Kommentar
19:45 Uhr, 13.05.2011

Die Lösung der griechischen Frage oder die Quadratur des Kreises

Seit Mai 2010 erhält Griechenland umfangreiche Finanzmittel der EU und des IWF. Im Gegenzug muss das Land massive Haushaltskonsolidierungen durchführen, um 2012 über eine dann verbesserte Bonität wieder problemlos Refinanzierungen am freien Kapitalmarkt zu erhalten. Offensichtlich ist Griechenland bislang aber wenig erfolgreich, das Staatsdefizit bis Ende 2011 auf das geforderte Niveau von 7,4 Prozent zu reduzieren.

Daher müsste im griechischen Staatshaushalt noch mehr eingespart und auch die Löhne drastisch reduziert werden, die sogenannte interne Abwertung. Politisch stößt dieses Unterfangen jedoch an seine Grenzen, da die Bereitschaft dafür in der Bevölkerung abnimmt. Von wirtschaftswissenschaftlicher Seite wird bereits vor einem rigiden Sparkurs ähnlich dem des sogenannten „Hungerkanzlers“ - dem deutschen Reichskanzler Heinrich Brüning - gewarnt, der Anfang der 30er-Jahre die deutsche Wirtschaft „kaputt sparte“ mit der Konsequenz massiver sozialer Spannungen. Im strikten Währungskorsett sind von der wettbewerbsschwachen griechischen Wirtschaft ohnehin kaum positive Impulse zu erwarten.

Damit werden momentan also jene Wachstumsimpulse geschwächt, die zur Erwirtschaftung von Zinsen und Tilgung der Staatsschulden dringend benötigt werden. Die keynesianischen Multiplikatoreffekte lassen grüßen.

Aus eigenen Mitteln wird sich also keine erforderliche Verringerung der griechischen Schuldenlast einstellen. Die Finanzmärkte quittieren dies mit Renditen für 10-jährige griechische Staatsanleihen von fast 16 Prozent. Damit ist das Vorhaben, im kommenden Jahr drei Viertel der neuen Staatsschulden über den Kapitalmarkt zu refinanzieren, reine Utopie, ja volkswirtschaftlicher Selbstmord.

Wie kann es also Griechenland schaffen, sein Staatsschuldenproblem - immerhin sind es um die 340 Mrd. Euro - in den Griff zu bekommen?

Verlängerung der Laufzeit der Kredite von EU und IWF

Eine erste Möglichkeit, Griechenland eine Entspannung bei seinem Schuldenmanagement zu gewähren, wäre - bezogen auf das 110 Mrd. schwere Hilfspaket von EU und IWF - die Verlängerung der Kreditlaufzeiten und eine Verringerung der vereinbarten Zinssätze. Angereichert werden könnten diese Zugeständnisse durch Lockerungen bei den vereinbarten Konsolidierungen im Staatshaushalt. De facto geht es hierbei aber lediglich um eine Verbesserung des Liquiditätsmanagements. Die damit verbundenen Ersparnisse würden den weiteren Finanzbedürfnissen des griechischen Staates aber nicht ansatzweise gerecht. Damit wäre ebenso eine nennenswerte Zinsentspannung am Kapitalmarkt, die Griechenland die Rückkehr an die Kapitalmärkte erlaubt, nicht zu erwarten. Im Übrigen warum sollten nicht Irland und Portugal ähnliche Zugeständnisse bei ihren Auflagen fordern und auch erhalten?

Ausweitung des Rettungsschirms

Vor diesem Hintergrund denkt Euroland schon längst über eine Ausweitung der Finanzhilfen nach. Weitere 60 Mrd. Euro sind bereits im Gespräch. Das Land hätte grundsätzlich mehr Zeit, seine Wirtschaft zu reformieren und die benötigten Sparmaßnahmen durchzuführen.

Auch die Euro-Politik hätte Zeit gewonnen. Nach neuerlichen Hilfen würde sich zumindest zeitweise Entspannung einstellen. Die Ruhe wäre aber nicht von langfristiger Natur. Denn die Finanzmärkte verwiesen weiter auf die finanzielle Unselbstständigkeit der griechischen Volkswirtschaft. Unterstützt würden sie von den Rating-Agenturen mit ihren Bonitätsherabstufungen. Die offiziellen Marktrenditen für griechische Staatsanleihen blieben nachhaltig hoch. Die Gefahr wäre groß, dass Griechenland auf Dauer vom Kapitalmarkt ausgeschlossen wäre und ein festes Transfersystem zugunsten Griechenlands und zu Lasten der Steuerzahler reicherer Euro-Länder etabliert würde. Damit bestünde die große Gefahr, dass sich dieses moral hazard-Risiko auch auf weitere Länder ausdehnt, denn Anstrengungen, schmerzhafte Reformen durchzuführen, könnten aufgrund der Perspektive, im Falle eines Falles gezwungenermaßen von EU und IWF Hilfe zu bekommen, gering ausgeprägt sein. Große Investoren in süd-euroländische Staatsanleihen wie Banken und Versicherungen würden sicherlich massiv Druck aufbauen, dass diese Hilfen tatsächlich bereit stünden.

