Kommentar
14:18 Uhr, 18.05.2012

Der Sommer der Erkenntnis oder Euro-Krise 2.0?

Da ist sie wieder, die Euro-Krise: Die Unsicherheit nach und vor den griechischen Wahlen und generell die anhaltenden Spekulationen über die Zukunft Griechenlands in oder außerhalb der Eurozone halten die Finanzmärkte fest im Griff. Da die Euro-Politik bisher nicht in der Lage war, die griechische Krise zu entschärfen, werden bei den Finanzakteuren erneut Zweifel wie 2011 laut, ob man im Ernstfall klare Lösungen für die wesentlich bedeutenderen Euro-Volkswirtschaften Italien und Spanien präsentieren könnte.

Denn neben den lethargischen Reformprozessen in Italien und Spanien sorgen insbesondere die Entwicklungen auf dem spanischen Bankensektor - zuletzt hatte die Rating-Agentur Moody’s 16 spanische Banken herabgestuft - für Sorgenfalten. Demnach führte die auf den Weg gebrachte mittlerweile vierte Bankenreform - zukünftig soll jede Bank ihre faulen Kredite in ihre eigene Bad Bank auslagern und zudem höhere Rückstellungen für Immobilienkredite bilden - offensichtlich zu keiner Stimmungsverbesserung in Spanien. Befürchtungen halten sich hartnäckig, dass Spanien zur Stützung seiner Banken Hilfsgelder in Anspruch nehmen muss. Die Renditeaufschläge 10-jähriger spanischer zu deutschen Staatsanleihen befinden sich auf dem höchsten Stand in der Geschichte der Euro-Ära und auch die 10-jährigen Renditeaufschläge italienischer zu deutschen Staatsanleihen sind bereits deutlich aufwärtsgerichtet. In der Folge zeigte sich auch der Euro als Krisenindikator stark belastet und fiel auf ein Vier-Monats-Tief.

Wann wird die griechische Frage beantwortet?

Für das neue deutsch-französische Politikbündnis dürften die Anforderungen klar sein. Neben einer Flexibilisierung der deutschen Sparüberzeugungen, als deren Gegenleistung dann verstärkte Wirtschaftsreformen mit besonderem Fokus auf Spanien und Italien aber auch Frankreich zu verlangen sind, um wieder Ruhe in Euroland einkehren zu lassen, muss eine nachhaltige Lösung für den euroländischen Krisenpatienten Griechenland gefunden werden.

Die von der Eurogruppe ins Spiel gebrachte Fristverlängerung für den griechischen Spar- und Reformprozess ist der falsche Weg. Denn angesichts des politischen Chaos besteht ohnehin nur geringe Hoffnung auf nennenswerte Reformfortschritte. Das wird sich auch nach den Neuwahlen Mitte Juni kaum ändern, womit auch die Auszahlung der nächsten Tranche des Rettungspakets - auch aus Glaubwürdigkeitsgründen - in Gefahr gerät und damit die Staatspleite vorprogrammiert ist. Unterdessen lässt die EZB bereits Vorsicht walten und hat vier griechische Banken aufgrund ihrer Bilanzschwäche von ihren Refinanzierungsgeschäften ausgeschlossen. Weitere könnten folgen.

Die wirtschaftliche Perspektive für die griechische Bevölkerung ist nach zwei Jahren der Krise und des wirtschaftlichen Kaputtsparens aussichtsloser denn je, womit auch ihre Bereitschaft für weitere Reformen ausgeschöpft ist. Um Griechenland jedoch wieder eine wirtschaftliche Perspektive zu bieten, ist auch ein Austritt aus der Eurozone mit Abwertung ein wichtiges Instrument zur Revitalisierung der griechischen Wirtschaft.

Zwar werden die Euro-Staaten auch dann ihre finanzielle Unterstützung weiter aufrecht erhalten, u.a. zur Stützung des griechischen Bankensystems sowie zur Entwicklung des Landes als Logistikplattform für den Nahen Osten und den Mittelmeerraum sowie zur Stärkung der Tourismus- und Solarindustrie. Allerdings wären dann unsere Hilfsgelder vernünftig investiert.

