Kommentar
14:05 Uhr, 24.05.2013

Die Happy Hour der Geldpolitik ist alles, aber nicht vorbei

Die Konjunkturstimmung in Euroland konnte sich von den Rückschlägen der vergangenen Monate leicht erholen. So hat der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe mit einem Wert von aktuell 47,8 nach 46,7 seinen Abwärtstrend gestoppt. Die Verunsicherung der Unternehmer bleibt aber bestehen. Die Konjunkturstimmung in Frankreich z.B. - der zweitgrößten Euro-Volkswirtschaft - kann sich nur auf schwachem Niveau stabilisieren. Insofern sind die Chancen für eine kraftvolle Konjunkturerholung der Euro-Wirtschaft im II. Halbjahr 2013 gering. Vor diesem Hintergrund treffen die Forderungen des IWF, zumindest kurzfristige Maßnahmen zur Stimulierung der Euro-Wirtschaft - also mehr Staatschulden - zu ergreifen, auf offene Ohren.

„Rezession in Deutschland fällt aus“

Deutschland mit konjunkturellen Steherqualitäten

Zurückhaltender zeigt sich auch die Konjunkturstimmung in China. Der von der britischen Bank HSBC veröffentlichte Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe fällt mit einem Wert von 49,6 das erste Mal seit sieben Monaten unter die Expansion anzeigende Schwelle von 50. Dies eröffnet vor dem Hintergrund einer schwachen Inflationsrate von zuletzt 2,4 Prozent der People’s Bank of China jedoch mehr geldpolitischen Spielraum zur Stabilisierung der Konjunktur. Das robuste chinesische Wirtschaftswachstum ist insgesamt nicht in Gefahr.

Trotz des wirtschaftlich schwierigen Fahrwassers verdeutlichen die letzten Daten des ifo Instituts für Mai eine Stabilisierung der Konjunkturstimmung. Die Geschäftslage hat sich verbessert, während sich die Geschäftserwartungen nach zweimaligem Rückgang immerhin stabilisiert haben. Setzt man Lage und Erwartungen gemäß den vier Phasen eines Wirtschaftszyklus zueinander in Beziehung, bewegt sich die deutsche Wirtschaft im Seitwärtstrend auf der Schwelle zwischen Boom und Abschwung. Erfreulich ist die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft nicht dem klassischen Wirtschaftszyklus folgt, wonach dem Abschwung jetzt die Rezession folgen müsste. Diese fällt offensichtlich aus.

Die internationale Bruderschaft der lockeren Geldpolitik

Grundsätzlich bleibt den internationalen Notenbanken angesichts der bislang wenig fruchtenden Weltwirtschaftserholung keine andere Wahl, als die massive geldpolitische Stütze aufrechtzuerhalten. Dabei nehmen die Notenbanken eine blasenhafte Liquiditätsaufblähung billigend in Kauf. So wird die kumulierte Bilanzsumme der drei großen Notenbanken Fed, EZB und Bank of Japan bis Ende 2014 vom aktuellen Niveau aus um mehr als die Hälfte zunehmen, um der Konjunktur und den Finanzmärkten die nötigen Impulse zu geben.

Grafik der Woche: (Projizierte) Kumulierte Bilanzsumme der Fed, EZB und BoJ und durchschnittliches Wirtschaftswachstum in Japan, den USA und Euroland, indexiert

„Die Bank of Japan kennt nur ein Gas, Vollgas“

Der japanische Notenbankpräsident Kuroda hat auf der letzten Zinssitzung ein weiteres Mal die Ausweitung der Geldpolitik unmissverständlich bekräftigt. Ziel der Geldpolitik ist eine Inflation von zwei Prozent im Jahr 2015. Die Tatsache, das Japan im Augenblick von einer Deflation in Höhe von minus 0,9 Prozent heimgesucht wird, macht deutlich, welche dramatischen geldpolitischen Schritte noch unternommen werden müssen, um den Finanzmärkten glaubhaft zu versichern, dass die Ziele Reflationierung und Stützung der Konjunktur ernsthaft verfolgt werden. Selbst im konjunkturellen Boom-Jahr 2007 lag die Inflationsrate in Japan bei maximal 2,3 Prozent.

