Kommentar
14:55 Uhr, 01.02.2013

Die Märkte zwischen Risikoentspannung, Konjunkturerholung und Währungskrieg

In Spanien zeigt sich die wirtschaftliche Situation im euroländischen Vergleich laut Elends-Index - die Summe aus Inflationsrate und Arbeitslosenquote - dramatisch. Insbesondere aufgrund der massiv ansteigenden Arbeitslosigkeit stellt sich die spanische Lage seit 2009 sogar noch verheerender als in Griechenland dar. Die Situation in Portugal ist ebenfalls prekär, hat sich im Trend seit Anfang 2012 jedoch nicht weiter verschlechtert und in Italien sind bereits Besserungstendenzen erkennbar. Am solidesten ist laut Index die Situation in Deutschland.

Der Euro-Politik bleibt vor diesem Hintergrund auch zukünftig nichts anderes übrig, als die Konjunkturerholung in der Euro-Peripherie zur nachhaltigen Befriedung der Eurozone insgesamt weiter aktiv voranzutreiben. Angesichts der andauernden Rezession in Spanien - die Wirtschaft ist im Schlussquartal 2012 erneut um 0,7 Prozent zum Vorquartal geschrumpft - hat die EU-Kommission bereits signalisiert, dem Land in punkto Sparziel für dieses Jahr Zugeständnisse zu machen und das Defizitziel zu lockern. Zudem wird man sich auch auf ein Rettungspaket für Zypern einigen, um die Beruhigung der Euro-Krise nicht zu gefährden.

Risikoaversion schwindet

Dass die Risikoentspannung funktioniert, beweisen auch 278 Banken aus dem Euroraum, die in dieser Woche gut 137 Mrd. Euro an Kredithilfen an die EZB zurückgezahlt haben. Auch wenn es in der nächsten Woche nur zu Rückzahlungen von knapp 3,5 Mrd. Euro kommen wird, sollte dies nicht als Enttäuschung gewertet werden. Die Abhängigkeit der Banken von Nothilfen der EZB verringert sich zunehmend, d.h. die Refinanzierungswege über den normalen Kapitalmarkt werden wieder freier.

Diese Rettungsbereitschaft macht sich in Form einer im Trend abnehmenden Risikoaversion am Staatsanleihemarkt bemerkbar. Da Spanien euro-politisch vor dem Kollaps bewahrt wird, verlassen viele Finanzinvestoren seit Jahresbeginn zunehmend die vermeintlich sicheren Häfen deutscher und US-Staatsanleihen - auch aufgrund ihrer unattraktiven Renditen - und schichten vermehrt in höher rentierliche Staatsanleihen der Euro-Peripherie um. Auch Italien profitiert auf diese Weise.

Unterdessen bleibt die weltwirtschaftliche Stimmung auf Wachstumskurs. In China verdeutlicht der Expansion anzeigende offizielle Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe mit einem Wert von 50,4 - also über der Expansion anzeigenden Schwelle von 50 - das zügig voranschreitende soft landing der Wirtschaft.

Der Wettlauf um die schwächste Währung

Die internationalen Notenbanken verstärken ihre Wachstumsimpulse weiter. Angesichts eines offiziell nachlassenden Inflationsdrucks verschiebt nun auch die indische Notenbank ihren Fokus von Inflations- auf Konjunkturrisiko und hat zur Ankurbelung der heimischen Wirtschaft den Leitzins zuletzt von 8 auf 7,75 Prozent gesenkt. Eine damit verbundene Schwächung der seit Dezember gegenüber den wichtigsten Handelswährungen zulegenden indischen Rupie liegt eindeutig in der Absicht der Reserve Bank of India. Man erhofft sich eine währungsseitige Stärkung der Exportwirtschaft.

Es ist unverkennbar: Alle großen Industrienationen bezwecken eine exportstützende Währungsabwertung, die in der Geldpolitik ihr schlagkräftiges Instrument gefunden hat. So wird auch die US-Notenbank noch sehr lange nicht an einen Ausstieg aus ihrer liquiditätsflutenden Geldpolitik denken. Denn die Schrumpfung der US-Wirtschaft im IV. Quartal von minus 0,1 Prozent im Quartalsvergleich verdeutlicht, dass monetäre Stimulanz nicht zuletzt auch zur Belebung des US-Arbeitsmarktes weiter geboten ist.

