Kommentar
14:29 Uhr, 16.11.2012

Die EZB schlägt alles, aber nicht die Politik

Die Konjunkturstimmung in Deutschland bleibt verhalten. So beurteilen die vom ZEW befragten Finanzanalysten die aktuelle Konjunkturlage zum sechsten Mal in Folge schlechter. Und auch der Konjunkturausblick hat seinen Abwärtstrend nach einer zweimonatigen Unterbrechung wieder aufgenommen und spiegelt vor allem die enttäuschten Hoffnungen der Analysten auf eine politische Lösung der Euro-Krise wider. Selbst die Gründung der „Romanischen Schuldenunion“ trägt laut ZEW vorerst nicht zu einer nachhaltigen Beruhigung und damit einer Besserung der Konjunkturstimmung bei.

Laut ifo Institut hat sich ebenfalls die Stimmung in der Weltwirtschaft im IV. Quartal erneut, wenn auch nur leicht, eingetrübt. Ein Krisen-Szenario ähnlich wie im Jahr 2009 ist aber nicht erkennbar.

„Deutschland hat konjunkturell die Nase vorn“

Trotz der verhaltenen Stimmung beweist die deutsche Wirtschaft im abgelaufenen III. Quartal dennoch ihre Qualitäten und kann insbesondere den Wachstumsvorsprung zu der in die Rezession abgerutschten Eurozone weiter ausbauen. Während die euroländische Wirtschaft im vergangenen Vierteljahr um 0,6 Prozent schrumpfte, konnte Deutschland um 0,9 Prozent wachsen. Auch behält Deutschland beim Vergleich mit Frankreich seine Nase vorn.

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Geldpolitik muss aktive Konjunkturpolitik betreiben

Die EZB bleibt mit ihrer expansiven Geldpolitik der ultimative Konjunkturstabilisator der Eurozone. Unterdessen plant die US-Notenbank bereits ihren nächsten geldpolitischen Expansionsschritt. So mehren sich die Stimmen in der Fed, nach dem Auslaufen der „Operation Twist“ Ende des Jahres - dem Umtausch von kurz- in langlaufende Staatsanleihen - und dem ohnehin permanenten Aufkauf hypothekenbesicherter Anleihen weitere Aufkäufe von US-Staatsanleihen tätigen zu wollen. Die Fed wird nicht eher ruhen, bis sie ihr geldpolitisches Ziel der nachhaltigen Dynamisierung des US-Arbeitsmarkts erreicht hat.

Ohnehin zählt die gesamte Weltwirtschaft auf die Unterstützung aller großen, internationalen Notenbanken. Neben immer neuen Liquiditätsoffensiven sorgen sie ebenso zinspolitisch nach Abzug der Inflation für wirtschaftsstützende, negative Realzinsen, die z.B. in den USA, im Vereinigten Königreich, in der Türkei und in Euroland seit mehr als zwei Jahren zu beobachten sind.

Selbst die Geldpolitik in den Schwellenländern leistet tatkräftige Schützenhilfe. Im Vergleich zum konjunkturellen Krisenjahr 2009 nimmt man zur Stabilisierung der heimischen Wirtschaft auch dort deutlich niedrigere reale Notenbankzinsen in Kauf, auch wenn sie höheren Inflationsdruck bedeuten.

Das Argument für diese freizügige Zinspolitik in der westlichen Welt ist es, für tragfähige Staatsschulden zu sorgen. Genau diese Fähigkeit ist unverzichtbar, denn die Länder der Euro-Südzone würden ohne schuldenfinanzierte Konjunkturstabilisierung nachhaltig in die Rezession und somit in noch schwierigeres soziales Fahrwasser geraten. Denn alternativ lassen die Reformaktivitäten, die eine Volkswirtschaft über Unternehmensinvestitionen auf Wachstumskurs bringen, noch deutlich zu wünschen übrig.

Deutsche Unternehmen als Meister der Globalisierung

Angesichts dieses Doppelschlags aus Staatsverschuldung und Geldpolitik wird ein Einbruch der Weltwirtschaft ähnlich wie im Krisenjahr 2009 verhindert. Nach der aktuellen Wachstumsdelle dürfte sich die Weltkonjunktur im Jahr 2013 wieder stabilisieren.