Allerdings dürfte der Widerstand in den Geberländern wachsen. Neue Hilfspakete müssen einstimmig von allen EU-Ländern verabschiedet werden. Ausreißer sind - siehe die „Wahren Finnen“ - immer möglich. Und selbst in Deutschland, einem Land, dass exportseitig eindeutig von Euroland und Euro profitiert, regt sich mittlerweile Widerstand.

Umschuldung der griechischen Staatsanleihen

Griechenland muss eine gewaltige Verschuldung von ca. 340 Mrd. Euro und damit eine Verschuldungsquote von 160 Prozent zum BIP schultern. Dies nimmt dem griechischen Staat jede Form der Handlungsfähigkeit. Tragbar wäre ein Verhältnis von 80 Prozent. Daher müssten, um dem Staat Luft zu verschaffen, Umschuldungen durchgeführt werden. Die harte Variante wäre ein Forderungsverzicht (Haircut), der, um Wirkung zu erzielen, in beträchtlichem Ausmaß stattfinden müsste. Griechenland wäre damit zwar auf einen Schlag massive Schuldenbestände los. Die griechische Kreditwürdigkeit wäre aber langfristig ramponiert und damit der Weg zurück auf die Kapitalmärkte für lange Zeit verbaut. Aus der Verpflichtung, weitere Hilfsmaßnahmen leisten zu müssen, kämen der IWF und die EU also nicht heraus. Eine Konsequenz wäre der Dominoeffekt. Die Kapitalmärkte würden ähnliche Lösungen auch für Portugal und Irland durchspielen und - mit Unterstützung der Rating-Agenturen - vermutlich auch erzwingen. Insgesamt würde in der Konsequenz der gewaltige Abschreibungsbedarf der Banken und Versicherungen die Gefahr einer neuen Finanzkrise herauf beschwören. Der erneute Bittgang an den Steuerzahler wäre vorprogrammiert. Eine Gewähr, dass zukünftig neue Forderungsverzichte ausbleiben, wäre auch nicht von der Hand zu weisen. Im Übrigen sollte dann nicht vergessen werden, dass auch der private Anleger - mit seiner Altersvorsorge - in Mitleidenschaft gezogen würde. In vielen Finanzprodukten sind Anleihen der Peripherie enthalten.

Wenn überhaupt wäre nur die milde Variante der Umschuldung möglich. Wenn schon auf Forderungen an den oder die peripheren Schuldner verzichtet werden muss und eventuell die Laufzeit der bestehenden Anleihen der privaten Gläubiger verlängert werden soll, so müsste die Auszahlung der Restforderungen garantiert werden. Diese Lösung, die als Brady-Bonds schon bei der Sanierung Argentiniens angewendet wurde, sähe vor, dass z.B. Banken griechische Staatsanleihen zum jeweiligen Marktpreis gegen von IWF oder EU garantierte Staatsanleihen tauschten. Griechenland wäre Schulden in beträchtlicher Höhe los und die Gläubiger der neuen Papiere verfügten zumindest über sichere Staatspapiere. Ähnlich wie bei der harten Version träten aber auch hier massive Abschreibungen auf, verlöre der private Anleger Auszahlungsansprüche und bliebe das moral hazard-Risiko bestehen.

Austritt aus der Währungsunion

Das grundlegende Problem ist, dass die griechische Wirtschaft im internationalen Vergleich wenig wettbewerbsfähig ist. Erschwerend kommt hinzu, dass im strikten Währungskorsett des Euros kaum Abhilfe geschaffen werden kann, da Abwertungen nicht möglich sind. Von daher wird von Wirtschaftswissenschaftlern der Vorschlag gemacht, Griechenland solle aus dem europäischen Währungsverbund austreten und über Abwertungen seine Wirtschaftsprobleme in den Griff bekommen. Hierbei wird der Vergleich mit Deutschland gezogen, dass nach dem II.Weltkrieg auch über eine günstige Deutsche Mark seine Exportstärke dynamisieren konnte.