Dass dabei auch der US-Dollar weiter unter Druck gerät, nimmt die US-Notenbank zur Stützung der heimischen Exportwirtschaft bewusst in Kauf. Deutlich wird ihre Strategie im Vergleich zur EZB. Denn die sich gegenüber der EZB noch stärker ausweitende Bilanzsumme der US-Notenbank als Maßgröße für ihre Liquiditätspolitik - die Fed kauft jeden Monat für 85 Mrd. US-Dollar Staats- und Hypothekenpapiere auf - drückt als Konsequenz den relativen Zinsvorteil US-amerikanischer zu europäischen Zinspapieren und schwächt so den US-Dollar gegenüber dem Euro. Man gewinnt den Eindruck, dass das Exportwachstum und damit schließlich auch die Reindustrialisierung Amerikas zur Chefsache der Fed geworden sind. Wer die Finanzmärkte mit relativ mehr Liquidität flutet, der schwächt seine Währung. Ein aktuell starker Euro, der sogar die Marke von 1,36 gegenüber dem US-Dollar überschritten hat, ist das Resultat der geldpolitischen guten Tat.

Grafik der Woche: Verhältnis der Bilanzsumme der US-Notenbank zu der der EZB und Wechselkurs eines Euros in US-Dollar

Quo vadis, EZB?

Es bleibt abzuwarten, wie die EZB reagieren wird. Gegenüber seinem Tiefstand von 2012 hat der Euro zum Dollar immerhin über 13 Prozent aufgewertet. Besonders prekär ist die Aufwertung gegenüber dem japanischen Yen seit Juli 2012 bis heute von 33 Prozent. Japan ist gerade im Industriebereich ein scharfer Konkurrent auf den Weltmärkten auch für deutsche Exporttitel. Spätestens dann, wenn ein weiter aufwertender Euro den euroländischen Export zu sehr beeinträchtigt, wird die EZB gezwungen sein, ihre absolut betrachtet bereits massive Liquiditätsausweitung noch stärker auszuweiten. Dabei wird man auch den Notenbankzins senken müssen, der mit 0,75 Prozent gegenüber quasi Nullzinsen in den USA und Japan zu Investitionen in Euroland geradezu einlädt.

Euro-Stärke als möglicher Hemmschuh für deutsche Aktien

Zwischenzeitlich kann die Aufwertung des Euros sogar für möglichen Gegenwind bei deutschen Aktien sorgen. Zwar konnten deutsche Aktien Ende 2012 vor dem Hintergrund eines sich zunehmend abschwächenden Yen von einer Wiederbelebung der sogenannten carry trades - der Geldaufnahme in japanischer Fremdwährung und -anlage in Euro - profitieren. So hat der DAX seit Mitte November um ca. 12 Prozent zugelegt.

Auf US-Dollar- und Yen-Basis beliefen sich die auf den DAX bezogenen Kursgewinne jedoch sogar auf ca. 20 bzw. 36 Prozent. Gewinnmitnahmen ausländischer Investoren sind insofern möglich.

Dem gegenüber profitieren deutsche Aktien allerdings von der Risikoentspannung, die die Fokussierung auf deutsche Staatsanleihen aufbricht. Eine Umschichtung von deutschen Staatsanleihen in deutsche Aktien ist seit Jahresbeginn bereits festzustellen. Seitdem konnte der DAX um 2,2 Prozent zulegen, wohingegen deutsche Staatsanleihen - gemessen am REX Performance-Index minus 1,6 Prozent einbüßten.

Berichtsaison: Auf den Ausblick kommt es an

Unterdessen sorgt die US-Berichtsaison weiterhin für Überraschungen. Belastet von Kosten aus dem Rückzug Yahoos aus Südkorea musste der Internetkonzern zwar einen Gewinnrückgang um 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr hinnehmen, übertraf damit jedoch die Erwartungen der Analysten. Zudem konnte die Suchmaschinenwerbung die Schwäche im Geschäft mit Display-Werbung überkompensieren und trug zu einem Umsatzwachstum von gut 2 Prozent zum Vorjahr bei. Da der Ausblick überzeugen konnte, sehen Analysten bereits eine langfristige Trendwende bei Yahoo voraus.