Davon scheint vor allem der deutsche Mittelstand zu profitieren. Seit Ende 2009 entwickeln sich deutsche Mittelstandswerte gemäß MDAX im Vergleich zur Kursentwicklung des DAX besser. Gerade der MDAX ist vergleichsweise konjunktursensitiver ausgerichtet. Zahlreiche Titel besetzen mit ihren spezialisierten Qualitätsprodukten, Industriepatenten und einer effizienten Kostenstruktur oftmals die Position als Marktführer auch in Nischenmärkten. Daher sind sie auch als Übernahmeobjekte seitens internationaler Investoren gefragt.

Als besonderes Charakteristikum kommt deutschen Unternehmen ihre grundsätzlich sehr breite internationale Aufstellung zugute. Sie können im Vergleich zu ihrer europäischen Konkurrenz daher die Krise in Euroland gut abfedern. So erwirtschaftete ein Großteil der deutschen Konzerne Ende 2011 bereits mehr als die Hälfte ihrer Umsätze außerhalb Europas und kann sich dadurch von den Verwerfungen auf dem europäischen Binnenmarkt ein gutes Stück weit lossagen.

Grafik der Woche: Umsatzanteile von DAX-Konzernen außerhalb Europas, in %

Die Bedeutung der Schwellenländer spielt dabei eine immer größere Rolle. Auch dank einer wachsenden und konsumierenden Mittelschicht haben sie sich zu nachhaltig bedeutenden Absatzmärkten für deutsche Unternehmen entwickelt. Insofern kann der Anleger mit diesen Unternehmen der deutschen Industrie-, Pharma- und Konsumgüterindustrie auch am Potenzial der Schwellenländer partizipieren.

Konkurrenzkampf in Euroland so brutal wie nie zuvor

Nicht zuletzt liegen deutsche Unternehmen auch kostenseitig im euroländischen Vergleich vorne. Zwar sind auch hierzulande steigende Lohnstückkosten zu verzeichnen. Dennoch liegen diese aber immer noch - dank der Reformanstrengungen im Rahmen der Agenda 2010 - klar unter dem euroländischen Durchschnitt und verdeutlichen damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Im Gegensatz dazu verlieren Italien, aber insbesondere auch Frankreich angesichts ausgebliebener Reformaktivitäten immer mehr an Standortqualität. Ihre Lohnstückkosten liegen deutlich über dem euroländischen und deutschen Durchschnitt. Frankreich ist ein besonders trauriges Beispiel für Reformmüdigkeit. Die französische Industrie - wie derzeit in der Autoindustrie zu beobachten - verliert deutlich an Boden. Dagegen tragen die Strukturreformen in Spanien und Portugal erste Früchte. Durch sinkende Lohnstückkosten jagt insbesondere die spanische Industrie der französischen Marktanteile ab.

Damit geraten zunehmend auch Euro-Kernländer in den Fokus der Märkte. So auch Frankreich, das sich im Gegensatz zu Deutschland wieder mit anziehenden Ausfallprämien konfrontiert sieht.

Aktuell trennt sich also in Euroland die Spreu vom Weizen. Denn in einer Phase sinkender bzw. stagnierender Umsatzzahlen in Euroland sind Kostenstruktur, Innovation und Globalisierung unverzichtbar.

Euro-Politik spielt wieder Hauptrolle an den Finanzmärkten

Ein früheres Handicap scheint wieder an Bedeutung zu gewinnen: Die politische Euro-Krise. Ohne Lösung der offenen Fragen bleibt ein Handicap für die Finanzmärkte erhalten, das selbst die Notenbanken nicht wegretuschieren können.

Wann kommt man zu klaren Beschlüssen in punkto Griechenland? Mit einer Wirtschaft, die im III. Quartal 2012 gegenüber dem Vorjahr um 7,2 Prozent und damit 17 Quartale in Folge geschrumpft ist, lässt sich definitiv keine nachhaltige Schuldentragfähigkeit erreichen. Auch eine Fristverlängerung bis 2016 wird außer einem politisch gewünschten Zeitgewinn - im nächsten Jahr sind Bundestagswahlen - keinen Erfolg bezüglich der Sanierung der griechischen Volkswirtschaft im Euro-Korsett zeigen. Allein diese Verlängerung wird die Gläubigernationen über 30 Mrd. Euro kosten. Griechenland bleibt ein permanenter Empfänger von Transfergeldzahlungen, die jedoch nie zurückgezahlt werden können.