„Im Zweifel mehr Liquidität“

Die Notenbanken befinden sich in einem Dilemma. Angesichts der starken Aktienmarktentwicklung der letzten Monate existieren Bedenken vor einer drohenden Blasenbildung an den Finanzmärkten. So werden vereinzelte Stimmen in den Reihen der Fed laut, die ein Ende der massiven Liquiditätsoffensive fordern. So ließ sich selbst US-Notenbankchef Bernanke kürzlich eine Hintertür zur Abschwächung des aktuellen Anleiheaufkaufprogramms offen.

Allerdings sind der US-Notenbank die Gefahren einer auch nur schwachen Zinswende im Status Quo einer sich selbst noch nicht tragenden US-Konjunkturerholung wohl bewusst. Daher hat Bernanke auch versichert, dass die geldpolitische Stütze noch so lange erhalten bleibt, bis sich die „harten“ Wirtschaftsdaten bessern. Und da sich insbesondere die Entwicklung auf dem US-Arbeitsmarkt - der für die US-Geldpolitik entscheidende Indikator - trotz der jüngsten Erholung immer noch schwach zeigt, kann ein Ende der Liquiditätsoffensive vorerst nicht in Sicht sein.

Ohnehin wäre selbst mit einer Reduzierung der monatlichen Aufkäufe von Staats- und Hypothekenanleihen - derzeit im Volumen von 85 Mrd. US-Dollar monatlich - immer noch eine Liquiditätszufuhr verbunden.

„Wer soll die Konjunktur denn sonst stützen?“

Verschuldungsparadies der Staaten bleibt erhalten

Vor dem Hintergrund einer ausbleibenden Zinswende verharren auch die Renditen der Staatsanleihen weiterhin auf ihrem äußerst niedrigen Niveau. Hintergrund ist, dass es sich für Banken immer noch lohnt - sie können sich günstig bei den Notenbanken in Japan und den USA zu quasi Null Prozent und in Euroland zu 0,5 Prozent Geld leihen - in Staatspapieren zu investieren. In der Folge werden die Renditen von Staatsanleihen anhaltend gedrückt. Die Rendite einer hypothetischen „Triaden-Staatsanleihe“ - als gleichgewichteter Durchschnitt der Renditen 5-jähriger US-, japanischer sowie deutscher Staatsanleihen - befindet sich immer auf anhaltend tiefem Niveau. Diese günstige Refinanzierung von neuen Schulden - der Staat ist als Konjunkturstützer angesichts des Ausfalls von Export, Konsum und Investitionen dringend gefordert - ist ein Hauptanliegen der Notenbanken. Ein baldiges Ende der ultralockeren Geldpolitik ist nicht möglich.

Diese nahezu grenzenlose Liquiditätsausstattung der Finanzmärkte, gepaart mit unattraktiven Renditen von Staatsanleihen, bleibt ein entscheidender Treiber für die Aktienmärkte.

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Deutsche Aktien auf den zweiten Blick nicht auf Rekordstand

Deutsche Aktien haben ihr Kurspotenzial noch nicht ausgeschöpft. Zwar befindet sich der DAX auf hohem Niveau. Inflationsbereinigt auf Basis Februar 1991 ist er jedoch noch gut 18 Prozent von seinem Allzeithoch vom März 2000 entfernt.

Im Übrigen ist der DAX ein sogenannter Performance-Index, der Dividenden mitberücksichtigt. Ohne Dividenden ist der reine Kursindex von seinen Hochständen 1997, 2000 und 2007 noch teilweise weit entfernt. Der DAX-Kursindex - also der reine Aktienkursindex ex-Dividende - liegt rund 1700 Basispunkte unter seinem Allzeithoch vom März 2000.

Aktien laufen Gold den Rang ab

Die Liquiditätspolitik der internationalen Notenbanken überdeckt die Krisensymptome und sorgt so für einen wachsenden Risikoappetit bei Aktien. Deutlich ist dies an der Entwicklung der weltweit von börsengehandelten Fonds gehaltenen, physischen Goldbestände erkennbar. Mit zunehmender Krisenentspannung haben die Goldfonds mit deutlichen Mittelabflüssen zu kämpfen. Dagegen steigen die Aktienkurse: Der US-Aktienindex S&P 500 konnte seit Jahresbeginn um knapp 16 Prozent zulegen.

Mit der sinkenden Investmentnachfrage nach Gold fällt ebenso eine wichtige Preisstütze für das gelbe Edelmetall weg. An Gold als Portfoliobeimischung zur langfristigen Absicherung gegen bestehende System- und Preisrisiken sollte dennoch festgehalten werden.