Der zweitgrößte US-Automobilhersteller Ford sieht im Europageschäft zwar einen Hauptbelastungsfaktor für 2013, rechnet jedoch in China und den USA mit steigenden Marktanteilen. Der Baumaschinenhersteller Caterpillar hingegen enttäuschte mit einem Gewinnrückgang um 55 Prozent zum Vorjahr aufgrund der geringeren Nachfrage aus dem Bergbausektor. Der Ausblick ist jedoch verhalten positiv. Im II. Halbjahr rechnet man mit einer deutlichen Konjunkturerholung in China.

Die Deutsche Bank legte aufgrund von Sonderbelastungen in Höhe von 2,9 Mrd. Euro als Folge des Konzernumbaus und von Kosten für zahlreiche juristische Verfahren einen unerwartet deutlichen Quartalsverlust von 2,2 Mrd. Euro vor. Auch das Investment Banking sowie die Vermögensverwaltung haben mit Gegenwind zu kämpfen. Immerhin wird jedoch die Dividende beibehalten. Ohnehin geht es in der heutigen Zeit bei Banken nicht darum, möglichst große Gewinne und Renditen zu erwirtschaften. Es geht um die Zukunftsgestaltung in einem schwieriger werdenden Umfeld. Und mit dem Reinen Tisch-Machen - der umfänglichen Beseitigung von Altlasten - hat die Deutsche Bank hier ihre Weichen klar gestellt. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Was passiert in der nächsten Woche?

Auf Unternehmensebene präsentiert Coca-Cola seine Quartalszahlen und dürfte dabei von der anhaltenden Konsumlaune aus den Emerging Markets profitiert haben. In Deutschland bekamen Daimler und HeidelbergCement Analysteneinschätzungen zufolge im IV. Quartal 2012 den Gegenwind der Weltwirtschaft zu spüren. Von Münchner Rück sind hingegen solide Zahlen zu erwarten.

Entscheidend bleiben allerdings die Ausblicke für 2013, die insbesondere für die zweite Jahreshälfte mit Blick auf die sich wieder festigende Weltkonjunktur freundlicher ausfallen dürften.

Auf Makroebene gilt der Fokus der Anleger weiterhin den Fundamentaldaten. In Amerika dürfte ein erneuter Anstieg des ISM-Index für das Dienstleistungsgewerbe - es steuert immerhin drei Viertel zur US-Wirtschaftsleistung bei - auf eine US-Konjunkturerholung hindeuten. Die ebenso zunehmenden Auftragseingänge in der US-Industrie bestätigen dieses Bild zusätzlich.

In Euroland gilt die Aufmerksamkeit der Anleger der anstehenden Notenbanksitzung der EZB. Hier dürfte Draghi erneut auf das gestiegene Vertrauen an den Finanzmärkten verweisen und die Euro-Stärke zum Thema machen.

Mit Interesse dürften in Deutschland die im Jahresvergleich weniger stark rückläufigen Auftragseingänge der Industrie aufgenommen werden, die darauf hindeuten, dass die deutsche Wirtschaft spätestens im II. Quartal an Fahrt aufnimmt.

Aus charttechnischer Sicht dürfte der DAX weiter die psychologisch wichtige Marke bei 8000 Punkten ansteuern. Darüber wartet der nächste massive Widerstand bei 8151 Punkten, bevor der DAX Kurs auf die Marken bei 8250 und 8500 nimmt.

Im Falle einer technischen Reaktion findet der DAX bei 7790 Punkten eine erste Unterstützung. Darunter warten die nächsten Auffanglinien bei 7750 Punkten. Durchbricht der DAX auch diese, sind weitere Kursverluste bis hin zu 7635 und 7600 Punkten ins Auge zu fassen.

Halvers Woche:

Das süße Gift der Harmonie in der Eurozone

Das Thema Euro-Krise verliert an Bedeutung. Plastisch wird dies beispielsweise, wenn man unter Google Trends den Suchbegriff „Euro-Krise“ eingibt. Es ist festzustellen, dass das Suchvolumen vom Hochpunkt im Juli 2012 bis heute um über 60 Prozent abgenommen hat.