Keine Frage: Die Weltkonjunktur ist stabil

Trotz den von der euroländischen Verschuldungskrise ausgehenden Risiken setzt sich die Erholung der Weltkonjunktur unbeirrt fort. Das bestätigten zuletzt auch die Daten des ifo Weltwirtschaftsklimas für das II. Quartal 2012.

Denn nach dem Unsicherheitsschock ab Mitte 2011 hat sich die globale Geschäftslage der Unternehmen deutlich erholt. Noch erfreulicher ist die Entwicklung der Geschäftserwartungen. So zeigen sie für das II. Quartal eine deutlich verbesserte Stimmung an, was auf eine zukünftige Erholung der Weltkonjunktur hindeutet.

Grafik der Woche: ifo Weltkonjunkturmatrix

„Keine Angst vor der Weltkonjunktur“

Treiber der Weltwirtschaft sind nach wie vor die Schwellenländer. Die Ängste einer harten Landung der chinesischen Wirtschaft bleiben dabei unbegründet. So hat die Regierung die drohenden Gefahren für die Wirtschaft aus der Preisblase am chinesischen Immobilienmarkt erkannt und steuert mit Vergabebeschränkungen für Immobilienkredite sowie der Besitzregulierung von Wohneigentum einem Platzen merklich entgegen. Zudem setzt die People’s Bank of China mit einer erneuten Senkung der Mindestreserveanforderungen für Banken um 0,5 Prozentpunkte auf nun 20 Prozent einen weiteren expansiven Kreditimpuls für die Wirtschaft, dem weitere folgen dürften.

Die US-Wirtschaft setzt im Trend ihre im Vergleich langsame, jedoch überaus stetige Erholung fort. So sorgt der US-Immobiliensektor dank seiner scheinbar abgeschlossenen Korrektur wieder für positive Schlagzeilen. Die US-Baubeginne und -genehmigungen setzen ihre positive Trendwende ebenso fort wie der US-Wohnmarktindex der Nationalen Bauherrenvereinigung.

Und auch die US-Industrie entwickelt sich weiterhin solide. Darüber sollte nicht hinwegtäuschen, dass der Geschäftsklimaindex der Philadelphia Fed sich zuletzt abwärts geneigt zeigte. Im Trend bleibt die Gesamtstimmung der US-Industrie auf Erholungskurs.

Deutschland: Die euroländische Konjunkturlokomotive

Und auch die deutsche Wirtschaft kann weiter glänzen, bleibt sie doch nach wie vor das konjunkturelle Zugpferd der Eurozone. Mit einem soliden Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent zum Vorjahresquartal, das einerseits vom starken Außenhandel und andererseits aber auch vom Binnenkonsum getragen wird, kann sie sich klar von der stagnierenden Euro-Wirtschaft abkoppeln und liegt in der Wachstumsdifferenz auch deutlich vor der zweitgrößten Euro-Volkswirtschaft Frankreich, die auf Jahresbasis lediglich um 0,3 Prozent zulegen konnte. Hier wird erneut deutlich, dass Länder mit kosteneffizienten Produktionsstrukturen ihre volkswirtschaftlichen Vorteile ausspielen können. Dieses Beispiel muss Schule machen.

Geht man nach den ZEW Konjunkturerwartungen, so dürfte die zukünftige Konjunkturentwicklung zwar etwas verhaltener ausfallen. Allerdings dürfte die Zurückhaltung der befragten Finanzanalysten der Unsicherheit in Euroland bzw. der politisch mangelnden Handlungsfähigkeit geschuldet sein. Grundsätzlich kommt den ifo Geschäftserwartungen aufgrund der direkten Befragung der Unternehmen eine größere Prognosekraft zu. Sie haben bislang ein sehr stabiles Wirtschaftsbild gezeichnet.

Entscheidend ist die weitere Entwicklung der Politik der Eurozone, die bei Krisenfortsetzung zu negativen Ausschlägen auf die Realwirtschaft führen könnte, wie dies bereits im zweiten Halbjahr 2011 der Fall war. Die verschlechterte Stimmung und das erhöhte Risiko an den Finanzmärkten, dass sich in einem Anstieg der Volatilität zeigte, hat auch die Stimmung für die Realwirtschaft gemäß ZEW Konjunkturerwartungen eindeutig getrübt. Die Euro-Politik hat damit den Schlüssel in der Hand, die Probleme weiter eskalieren zu lassen oder nachhaltig zu lösen. Es wäre absurd, wenn hausgemachte politische Probleme die positiven Fundamentaldaten der Konjunktur und einer üppigen Geldpolitik konterkarierten.