Und das passiert in der 22. Kalenderwoche

In der kommenden Woche steht ein dünner Makrodaten-Kalender an. In den USA dürfte der Einkaufsmanagerindex der Region Chicago eine leichte Aufhellung der Konjunkturperspektive signalisieren. Darüber hinaus steht der US-Konsum im Vordergrund. Das Verbrauchervertrauen - von der Universität von Michigan veröffentlicht - setzt seine Aufwärtsbewegung fort.

In Deutschland dürften die Einzelhandelsumsätze weiter leicht zulegen. Das stabile deutsche Arbeitsmarktumfeld sorgt weiterhin dafür, dass die deutsche Binnenwirtschaft ihren Status als solide zweite volkswirtschaftliche Stütze nicht verliert. Außerdem bleiben die Deutschen angesichts niedriger Zinsen in Kauflaune.

Aus charttechnischer Sicht erhält der DAX eine erste Unterstützung an dem Anfang Mai überwundenen Aufwärtstrendkanal bei 8271 Punkten. Wird diese Unterstützung durchbrochen, sind weitere Verluste in Richtung der nächsten Haltelinien bei 8074 und darunter 7953 Punkten einzukalkulieren. Die nächste Unterstützung folgt dann an der Marke bei 7872 Punkten.

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse Baader Bank AG

Halvers Woche:

Noch schlägt Geldrausch fundamental solide Langeweile

Die Kapitalmärkte treiben manchmal seltsame Stilblüten. Auf dem fundamentalen Auge scheinen die Börsen offensichtlich blind zu sein. So sind aktuell nicht die stabilen Schwellenländer die Stars in der internationalen Finanzmanege, nein es ist die instabile westliche Welt. Dass die Schwellenländer über gefragte Rohstoffe der technologischen Neuzeit wie Industriemetalle, Seltene Erden, Gold, Silber, Öl und Gas verfügen, schön. Dass China & Co. teilweise immer noch auf Wachstumsraten blicken wie Deutschland in seiner Sturm und Drang-Zeit der Wirtschaftswunderjahre sowie im Vergleich zur westlichen Welt nur waisenhaft geringe Verschuldungen tragen müssen, ja und? Dass deren Volkswirtschaften aufgrund einer günstigen Bevölkerungspyramide wirtschaftlich wie von der Muse geküsst werden, ach wirklich? Und dass der erfolgreiche Aufbau eines gesunden Mittelstands, der - wie bei uns nach dem Wiederaufbau - langfristig stabil wachsende, blühende Landschaften garantiert, honorieren die Finanzmärkten ähnlich verhalten wie Vegetarier fallende Schnitzelpreise.

„Innovationsalarm in Euroland“

Die Schwellenländer werden wirtschaftsfreundlich von der Muse geküsst, der Westen staatstragend von der Muffe gepufft

Und was hat unsere westliche Welt zu bieten? Demographisch betrachtet sterben wir aus und unser Mittelstandsbauch schrumpft Richtung Wespentaille. Unsere Rohstoffe sind mehrheitlich die aus der industriellen und ökologischen Steinzeit, nämlich Stein- und Braunkohle. Und wenn irgendwo Innovationsalarm herrscht, dann wohl bei uns, wo viele Politiker konjunkturpolitische Scheuklappen tragen. So mancher frühere, wirtschaftsfreundlich deregulierende Sheriff von Nottingham gefällt sich heutzutage in der Rolle des staatstragend regulierenden Robin Hoods dann doch besser.

Aber Hand aufs Herz, es gibt eine Disziplin, da ist die westliche Welt wirklich einsame Weltklasse: Niemand betätigt so diszipliniert, so beharrlich, so unbeirrt die Tastenkombination „Steuerung/ P“ - das ist auf der Tastatur der Druckbefehl - wie die geldpolitische Drückerkolonne der Fed, Bank of Japan und der Bank of England. Auch die EZB ist mittlerweile Kolonnenvollmitglied: Auf ihrer Verpackung steht zwar noch Bundesbank drauf, aber längst ist US-Notenbank drin. Um einer Depression der euroländischen Wirtschaft aufmunternd entgegenzuwirken, kann man ähnlich wie bei einer Werbung für Melissengeist sagen „Nie war die EZB so wertvoll wie heute“.