Auch sollte man die Gefahr sozialer Unruhen nicht unterschätzen. Hat man gar keine Perspektive mehr, droht das Land unregierbar zu werden. Als einzige Lösung bleibt der Euro-Austritt, um eine wettbewerbsfähigkeitssteigernde Abwertung zu ermöglichen. Die griechische Bevölkerung hat einen Neustart verdient.

Wenn aber die Politik Griechenland entgegen jeder wirtschaftlichen Vernunft unbedingt in der Eurozone halten will, dann muss sie aber auch Farbe bekennen und den Wählern unangenehme Wahrheiten zumuten. Auch für die IWF-Chefin Lagarde scheint kein Weg an einem radikalen Schuldenerlass - selbst wenn es für den deutschen Steuerzahler schmerzhaft ist - vorbei zu gehen. Je länger der wackelpuddingartige Status Quo unklarer, auf die lange Bank geschobener Entscheidungen anhält, umso länger bleibt Griechenland ein nachhaltiger Beunruhigungsfaktor für die euroländischen Finanzmärkte.

Und was passiert in der nächsten Woche?

Auf Unternehmensebene präsentiert mit ThyssenKrupp das letzte Unternehmen aus dem DAX seine Quartalszahlen. Der Stahlproduzent dürfte den konjunkturellen Gegenwind der Weltwirtschaft im III. Quartal zu spüren bekommen haben.

Unterdessen dürften die euroländischen Einkaufsmanagerindices ihren Abwärtstrend fortsetzen. Das gilt zunächst auch für den ifo Geschäftsklimaindex. Insbesondere die ifo Geschäftslage wird dabei erneut verhaltener gesehen, wobei sich die ifo Geschäftserwartungen allerdings weiter stabilisieren und auf eine Besserung der wirtschaftlichen Situation 2013 hindeuten.

In Amerika stehen die Daten vom Immobilienmarkt im Fokus. Nach einem starken Vormonat dürften die Baubeginne und -genehmigungen - auch Hurrikan Sandy geschuldet - zwar vergleichsweise schwächer, aber grundsätzlich robust ausfallen. Der Wohnungsmarktindex der nationalen Bauherrenvereinigung bleibt aufwärtsgerichtet. Der US-Immobiliensektor erweist sich damit weiterhin als eine solide Stütze für die US-Gesamtwirtschaft.

Wichtig für die Entwicklung an den Börsen bleibt das Geschehen auf der politischen Ebene. In Euroland muss man auf dem außerordentlichen Treffen der Eurogruppe zur Griechenland-Rettung dringend zu einer Lösung kommen, um die politische Unsicherheit zu begrenzen, die negativ auf die Wirtschaft in der Eurozone ausstrahlt. Dabei sind politische Unwägbarkeiten mit Kollateralschäden für die Finanzmärkte nicht auszuschließen.

In Amerika wird die Diskussion über das Umschiffen der fiskalischen Klippe weitergehen. Auch wenn man sich schließlich einigen wird, sind vorerst Störmanöver für die Finanzmärkte möglich. Negativdruck kann sich auch aus dem Nahost-Konflikt ergeben.

Sollte der DAX seine Korrektur weiter fortsetzen, findet er aus charttechnischer Sicht eine erste Unterstützung im Bereich bei 7000 Punkten. Darunter gibt es Halt an der Unterstützung bei 6875 Punkten. Wird auch diese Unterstützung unterschritten, müssen weitere Kursverluste bis zur 200-Tage-Linie - sie deutet auf eine langfristig intakte Hausse hin - bei 6815 Zählern ins Auge gefasst werden.

Auf der Oberseite stößt der DAX auf den ersten Widerstand bei 7064 Punkten und darüber am Aufwärtstrend im Bereich zwischen 7300 und 7310 Punkten. Sollte sich der Index hierüber etablieren, ist ein Anstieg bis zum Widerstand bei 7450 Punkten denkbar. Darüber liegen die nächsten Barrieren bei 7478, 7523 und 7600 Punkten.

Halvers Woche:

Wachstum, Wachstum, Wachstum und an die Perspektive denken

Unsere westlichen Volkswirtschaften sind vom Wachstum abhängig wie der Fisch vom Wasser. Gerät ein Land in den Abschwung, muss der Staat sofort dagegen halten, um aus einer Rezession keine Depression zu machen, die auf der Straße zu brennenden Autos und fliegenden Pflastersteinen führt.