Mit der zu beobachtenden, zunehmenden Erkenntnis, dass Griechenland die offene Flanke der Eurozone ist, muss die Euro-Politik die offenen Probleme im Sommer 2012 lösen.

Deutsche Aktien: Der Weg ist steinig

Aus charttechnischer Sicht bleibt das Aktienbild zunächst trüb. So ist der DAX unter den seit Mitte März bestehenden Abwärtstrend bei 6375 gefallen, was weitere Einbußen bis hin zum äußerst wichtigen Unterstützungsbereich zwischen 6200 und 6170 Punkten nach sich ziehen könnte. Hier verläuft auch die fallende 200-Tage-Linie bei derzeit 6185 Punkten.

Kämpft sich der DAX allerdings zurück über den Widerstand bei 6375, so sind Kursgewinne bis zur Marke bei 6470 Punkten ins Auge zu fassen. Geht es dann weiter nach oben und sollte der DAX auch den Widerstand bei 6580 Punkten hinter sich lassen, sind weitere Kursgewinne bis zu 6650 und darüber 6750 sowie 6875 Zählern durchaus denkbar.

Die Bringschuld für eine verbesserte Stimmung an den Aktienmärkten ist eine klare und geordnete Lösung der euroländischen Verschuldungskrise.

Und was passiert in der nächsten Woche?

In Euroland bestimmen weiterhin die Quertöne der Euro-Krise das Kapitalmarktgeschehen. Die wieder etwas freundlicher tendierenden euroländischen Einkaufsmanagerindices lassen aber hoffen, dass die Eurozone an einer deutlichen Rezession vorbeischrammt.

In Amerika zeichnen die Auftragseingänge langlebiger Güter sowie das Verbrauchervertrauen der Universität von Michigan ein klares Bild der fortschreitenden US-Konjunkturerholung.

In Deutschland dürften die ifo Konjunkturdaten die zuletzt scharfe Korrektur der ZEW Konjunkturerwartungen nicht bestätigen und auf eine weiterhin stabile Konjunktur hindeuten. Erneut starke Exportzahlen dürften diese Einschätzung bestätigen.

Halvers Woche:

Die Frage ist nicht, was der Austritt der Griechen kostet, sondern ihr Verbleib

Sie kennen das Sprichwort „Ein gebranntes Kind scheut das Feuer.“ Wer einmal schlechte Erfahrungen gemacht oder einen Schaden erlitten hat, ist anschließend besonders achtsam, ja versucht, ähnliche Situationen zu vermeiden

Den dramatischen Polit-Thriller der Euro-Krise 2011 und seine negativen Ausstrahlungen auf die Realwirtschaft müsste eigentlich noch jeder Politiker schmerzlich im Kopf haben. Sie dürften eigentlich nur noch auf Filme mit Happy End stehen.

Wird die Politik aus Schaden klug?

Aus Schaden wird man klug, oder? Nun, für die Euro-Politik kann ich diese Weiterentwicklung bis dato nicht befriedigend erkennen. Sie wird zwar beruhigend festgestellt haben, dass die EZB die Probleme an den euroländischen Finanzmärkten zeitweise entschärfen konnte. Aber die dringend erforderliche Intensivbehandlung kann nur eine vorausschauende Euro-(Finanz-)Politik selbst leisten.

Und wo sitzt der Schmerz? Er sitzt an der Ferse, hinten rechts unten, in Griechenland. Leider ist der Schmerz so groß, dass er auch die Gesamtbeweglichkeit der Eurozone, insbesondere in Italien und Spanien beeinträchtigt. Da soll doch einer sagen, Geschichte - von 2011 - wiederholt sich nicht. Die Finanzmärkte fragen schon wieder, wie man die Probleme großer Euro-Krisenländer in den Griff bekommen will, wenn man schon mit dem kleinsten Land überfordert ist.

Die euroländische Polit-Regie hat jetzt die Wahl: Wieder nur an den Symptomen herum doktern und eine Oskar-verdächtige Neuauflage des Polit-Thrillers 2011 mit allen wirtschaftsfeindlichen Nebenwirkungen zu riskieren oder den Befreiungsschlag zu unternehmen und die Eurozone, wenn schon nicht direkt wasserdicht zu machen, so doch zumindest befriedigend abzudichten.

