Kommentar
13:16 Uhr, 06.06.2019

Deutsche Politik: Früher Fels in der europäischen Brandung, heute nur noch Wackelpudding?

Geopolitisch laufen immer weniger Heimatfilme, aber immer mehr Thriller. So betreibt nach den USA jetzt auch China Neandertaler-Diplomatie.

Im Machtkampf um die Pole Position vor allem im Pazifik schenken sich beide nichts. Mit baldiger Friedensnobelpreis-verdächtiger Konfliktbeilegung ist nicht zu rechnen, da u.a. ein erneut antretender Donald Trump bis zur Präsidentschaftswahl im November 2020 ein Interesse daran hat, das Feindbild China weiter zu bedienen.

Im Extremfall könnte die Welt in einen US- und chinesisch dominierten Teil zerfallen und ein Blockdenken wie damals zwischen NATO und Warschauer Pakt beginnen. Hierbei droht Europa zwischen die Fronten zu geraten. Denn auf die frühere freundliche Unterstützung Amerikas kann Brüssel so wenig hoffen wie das Schaf auf Gnade beim bösen Wolf.

Wäre die Große Koalition börsennotiert, würde sie vom Kurszettel verschwinden

Europa sollte sich nicht zwischen Amerika und China entscheiden, sondern seinen eigenen, einen dritten, Weg gehen. Aber wo soll diese Entschlossenheit herkommen, wenn schon die Politik im bedeutendsten EU-Land, Deutschland, offensichtlich von vielen Wählern so „schwach wie eine Flasche leer“ eingeschätzt wird. Tatsächlich ist die Große Koalition nur noch eine FrüGroKo, eine Früher Große Koalition. Die SPD ist so demoralisiert, dass mit Blick auf die drohenden Wahlverluste bei den im Herbst anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen niemand das nächste Opferlamm im Verschleißbetrieb sein will. Und dabei hatte doch Franz Müntefering 2002 den Parteivorsitz als „das schönste Amt neben Papst“ bezeichnet.

Bis auf weiteres soll jetzt ein Trio Infernale die SPD kommissarisch führen, wobei alle drei jedoch jede langfristige Verantwortung ablehnen. Lauwarm kann man vielleicht einen Kaninchenzuchtverein führen, aber keine bereits abgekühlte Regierungspartei. Wenn sich kein Politiker heiß zur SPD bekennt, warum sollten es dann die Wähler tun?

Keine andere Partei hat Deutschland nach dem II. Weltkrieg so dominiert wie die CDU. Insofern nagen Wahlergebnisse unter 30 Prozent auch an ihrer Ehre. Allerdings ist dieser politische Gewichtsverlust auch selbstverursacht. Während Frau Merkel noch kocht, will Frau Kramp-Karrenbauer zügig ran an den Herd, um bis zur nächsten Wahl einen Amtsbonus als Küchenchefin aufzubauen. Doch profilieren sich auch andere durch ordnungsgemäßes Putzen des politischen Gemüses für den höheren Küchendienst. Aber viele Köche verderben den Brei. Adenauer, Erhard und Kohl wussten, warum sie in Partei und Regierung den Kochlöffel geschwungen haben. Wähler wollen wissen, ob es Fisch oder Fleisch gibt.

Zuerst das Land, dann die Partei

Tut mir leid, aber diese Große Koalition muss enden. Eine GroKo sollte ohnehin nur im Notfall eingegangen werden. Doch wurde sie unter Angela Merkel zur Regel. GroKos sind unbewegliche Supertanker, weil man sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zubewegen kann und klare Kante, klare Reformpolitik ausbleibt. Da zudem die politische Auseinandersetzung zu kurz kommt, erstarken die politischen Ränder.

Ein hoffentlich bald neuer Parteivorsitzender der SPD oder eine Doppelspitze sind gut beraten, die GroKo zu beenden. Nur in der Opposition können Sozialdemokraten programmatisch genesen. In der GroKo werden sie ansonsten weiter verdorren wie ein Topfblume, die während des Sommerurlaubs nicht gegossen wird. Allerdings kommt es auch auf Köpfe an. Den Sozialismus-Liebhaber Kevin Kühnert haben weder die alte Tante SPD noch Deutschland verdient.