Dem wirtschaftlichen Trübsinn also ein Ende. So hat es die westliche Welt auch damals nach der Lehman-Pleite gemacht, nein, machen müssen. Die Zuwächse an Neuschulden waren nie größer als 2009. Aber nur durch dieses beherzte Ausgeben von Geld - das die Staaten nicht hatten - konnte das Euro-Vaterland vor dem Kollaps bewahrt werden. Es war ein klassischer Pyrrhus-Sieg: Denn so einfach wird uns eine kraftvolle Euro-Rettung über Schulden nicht mehr gelingen, da Spanien oder Italien an ihre Leistungsgrenze in punkto Staatsschuldenbedienung gestoßen sind und Länder wie Griechenland, Portugal und Irland diese längst überschritten haben und Aufbauspritzen brauchen.

Wie springt der Reformmotor an? Si, Si, Si, No.

Daher müssen der Konjunktur in den Euro-Ländern frühzeitig Stützräder angeschraubt werden, damit es erst gar nicht so weit wie 2009 kommt. Einfacher gesagt als getan. Denn wie umschifft man Rezessionsklippen, wenn Länder wie Frankreich und Italien Strukturreformen schlunzen lassen, damit Unternehmensinvestitionen als der eigentliche Treiber einer Volkswirtschaft ausbleiben, insofern keine Arbeitsplätze geschaffen werden und schließlich die Konsumnachfrage aus dem letzten Loch pfeift? Seit Einführung des Euros sind in Frankreich bereits 700 Tausend Jobs in der Industrie verloren gegangen. Eigentlich - so leid es mir tut - ist Frankreich das wirtschaftliche enfant terrible der Eurozone.

Na, wenn schon, wenn also alle wirtschaftlichen Stricke reißen, dann machen wir es eben so wie immer, nach alter Väter Sitte, mit Schulden: „Ist die konjunkturelle Not am größten, ist der Staat am nächsten“. Immerhin ist Euroland in Not, ist es doch im III. Quartal erneut in die Rezession geschlittert. Also auf sie - die Wirtschaftskrise - mit Gebrüll, ich meine neue Schulden. Aber Halt, hier gibt es ja neuerdings einen Zirkelbezug. Mehr Schulden kann der Staat mit seinen finanziell weichen Knien ja gar nicht mehr tragen. Aus genau diesem Grund will man doch Sparen.

Aber Sparen? Was für ein schreckliches Wort, das da den Gehörgang der gewählten Politiker erreicht. Denn wer spart, verliert doch, auch beim Wirtschaftswachstum: Jeder Euro, den der Fiskus spart, stutzt das Wirtschaftswachstum um einen bis eineinhalben Euro. Die Formel ist sehr einfach: Keine Staatsverschuldung = kein Wachstum = weniger Perspektive = Rabatz in den Straßen.

Im Extremfall ist jede Gesellschaft nur drei Mahlzeiten von der Anarchie entfernt

Apropos Wachstum, Perspektive, Arbeitsplätze, Einkommen, das sind die Dinge, auf die es den Menschen offensichtlich sehr ankommt. Und wenn man das nicht mehr geboten bekommt? Der Tag des Zorns, der vor einigen Tagen Millionen auf die Straßen in Rom, Madrid, Lissabon und Athen erscheinen ließ, spricht hier nicht nur Bände, es ist die Brockhaus Enzyklopädie.

Sparen - so sehr man sich das als Deutscher auch wünschen mag - frisst in der Euro-Südzone Perspektiven auf. Dann kann man auch den Fröschen die Tümpel trocken legen.

Der Schuldendeckel wird von der EZB bezahlt

Es ist hart und schmerzlich, aber auch leider sicher: Neue Schulden braucht das Euroland. Richtig, sie sind von den Staaten nicht mehr zu tragen. Aber einer trage des anderen Last. Und der eine ist die EZB. Sie wird den Deckel für neue Schulden gemäß „Money for nothing“ von den Dire Straits zahlen müssen. Es bleibt der fromme Wunsch, dass man mit von der EZB finanziertem, schuldentrunkenem Wachstum als Gegenleistung auch hart an Reformen im Club Med arbeitet. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Also, ist die konjunkturelle Not am größten, ist der Staat am nächsten, weil die EZB direkt neben ihm steht.

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