Das griechische Volk weist den Weg

Die Griechen selbst zeigen mit ihrem Bank Run ähnlich der Stürmung eines Fußballplatzes im Rheinland, dass ihre Hoffnung auf die Sanierung Griechenlands zwar als letzte stirbt, aber tatsächlich dabei ist, zu sterben. Und das Mantra der Euro-Politik des Verbleibs der Griechen in der Eurozone - auch wenn es bereits deutlich schwächer wurde - erinnert mich an die DDR im Endstadium, deren Führung noch propagierte „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“, das Volk jedoch schon den entscheidenden Schritt weiter war. Und auch bei der griechischen Neuwahl im Juni ist die Hoffnung auf Besserung so instabil wie Wackelpudding. Die radikalen Parteien werden wohl kaum ihre selbstgerechten Robin Hood-Gewänder ausziehen und zu Unterstützern des sparwütigen Sheriffs von Nottingham werden. Zahlen wir dann ohne vernünftige griechische Regierung, die nicht mit IWF und EU zusammen arbeitet, dennoch die nächste Kredittranche Ende Juni aus?

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende

Das ist gelinde gesagt absurd und versteht niemand, der noch Reste von Stabilitätsgedankengut in sich trägt. Es lässt sich auch mit den vermeintlichen Killerargumenten, wonach uns der Austritt Griechenlands zu teuer zu stehen käme und auch andere Länder im Dominoeffekt heimsuchen könnte, nicht heilen. Aber der Staus Quo ist ein schleichendes Gift. Denn die entscheidende Frage ist, was uns der Verbleib der Griechen in der Eurozone kostet. Denn im Status Quo sind weitere griechische Schuldenschnitte so sicher wie das Amen in der Kirche. Selbst der komplette Schuldenschnitt - einfach einmal durchgedacht - wäre keine nachhaltige Lösung, da die Griechen aufgrund ihrer verheerenden Wirtschaftslage sofort wieder anfangen werden, neue Schulden aufzubauen, die dann auch wieder gestrichen werden müssen. Hier passt der Begriff „Fass ohne Boden“. Das ist im Übrigen Geld des Steuerzahlers, da bereits beschnittene private Investoren keine neuen Finanzmittel gewähren werden. Oder sollen wir es direkt mit Gesundbetung über Eurobonds versuchen, und damit über Leistung ohne Gegenleistung einer falsch verstandenen Solidarität auch noch die Krone aufsetzen?

Die hausgemachte Euro-Krise beenden

Ich bin nicht naiv und weiß, dass ein GREXIT (Greek Exit) alles andere als einfach wird. Natürlich wird die EZB stabilitätspolitisch sündigen und massiv einspringen müssen, um Kreditausfälle abzufangen und Dominoeffekte zu verhindern. Und natürlich wird es kostspielig, da wir weiterhin finanzielle Unterstützung leisten müssen. Aber diese Hilfsgelder sind dann sinnvoller, da die griechische Wirtschaft über eine Währungsabwertung wettbewerbsfähiger wird, was längerfristig Schulden rückzahlbar macht. Und bei einem Preisverfall in Griechenland kommen auch die griechischen Privatinvestoren wieder, auf die es bei einer wirtschaftlichen Gesundung ankommt.

Mit einem GREXIT bekommen wir wieder mehr Ruhe in die Eurozone, wir zeigen unsere europolitische Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit, die auf gesünderen marktwirtschaftlichen und stabilitätspolitischen Ansätzen beruht und der Anleger kann sich wieder auf die fundamentalen Entwicklungen fokussieren, die dann auch an der Börse nicht mehr durch die klammheimliche Häme von Regierungen außerhalb der Eurozone torpediert werden.

Und die Griechen selbst bekommen eine Wachstumsperspektive, die sie verdient haben und für die es sich - abseits eines reinen Kaputtsparens - auch lohnt, zu arbeiten.

Es dürfte der Sommer der Erkenntnis vor uns liegen. Auf ein Sommer-Theater mit dem Titel „Die letzten Tage von Euroland“ habe ich keine Lust.

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit
Interessenskonflikten der Baader Bank AG:
http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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