In diesem Fall würden CDU/CSU das Dreierbündnis „Jamaika“ anstreben. Doch werden die Grünen definitiv auf Neuwahlen bestehen. Denn während sie im aktuellen Bundestag hinter der FDP liegen, könnten sie dann sogar vor der Union stehen. Wer gibt sich mit Bronze zufrieden, wenn er Chancen auf Gold hat? In der Kanzlerfrage liegt Habeck in der Tat vor AKK.

Diesen Verlust von Kanzlerschaft und Richtlinienkompetenz wollen die Christdemokraten meiden wie ein hellhäutiger Nordländer die Sonne der Südsee. Überhaupt, käme es zu Grün-Schwarz könnte die Union als „Juniorpartner“ ein ähnliches Schicksal erleiden wie derzeit die SPD. In der Hoffnung, dass der Klima-Hype zumindest etwas abflaut, werden Union und SPD ihre kaputte Beziehung leider noch ein bisschen aufrechterhalten. Es erinnert an eine verschlissene Ehe, die nur noch Bestand hat, um das gemeinsame Haus nicht aufgeben zu müssen. Doch ohne jeden politischen Lustgewinn kommt Deutschland nicht voran.

Die Angst der Grünen vor der großen politischen Verantwortung

Verantwortungsvolles Regieren ist aber was Anderes als oppositionelles Kritisieren. Diese schnöde Erfahrung haben die Grünen schon früher in der Koalition mit der Schröder-SPD gemacht. Die Wähler werden schnell am eigenen Leib spüren, dass Ökologie vielfach auf Kriegsfuß mit Ökonomie steht. Wenn erst einmal Unternehmen der Old Economy (Autoindustrie, Energiewirtschaft) den deutschen Standort aus z.B. Angst vor mangelnder Stromsicherheit noch kritischer hinterfragen, aber auch liebgewonnene Gewohnheiten wie Billigfliegerei und der Verzehr von Rindfleisch aufgrund der Methan ausstoßenden Kuh deutlich teurer werden, kann die grüne Freundschaft schnell enden. Denn wer arbeitslos ist, dem dürfte Klimaschutz herzlich egal sein.

Sollten die Grünen vor diesem Hintergrund vor wirklich grüner Politik zurückschrecken, könnten viele ideologische Anhänger enttäuscht sein. Was heute besonders top ist, kann morgen schon ein besonderer Flop sein. Siehe FDP: Bei der Bundestagswahl 2009 fuhren sie ihr historisch bestes Ergebnis ein, um dann 2013 an der Fünfprozentklausel zu scheitern.

Raus aus dem unverbindlichen Phrasen-, rein in den konkreten Handlungsmodus

Es wäre naiv, auf ein Ende des parteipolitischen Taktierens zu hoffen. Grundsätzlich muss aber vernünftig regiert werden, weniger ideologisch und fundamental, mehr pragmatisch und realistisch.

Berlin braucht zunächst stabile politische Verhältnisse. Das war lange Zeit ein wesentlicher Charakterzug deutscher Politik, der auch Ruhe in den EU-Karton brachte. Und unruhig ist es schon wieder, siehe z.B. Italien. Wackelt selbst Deutschland, kann Europa umkippen.

Stabilität ist aber nur ein Standbein. Das andere Standbein ist die Erledigung von Hausaufgaben. Man muss sich endlich um den deutschen Standort kümmern, konkret die Hemmnisse für Investitionen und Arbeitsplatzaufbau beseitigen wie Unkraut auf den Gehwegen. Nach Anzahl der ausländischen Investitionsprojekte ist Deutschland nicht nur hinter Frankreich, sondern sogar hinter Großbritannien zurückgefallen, das mit seiner EU-Renitenz doch ein richtiges Investitionsrisiko sein müsste.

Es ist ein großer Nachteil, dass viele Politiker zeitlebens nur politisiert, aber - wie es mein Opa immer formulierte - noch nie eine Schippe in der Hand gehabt haben. Sie reden von etwas, was sie selbst gar nicht kennen. Es fehlt der wirtschaftliche Stallgeruch von Handwerkern oder Unternehmern. Während Wirtschaftskompetenz in diesen Berufen Bedingung für Erfolg ist, wird sie in der Politik oft als zu behandelnde Krankheit betrachtet.

Auch im Zeitalter des Klimaschutzes gilt: Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles andere nichts.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

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