Deutsche Aktien: Ist der Boden bei Industriewerten erreicht?
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Mit 7,5 Millionen Beschäftigten und einem jährlichen Gesamtumsatz von rund 2,5 Billionen Euro kann die Bedeutung der Industrie für die deutsche Wirtschaft gar nicht hoch genug eingestuft werden. Umso beängstigender klingt es, wenn Ökonomen vor der Gefahr eines Niedergangs des industriellen Sektors warnen. „Die Substanz der Industrie ist bedroht“, klagte kürzlich der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Siegfried Russwurm im Anschluss an eine Kabinettsklausur. Er hatte dabei zwar insbesondere die dramatische Lage auf den Energiemärkten mit den horrend gestiegenen Strom- und Gaspreisen im Blick. Aber das ist nicht das einzige Problem, mit dem sich deutsche Industriekonzerne wie Siemens, MTU Aero Engines, thyssenkrupp, Jungheinrich, Deutz oder Klöckner momentan herumschlagen müssen. Denn zur Energieknappheit gesellt sich auch noch ein frappierender Mangel an Produktionsmaterialien und Rohstoffen.
Engpässe als Dauerproblem
Rohstoffe stehen am Beginn jeder industriellen Wertschöpfungskette. Eine gesicherte Versorgung ist daher essenziell für die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Industrie. Allerdings wird ein großer Teil des Materials und der Rohstoffe, die in Produkten „Made in Germany“ enthalten sind, im Ausland erzeugt und über Rohstoffhändler oder in Form von Zwischenprodukten nach Deutschland eingeführt. Bei Primärmetallen wie Eisenerz liegt die Importquote sogar bei 100 Prozent. Die hohe Abhängigkeit ist ein Problem. Denn die Corona-Pandemie sowie der Krieg in der Ukraine haben zu Engpässen und Lieferausfällen geführt. Wie aus einer Umfrage des ifo Instituts von Ende Juni 2022 hervorgeht, klagen rund drei Viertel der befragten Industriebetriebe über Engpässe und Beschaffungsprobleme. Im Schnitt rechnen sie damit, dass der Materialmangel in der deutschen Industrie noch mindestens 10 Monate anhalten wird. „Die erhoffte Entspannung in den Lieferketten verschiebt sich immer weiter nach hinten“, heißt es seitens des ifo Instituts.
Überdurchschnittliche Kursverluste
Angesichts des widrigen Umfelds und der großen Herausforderungen überrascht es nicht, dass die Stimmung in vielen Industriezweigen einen Tiefpunkt erreicht hat. Auch an der Börse hat die Krise ihre Spuren hinterlassen. Nach einem kurzen Zwischenhoch im Juli und Anfang August sind die Kurse von Industriewerten zuletzt wieder deutlich unter Druck geraten. Auf Sicht von zwölf Monaten büßte das deutsche Branchenbarometer DAXsector Industrials Index um mehr als 26 Prozent ein. Zum Vergleich: Der DAX selbst gab im gleichen Zeitraum lediglich 17 Prozent ab. In den überproportionalen Kursverlusten liegt aber auch eine gewisse Chance. Hintergrund ist, dass die Analysten ihre Gewinnschätzungen für den Industriesektor bereits deutlich nach unten korrigiert haben, und der Boden nunmehr erreicht sein könnte. Eine Turnaround-Spekulation erscheint also gar nicht so abwegig, ganz nach dem Motto „Wenn die Nacht am dunkelsten ist, ist der Morgen nicht mehr fern“.
Gewisse Chancen bei hohem Risiko
Doch wie wahrscheinlich ist ein Turnaround tatsächlich? Hoffnung macht, dass sich die deutsche Industrie aller Widrigkeiten zum Trotz zuletzt einigermaßen wacker geschlagen hat. Zwar wurde im zurückliegenden Juli zum sechsten Mal in Folge ein Auftragsrückgang verzeichnet. Das Minus von 1,1 Prozent hielt sich aber in Grenzen. Zudem ist der Rückgang in erster Linie auf die traditionell stark schwankenden Bestellungen im Subsektor "Sonstiger Fahrzeugbau" (z. B. Flugzeuge, Lokomotiven, Schiffe) zurückzuführen. Rechnet man diese Kategorie heraus, haben sich die Auftragseingänge seit dem Frühjahr sogar stabilisiert. Gleichwohl könnte es für einen Einstieg noch zu früh sein. Vor allem in den energieintensiven Sektoren könnte der Abwärtstrend noch eine ganze Weile anhalten. Auch lässt sich nur schwer vorhersagen, wann und in welchem Umfang sich die Probleme bei den Lieferketten entspannen werden. Alles in allem dürfte die Industrieproduktion in den kommenden Monaten eher noch weiter abnehmen. Wer sich also zu diesem Zeitpunkt bereits auf den Sektor setzen möchte, muss also schon eine gehörige Portion Risikobereitschaft mitbringen.
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