„Der Zuckerrausch der westlichen Geldpolitik“

Geldpolitik macht Renten froh und Aktien ebenso

An den Finanzmärkten scheinen die fundamental soliden Verhältnisse der Emerging Markets gegenüber der von der Geldpolitik künstlich angeheizten Partylaune im Westen fast schon zu langweilen. Ja, die Helden an den internationalen Finanzmärkten sind die Stabilitäts-Outlaws. Denn warum liegen die Risikoaufschläge für Schwellenländer gegenüber deutschen Staatsanleihen in der Spitze bei 10 Prozent? Warum hängen Nikkei, Dow Jones, Euro Stoxx und DAX ihre Konkurrenten aus den Schwellenländern ab wie ein ICE die Dampflok?

De facto zwingt der Zuckerrausch der westlichen Geldpolitik und Regularien - auch darin sind wir Spitze - Banken und Versicherer regelrecht, Staatspapiere der Stabilitätssünder zu kaufen. Und wie bei Backhefe wachsen die Aktienmärkte als aus Renditesicht alternativlose Anlageklasse mit in den Himmel. Überhaupt, wie will ein Vermögensverwalter seinen Kunden erklären, bei Aktien nicht dabei zu sein?

„Ben Bernanke: Der Hofschauspieler der Geldpolitik“

Helicopter-Ben wird nicht zum Zick Zack-Ben

Die westliche Geldpolitik ist die alles beherrschende Größe an den westlichen Finanzmärkten. Als Beweis dient der kürzliche Auftritt von US-Notenbankchef Ben Bernanke vor dem US-Kongress. Zuerst hatte er der amerikanischen Wirtschaft keine ausreichende Wachstumsstärke bescheinigt und in punkto Inflation auf Entspannung gemacht. Das spricht zunächst für „Weiter so, Ben“. Die Aktienmärkte frohlockten wie die Engel an Weihnachten. Dann jedoch ließ folgende Aussage die liquiditätsverwöhnten Aktienmärkte erbleichen wie der unangekündigte Besuch der Schwiegermutter am Wochenende: „Die Fed könnte auf ihren nächsten Sitzungsterminen die Aufkäufe von Anleihen reduzieren, wenn die Daten dies unterstützen“.

Klopfen wir die Aussagen von Ben doch einmal nüchtern auf ihren Nährwert ab. Die „Daten“, vor allem die des US-Arbeitsmarkts - nicht nur quantitativ, auch qualitativ - schreien nicht Hurra. Im Übrigen, gibt nicht die haushaltspolitische Konsolidierung in Amerika der Fed sogar die höheren Weihen für eine ausgleichende Geldpolitik? Und selbst wenn die US-Notenbank irgendwann tatsächlich weniger neues Geld drucken sollte, kommt doch immer noch ein Schippchen oben drauf. Das ist kein Ausstieg, noch nicht einmal der Einstieg in den Ausstieg.

Erst bei einem wirklichen Ausstieg käme es zu schweren Entzugserscheinungen an den Finanzmärkten. Davon hat er aber - ich habe genau hingehört - nichts gesagt. Nicht zuletzt haben die irritierten Reaktionen der Aktienmärkte gezeigt, dass Konjunktur und Finanzmärkte die geldpolitische Intensivstation noch lange nicht verlassen können.

Mit Ben Bernanke haben wir es mit einem dramaturgisch gewieften, geldpolitischen Hofschauspieler zu tun. Seine Absicht war es, zu signalisieren, dass die US-Notenbank keine von Konjunktur und Finanzmärkten Gejagte ist, sondern die Sache souverän im Griff hat. Hätten Sie es etwa anders gemacht?

Japan und die Eurozone insgesamt sind erst recht von blühenden Landschaften entfernt. Wie lange werden sie wohl noch die Notspeisung der EZB brauchen? 5, 10 Jahre oder noch länger? Ich glaube, wir sollten großzügig sein. Es wird dabei bleiben (müssen): Die westliche Geldpolitik lässt Anleger ähnlich wie das Raumschiff Enterprise in Aktien-Galaxien vordringen, die nie ein Aktionär zuvor gesehen hat.

Über den geldpolitischen Tellerrand der westlichen Welt schauen

Und dennoch, gerade die fundamental starken Aktien aus den Schwellenländern sollten insbesondere weiter die für Stabilität schlagenden deutschen Anlegerherzen erreichen. Erinnern wir uns: Selbst nach dem Neuen Markt kamen die Substanzwerte wieder, die ihr Leben bis dato wie Nachtschattengewächse fristen mussten.

Solide Aktienmärkte sprechen heute nicht mehr (amerikanisches) englisch oder japanisch. Heute sprechen sie chinesisch, mexikanisch, türkisch oder auch portugiesisch - allerdings mit brasilianischem Akzent.

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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