So einleuchtend dieser Vorschlag auf den ersten Blick erscheint, so gravierende Konsequenzen hätte er jedoch. Da die Schulden auf Euro lauten, stiege bei der Wiedereinführung z.B. der Drachme die Verschuldung Griechenlands auf ein Niveau, das das Land endgültig in die Insolvenz führte. Würde es nur beim Austritt von Griechenland und vielleicht später Portugal bleiben, hätte man vielleicht noch eine Chance, diesen bereits hohen Abschreibungsbedarf großer Investoren stemmen zu können. Aber Länder wie Spanien oder auch Italien würden schmerzlich feststellen, dass die ausgetretenen Länder ihre Agrargüter, Weine und Urlaubsreisen über Währungsabwertungen deutlich günstiger anbieten können als die im Euroraum Verbliebenen. Umsatzeinbrüche mit Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze wären die logische Konsequenz. Gerade dieser Aspekt war für Spanien und Italien ein entscheidendes Argument, den Beitritt der Hellenen und Portugiesen zur Währungsunion zu forcieren. Die einfache Frage, die sich für diese Länder dann stellen würde, wäre, welchen Vorteil man überhaupt noch durch die Euro-Mitgliedschaft hätte. Ohne Perspektive für seine Bevölkerung hat es jeder Politiker schwer, wiedergewählt zu werden. Eine Austrittswelle würde auch auf der jeweiligen nationalen politischen Bühne zunehmend hoffähig und wahrscheinlich. Die Abschreibungen bei Banken und Versicherungen würden dann auf ein Niveau steigen, dem gegenüber die Konsequenzen der Pleite der Lehmann-Bank verblassen würden.

Aus dem gleichen Grund ist auch die Einteilung in einen Stark- und Schwach-Euroraum schwierig umzusetzen. Außerdem würden an den Finanzmärkten Wetten gehandelt, wie lange das jeweils schwächste Glied wohl noch im starken Verbund verbleiben könnte. Die Investoren würden frühzeitig ihr Kapital abziehen. Zum Schluss wäre ein kleines Rest-Euroland übrig. Die Exporte Deutschlands, die mit ca. 40 Prozent massiv in die Eurozone gehen, würden unweigerlich nachgeben und damit unser deutsches Geschäftsmodell einbrechen lassen. Die Schwellenländer und Amerika könnten diese Umsatzausfälle nicht ausgleichen. Käme es gar zu einem Austritt Deutschlands aus einer ansonsten aufrechterhaltenen Eurozone, verschärften sich die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme zusätzlich massiv.

Alle Konsequenzen zu Ende denken

Es ist müßig zu sagen, wir hätten besser von vornherein eine Eurozone mit wenigen, finanziell unverdächtigen Teilnehmern schaffen sollen. Jetzt haben wir die große Vereinigung. Jede Lösung der Probleme muss zu Ende gedacht werden, da sie weitreichende Konsequenzen hat.

Bei aller berechtigten Kritik an den Zuständen in der Eurozone sollte nicht vergessen werden, dass Deutschland als großes Geberland - das ist nicht zu bestreiten - auch den größten realwirtschaftlichen Nutzen hat. Das haben die letzten Konjunkturdaten gezeigt. Wir sind klare Export-Europameister.

In punkto Schuldenproblematik muss sich Euroland grundsätzlich im Vergleich zu den USA, dem Vereinigten Königreich und Japan nicht verstecken. Diese Länder haben sicherlich eine gemeinsame kulturelle Identität, die politische Durchgriffsmöglichkeiten bei auftretenden Problemen zügig erlaubt. In Euroland denkt man dagegen schwerpunktmäßig immer noch eher national. Das ist das Grundproblem.

Eine Verkleinerung der Eurozone oder stünde sie im Extremfall sogar zur Disposition würde den europäischen Flickenteppich, sozusagen das alte Europa, wieder installieren, das sich in einer globalisierten Welt gegenüber den USA, China und den Schwellenländern immer weniger politisch durchsetzen kann und damit schließlich auch an Wirtschaftskraft einbüßt. Da wir auf z.B. Rohstoffeinfuhren angewiesen sind, ist ein politischer Zusammenhalt von großer Bedeutung. Und schließlich geht es auch nicht zuletzt um die europäische Friedensordnung.

Die Lösung der griechischen bzw. weitergedacht der euroländischen Frage wird sich nicht polarisierend in schwarz oder weiß zeigen, also Transferunion, Austritt oder Staatsbankrott. Es werden die Grautöne sein. Eine Mischung aus neuen Unterstützungsleistungen, überschaubaren Umschuldungen, nationalen Konsolidierungsmaßnahmen und viel viel Zeit ist naheliegend.

Als der Weg des geringsten Widerstands wird die Euro-Politik die Lösung der Ausweitung der Hilfsprogramme favorisieren. Es wäre wünschenswert, wenn man zum Wohle Eurolands und seiner Steuer zahlenden Bürger über den eigenen Schatten springen würde und weiter denkt. Demnächst mehr in diesem Theater.

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG: www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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