Die „Alles wird gut-Politik“

Ja, die Krisenwogen wurden sehr geglättet. Mittlerweile ist kein Problem mehr so groß, dass es nicht mit viel euro-politischer Harmonie gelöst werden kann. So werden Austritte von prekären Ländern aus der Eurozone zur Not auch mit allen möglichen Finanz- und Bilanztricks verhindert. Und Spanien mit seiner theoretisch großen Krisenbedrohung wird erst Recht irritationsfrei über die Zeit gebracht. Denn ein spanisches Rettungspaket, das als Blaupause für das noch größere Italien dienen könnte, passt nicht in den neuen euroländischen Frieden. Überhaupt, hat nicht EZB-Chef Draghi unmissverständlich klar gemacht, dass er notfalls in unbegrenztem Umfang Anleihen prekärer Staaten aufkaufen wird? Und hat daraufhin nicht Japan begonnen auch iberische Staatsanleihen zu kaufen, um sich nicht nur ihre vergleichsweise hohen Renditen zu sichern, sondern - exportpolitisch noch viel wichtiger - den Euro zu stärken bzw. den japanischen Yen zu schwächen? Also warum jetzt noch ein Rettungspaket für Spanien schnüren, das als Bedingung Spardiktate beinhaltet, die die soziale Sprengkraft noch weiter erhöhen würden?

Ohnehin ist Spanien beim sogenannten Elends-Index - er summiert Inflations- und Arbeitslosenrate - bereits heute einsame europäische Spitze. Statt zu sparen sieht sich Euroland also gezwungen, den Iberern ein höheres Budgetdefizit - mehr Neuverschuldung - zu gewähren. Der Stabilitätspolitik als vermeintlich oberste Priorität wird wieder einmal aus Gründen der Rezessionsbekämpfung der Rücken zugekehrt. Dass damit auch Reformaktivitäten zurückgesteckt werden, die ja schließlich den sozialen Druck noch erhöhen würden, versteht sich fast von selbst. Wenn das mal nicht in anderen prekären Ländern der Eurozone Schule macht.

Europa hat ein neues Lieblingswort: Integration

Aus deutscher Sicht könnte man jetzt fragen, was gehen uns die Probleme der anderen Länder an? Uns geht es doch gut. Die Welt liebt unsere Produkte und unsere geringe Arbeitslosigkeit und Verschuldung stehen auf den Wunschzetteln aller europäischen Wirtschafts- und Finanzminister an erster Stelle.

Aber schauen wir einmal über den aktuellen Tellerrand hinaus. In den letzten Wochen und Monaten fällt in der Euro-Politik ein Begriff immer häufiger: Integration. Sie wird von vielen maßgeblichen Politikern als alternativloses Instrument betrachtet, um aus dem fragilen europäischen Flickenteppich ein vermeintlich krisenresistentes Gesamtgebilde zu machen.

Dieses Musketier-Prinzip klingt auf den ersten Blick gut. Endlich ziehen alle an einem Strang. Wie so oft ist jedoch der zweite Blick entscheidend. Denn mehr Harmonie hat ihren Preis. Sie geht nur über Kompromisse. Und Kompromisse bedeuteten bei Betrachtung der Geschichte der europäischen Politik immer eins: Die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Harmonie ist kein Selbstzweck

Bei der Formung eines glatten, harmonischen Europa-Steins erlaube ich mir daher die Frage, ob dem Harmoniehobel nicht auch viele deutsche Standortvorteile zum Opfer fallen werden. Denn Integration wird konsequenterweise auch eine stärkere Wirtschafts- und Finanzunion beinhalten müssen. Werden also auch das Arbeits- und Rentenrecht euro-solidarisiert und damit auch unsere Wettbewerbsbedingungen im globalen Vergleich verteuert. Werden die Starken über die Stärkung der Schwachen so lange geschwächt, bis auch die Starken schwach sind?

Die deutsche Industrie ist gerade auch wegen ihrer guten Standortbedingungen außerhalb Westeuropas, vor allem in den Schwellenländern erfolgreich. Nur so können wir uns ein Stück weit von der europäischen Malaise befreien. Wir haben uns entschlossen, wirtschaftlich nicht nur bei der Europa-, sondern auch bei der Weltmeisterschaft mitzuspielen. Davon profitiert nicht zuletzt unser Arbeitsmarkt.

Man macht die Schwachen nicht stark, wenn man die Starken - auch unter dem Deckmäntelchen der Harmonie - schwächt. Und es hat nichts mit Euro-Skeptizismus zu tun, wenn auf dem Weg zur verstärkten europäischen Integration ab und zu die Alarmglocken ertönen, im Gegenteil, es stärkt den Verbund. Integration und Harmonie dürfen nicht bedeuten, dass aus Apfel, Birne, Pflaume, Kirsche und Erdbeere einfach nur Obst wird. Ein bisschen Cameron darf durchaus in jedem von uns stecken.

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen