Kommentar
09:36 Uhr, 15.11.2011

Die EZB als ultimative Bad Bank...

Fakt ist, dass Italien unter dem nächsten Regierungschef umfangreiche Reformen glaubhaft umsetzen und die unter Berlusconi verschleppten Strukturreformen schnellstmöglich nachholen muss. Anders ist die chronische Wachstumsschwäche des Landes, das zwischen 2000 und heute im Durchschnitt nur 0,7 Prozent gewachsen ist - Griechenland wuchs im gleichen Zeitraum um durchschnittlich 2,4 Prozent - nicht beizukommen.

Macht Italien seine Hausaufgaben nicht, werden die Finanzmärkte zügig das ohnehin schon angeschlagene Vertrauen in den italienischen Sparwillen verlieren. Dann kann die ultimative letzte Rettung nur noch von der EZB kommen. Bislang konnte aber selbst sie trotz geldpolitischer Interventionen nicht verhindern, dass die Zinsen zuletzt über sieben Prozent angestiegen sind. Im Extremfall wäre sie also gezwungen, noch stärker in Erscheinung zu treten. Sie wäre dann die Bad Bank für prekäre italienische Staatsanleihen. Interessanterweise würde sich die EZB bei entsprechend hohem Aufkaufvolumen selbst steigende Kurse bescheren. Man könnte von self fulfilling prophecy sprechen. Und in der Tat würde es die Finanzmärkte sogar stützen.

Allerdings würden in diesem Fall auch die letzten Stabilitätshüllen fallen. Die prekären Länder der Eurozone wären wie die USA sponsored by central bank. Neben dem Rettungsschirm würde die EZB als finanzwirtschaftliche Hängematte betrachtet, die die finanzstrategischen Lücken der Politik mit viel Liquidität stopfen muss.

Euroländische Wirtschaft im Schatten der Euro-Krise

Angesichts der starken politischen Unsicherheit in Euroland, einer noch ausbleibenden Einigung über die Verstärkung der Feuerkraft des Euro-Rettungsschirms sowie der ebenfalls noch unklaren Umsetzung des griechischen Schuldenschnitts auf Bankenebene, verharrt die Unsicherheit im Bankensektor auf einem Höchstmaß. Kopfschmerzen verursacht sicherlich auch das massive Engagement europäischer Banken in italienischen Staatsanleihen, das mit über 500 Mrd. Euro beziffert werden kann.

Banktitel verlieren relativ zum europäischen Aktienindex weiter stark an Wert. Spiegelbildlich steigt der Risikoaufschlag 5-jähriger Bankanleihen zu deutschen Staatsanleihen mit gleicher Laufzeit auf ein Rekordhoch und unterstreicht damit die massiv erhöhte Risikowahrnehmung von Banken an den Finanzmärkten.

Vor diesem Hintergrund reduzieren Banken ihre Risikopositionen. Sie liquidieren auch, um nicht gezwungen zu sein, staatliche Hilfen mit der Konsequenz staatlicher Beeinflussung in Anspruch nehmen zu müssen. Statt Kreditvergabe ziehen die euroländischen Geschäftsbanken es de facto vor, ihr Geld bei der EZB zu parken. Vor allem in den beiden vergangenen Monaten haben die Überschussreserven der Kreditinstitute massiv zugenommen.

Das erschwert in zunehmendem Maße die Befriedigung der Liquiditätserfordernisse der Realwirtschaft, insbesondere der mittelständischen Wirtschaft. Unternehmen gelangen nur noch unter erschwerten Bedingungen an Kredite. So ist laut ifo Institut die Kredithürde für das Verarbeitende Gewerbe in den letzten beiden Monaten bereits angestiegen. Dazu passt spiegelbildlich der gemäß Jahresveränderung rückläufige Trend der Kreditvergabe in Euroland.

Letztlich wirkt das wachstumshemmend. So geht auch die EU-Kommission in ihrem Herbstgutachten davon aus, dass die euroländische Wirtschaft 2011 lediglich um 1,5 Prozent wächst, gefolgt von einem Mini-Wachstum 2012 von nur 0,5 Prozent.

Laut Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen schwächt sich 2012 das Wachstum der exportlastigen deutschen Wirtschaft auf 0,9 Prozent ab. Noch trotzt der deutsche Export mit einem Wachstum von 10,5 Prozent im Jahresvergleich der euroländischen Verschuldungskrise. Positiv fallen auch die ifo Exporterwartungen im Verarbeitenden Gewerbe auf, die zuletzt sogar anziehen konnten.

Allerdings sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Bei fortschreitender, (finanz-) politischer Verunsicherung werden sich die realwirtschaftlichen Bedingungen in der Eurozone derart verschlechtern, dass die Schwellenländer keinen kompensierenden Effekt ausüben können.

Deutsche Aktienmarktentwicklung launisch wie das Aprilwetter

Das aufgrund des undurchsichtigen Nebels der Unsicherheit sinkende Investorenvertrauen in der Eurozone geht auch am deutschen Aktienmarkt nicht spurlos vorbei. Die Stimmung für euroländische Aktien ist verhalten.

Aus charttechnischer Sicht bleibt der DAX vom Live-Ticker der Euro-Politik getrieben und bewegt sich weiterhin in der Handelsspanne zwischen 5700 und 6250 Punkten. Erst wenn der DAX den Widerstand bei 6250 Punkten überwindet, ist mit neuem Kurspotenzial in Richtung der Marken bei 6340 und 6430 Zählern zu rechnen, bevor er dann auf die 6500 Punkte-Marke Kurs nimmt. Sollte dagegen die Unterstützung bei 5700 Punkten gebrochen werden, so bietet der flache Aufwärtstrend bei 5645 Punkten und darunter die Marken bei 5470 und 5000 Punkten Unterstützung.

Die Berichtsaison stellt trotz solider Ergebnisse weiterhin keinen signifikanten Unterstützungsfaktor für den deutschen Aktienmarkt dar. Die Deutsche Telekom profitierte von deutlichen Kostensenkungen und übertraf die Gewinnerwartungen der Analysten deutlich. Das gleiche gilt auch für die Deutsche Post, der insbesondere das Paketgeschäft sowie die Schwellenländermärkten zugute kamen. Sie hat sogar den Ausblick für 2012 angehoben. Auch Siemens verspricht sich für 2012 eine anhaltend hohe Wachstumsdynamik, die besonders aus den Umwelttechnologien resultiert.

Schlechte Quartalszahlen lieferten jedoch die Versorger E.ON und RWE, die beide gleichermaßen unter dem Atomausstieg zu leiden haben und deren Ergebnis von einem schwachen Gashandel belastet wird. Beide Unternehmen bestätigten ihren trüben Ausblick. Dennoch scheint nach Analysteneinschätzung eine weitere Dividendenkürzung bei E.ON nicht geplant zu sein.

Grundsätzlich bleibt das finanzpolitische Schicksal Italiens die Achillesferse der Eurozone im Guten wie im Schlechten. Sollte der neue, reputationsstarke Ministerpräsident die Versäumnisse seines Vorgängers zumindest durch unmissverständliche Reformschritte einleiten, wäre sogar eine Mini-Jahresend-Rallye möglich.

Das passiert in der nächsten Woche

In Euroland sind auch nächste Woche wieder die Augen der Finanzmärkte auf Italien gerichtet. Ein Nachfolger für Berlusconi sollte nächste Woche schnell gefunden werden, um die „technischen“ Voraussetzungen für anmutige Sparbeschlüsse erfüllen zu können.

Die Konjunkturerwartungen in Deutschland dürften sich gemäß ZEW Konjunkturerwartungen eingetrübt haben. In den USA wird der Philly Fed-Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe anzeigen, dass die Stimmung in der US-Industrie stabil verläuft. Die Baubeginne und -genehmigungen verdeutlichen dabei die allmähliche langsame Stabilisierung auf dem US-Immobilienmarkt.

Ohne EZB ist das ganze Jahr Aschermittwoch

Ab 11.11.2011 ist es wieder so weit. Es beginnt die sogenannte fünfte Jahreszeit, der Karneval oder Fasching. Es ist die Zeit, wo vor allem die große Politik satirisch und humorvoll betrachtet wird. Aber diese permanente Polit-Comedy ist auch mir als Rheinländer mittlerweile zu viel. Insbesondere habe ich den Eindruck, dass nicht wir die Politik, sondern die Politik uns auf die Schippe nimmt.

Griechenland versucht die Quadratur des Kreises

Nehmen wir doch einmal Griechenland. Dort hat man kürzlich ein neues Showformat mit dem schönen Namen „Griechenland sucht den Wunderheiler“ geschaffen. Nach lang andauernden Castings hat man sich für denjenigen entschieden, der sich zum Schluss nicht mehr wehren konnte: Habemus Papademos. Der neue Papa Griechenlands ist zweifelsohne Europa-erprobt, mit vielen (finanz-) politischen Qualitäten ausgestattet, ein Netzwerker, der weltweit alle großen Tiere kennt. Aber von ihm - mit Verlaub, er ist nur eine Zwischenlösung - erwartet man jetzt in einer großen politischen Koalition nichts weniger als das Wunder von Athen, nämlich die Kernsanierung Griechenlands in der Zwangsjacke des Euros. Könnten Sie die 100-Meter-Strecke unter 10 Sekunden laufen, wenn Ihnen Bleisäcke aufgebürdet werden und sich die für Sie verantwortlichen Trainer noch nicht einmal in punkto Trainingsmethoden einigen können?

Italien der neue Sparweltmeister?

Blicken wir auf Italien. Das ist die wahre karnevalistische Prunksitzung in der euroländischen Polit-Fastnacht. Oder sollte man es doch eher Stunksitzung nennen? Alle Wege führen zwar nach Rom, aber bislang offensichtlich auch an Lösungen vorbei. Die Finanzmärkte warten sehnsüchtig auf die Zeit des Post-Berlusconismus, die unter Abwandlung eines Zitats von Cäsar unter dem Motto stand „Ich kam, als ich sah, dass ich siegte“. Aber jetzt scheint er wirklich zurückzutreten. Anscheinend hat man ihm ein Angebot gemacht, dass er nicht ablehnen konnte. Kommt jetzt also die große politische Trendwende, die stabilitätspolitische Rettung Italiens unter Mario Monti?

Die neue Regierung wird nach der langen Zeit Berlusconis - seit 1994 war er mit Unterbrechungen der König Italiens - einen Kassensturz machen müssen. Das haben die Griechen nach dem Regierungswechsel auch gemacht. Ist dabei wirklich auszuschließen, dass in 17 Jahren nichts unter den Teppich gekehrt wurde, was dann plötzlich wieder sichtbar wird? Überhaupt wird der nach emotionalem Eindruck im Vergleich mit Silvio vermutlich mit deutlich schlechterer B-Note ausgestattete, neue Ministerpräsident sehr zügig seinen Landsleuten nahe bringen müssen, dass es zukünftig öfter Spaghetti Napoli und Pizza Margherita geben wird. Den Luxus der anderen Köstlichkeiten kann sich Bella Italia nicht mehr leisten. Wie kommt wohl dieser Diätplan auf den Straßen und Plätzen Italiens an, der zudem die Rezession verstärken wird? Wie lange hält das der neue politische Hungerkünstler aus, wenn die Rufe nach der guten alten Zeit von Sternekoch Silvio lauter werden. Der Geist wird zwar schon irgendwie willig sein, aber das Fleisch könnte schwach bleiben.

Leider ist Italien too big to fail. Fast schon wie weiland das Imperium Romanum. Das bekommt zunächst das Nachbarland Frankreich zu spüren, das finanz- und bankwirtschaftlich mit Rom wie Winnetou und Old Shatterhand verbunden ist. Macht also Italien seine dringend erforderlichen Hausaufgaben nicht, wird auch Frankreich Probleme haben, versetzt zu werden. Und anscheinend scheint es ja dem Computer bei der Rating-Agentur Standard & Poor’s in punkto Beurteilung Frankreichs schon im Finger gejuckt zu haben. Zum Schluss bekäme die ganze Euro-Klasse ein mieses Zeugnis. Dann ist definitiv Schluss mit Karneval.

Drucken oder nicht drucken das ist hier die Frage

Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand und in der Eurozone in der von Italien. Also Hand aufs Herz: Wer rettet Italien und damit Frankreich und damit die Eurozone, wenn Super-Mario seine Herkulesaufgabe nicht schafft? Dann steht Euroland vor der Frage der Fragen: Opfern wir die Eurozone oder die Unabhängigkeit der EZB, die dann in gigantischem Ausmaß Staatsanleihen aufkaufen müsste? Es dürfte klar sein, auf welche Variante die Wahl fallen würde: Die EZB wird die Strafzettel zahlen, wenn andere bei Rot über die Ampel fahren.

Und überhaupt, wer mag schon gerne Aschermittwoch?

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

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