss, die mit einer klaren und zielgerichteten Wirtschafts- und Finanzpolitik aufwarten.

Auch die Eurozone ist gezwungen, sich ihren Platz unter den Weltmächten zu sichern, um als rohstoffarmes Wirtschaftsgebilde nicht unter die Räder der Globalisierung zu kommen. Wir müssen aus der Kleinstaaterei, die wir seit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches praktizieren, herauskommen, der Flickenteppich muss ein stimmiges Farbmuster, keinen Malkasten mehr zeigen. So die unfragliche Theorie.

Mangelnder euroländischer Corpsgeist

Und jetzt die Praxis. Es mangelt ja schon an einem vernünftigen Corpsgeist. Franzosen denken zuallererst französisch, Italiener ticken im Herzen primär italienisch und Spanier sind eben stolze Spanier. Erst danach kommt die Hinwendung zur Euro-Großfamilie. Das eigene nationale Hemd ist definitiv näher als der große euroländische Rock. Das sind grundsätzlich schon einmal schlechte Bedingungen, um Euroland in die globale Güteklasse A zu bringen.

Das hat man sicherlich auch frühzeitig erkannt und den Feldversuch gestartet, die wirtschafts- und finanzpolitische Union von hinten über eine Währungsunion mit strikten Stabilitätskriterien zu bewerkstelligen. Und die Einigungseuphorie war zunächst auch sehr groß. Jedes Land wollte Mitglied in diesem eurozonalen Währungsverein werden, bot sich doch für die Clubmitglieder eine wirklich phantastische Leistung: Gleiche niedrige Zinsen wie in Deutschland. Die Bedienung der Staatsschulden kostete fortan weniger als die Hälfte. Leider aber haben die zinsbegünstigten Portugiesen, Spanier oder Italiener dieses Jahrhundertgeschenk nicht genutzt, um ihre rustikalen, sozialromantischen bzw. finanzinstabilen und reformbedürftigen Volkswirtschaften fit für die globalisierte Neuzeit zu machen, um damit schließlich auch den europäischen Stier auf eine Augenhöhe mit den Stieren auf der amerikanischen und asiatischen Weide zu bringen.

Integration über Romanische Schulden- statt Stabilitätsunion

Das euroländische Wappentier leidet heute an Schwindsucht, die Integration ist massiv ins Stocken geraten. In der Eurozone sind die Diskrepanzen scheunentorbreit, auch weil teilweise mehr intrigiert als integriert wurde. Wir haben es eher mit der Renaissance des Wiener Kongresses zu tun, bei dem es hieß: Der Kongress tanzt, aber er entscheidet wenig vernünftig. Und nun? Da Plan A, die Stabilitätsunion, nicht funktioniert hat, hat man eine Alternative, Plan B, gesucht und nach zweieinhalb Jahren rauem Polit-Rodeo auch gefunden. Die Backmischung, mit der man der Integration von nun an künstlich auf die Sprünge helfen will, würde bei Dr. Oetker wohl „Romanische Schuldenunion“ heißen. Konkret verabreicht die EZB ein Breitbandantibiotikum, um einer weniger auf Reformen und wieder mehr auf staatliche Verschuldung setzenden Finanzpolitik in den angeschlagenen Ländern Paroli bieten zu können. Da diese mit einer „Hab dich lieb-Offensive“ zwischen den politisch Verantwortlichen angereichert wird, hat sich die integrative Kraft in Euroland wieder deutlich verstärkt. Hurra, wir leben noch! Wenn Stabilität die Eurozone und das Leben der Politiker, die dummerweise auch noch die Knute der Wähler fürchten müssen, kaputt zu machen droht, muss man eben die Stabilität kaputt machen! So einfach ist es.

Geldpolitisches Antibiotikum irgendwann wirkungslos

Happy End also? Eine gewisse Zeit kann man diese Integration der Marke Happy Hour aufrechterhalten. Irgendwann wird man aber feststellen, dass Konjunktur und Finanzwelt gegen dieses Antibiotikum immun geworden sind. Denn wenn Staatsverschuldungen steigen, ohne den Anlegern dafür inflations- und bonitätsgerechte Verzinsungen zu bieten, kommt es zu Desinteresse, ja zu Vertrauensverlust in die Finanz- und Geldpolitik und damit in euroländische Investments. Gegen diesen Bakterienbefall ist noch nie ein Kraut gewachsen. Die Historie zeigt: Zeitgewinn ja, langfristige Lösung nein.

Und dann muss die Integration doch wieder über die harte Stabilitätsknute gefahren werden, insbesondere dann, wenn man auf Reformen keine Lust hatte. Ein deutlich gestärkter EU-Währungskommissar könnte - als Vorschlag von Bundesfinanzminister Schäuble - über Staatshaushalte wie Cäsar mit Daumen rauf oder runter entscheiden. Über dieses neue Kapital von Auseinandersetzungen und Zerwürfnissen, auf diesen politische „Spaß“, dürfen wir uns schon heute freuen. Demnächst mehr im euroländischen Theater.

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