Der Markt unter der Lupe: Wirtschaft hui, Politik pfui
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Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber die Weltwirtschaft trotzt der allgemeinen Konjunkturskepsis. Die Einkaufsmanagerindices in den Schwellenländern verdeutlichen die anhaltende Wachstumsdynamik. So befindet sich das Geschäftsklima in China auf einem 13-Monats-Hoch. Selbst wenn das chinesische Wirtschaftswachstum 2012 - wie von der Regierung prognostiziert - zum Jahresende „lediglich“ 7,5 Prozent beträgt, ist das kein Grund zum Jammern, zumal sich mit diesem vergleichsweise niedrigeren Wachstum das größere Risiko einer Konjunkturüberhitzung deutlich verringert hat. Und selbst der knapp unter der Expansion anzeigenden Schwelle von 50 liegende brasilianische Einkaufsmanagerindex ist kein Grund zur Sorge. Schließlich geht die brasilianische Notenbank bereits mit Leitzinssenkungen vorsorglich gegen eine Konjunkturabschwächung vor.
Über die Nachfrage nach Industrie-Know How und Vorprodukten zur Stärkung der eigenen Industrie und Infrastruktur sowie über eine wachsende und stark konsumierende Mittelschicht kommt das Schwellenländerwachstum auch der westlichen Welt in Form einer zunehmenden Importnachfrage zugute.
Dies signalisiert nicht zuletzt die Neuauftragskomponente des US-amerikanischen ISM Index, die mit 58,2 Zählern komfortabel im Expansionsterrain oberhalb von 50 liegt. Grundsätzlich profitiert auch die US-Industrie kräftig von Aufträgen aus den Emerging Markets.
Damit bleiben auch die positiven Impulse für den US-Arbeitsmarkt im Trend weiter erhalten, der seine vergleichsweise langsame, aber stetige Erholung fortsetzt. So beabsichtigen die US-Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe laut ISM Beschäftigungsindex bereits wieder Beschäftigungsaufbau. Daran ändern auch die zuletzt schwächeren Arbeitsmarktdaten nichts. Denn immerhin wurden noch neue Stellen geschaffen.
Nicht zuletzt sorgt die anhaltend gute Stimmung im Verarbeitenden US-Gewerbe für eine fundamental positive Stimmung bei US-Aktien. Historisch betrachtet folgt der US-Aktienmarkt (S&P 500) auf Jahresveränderungsbasis dem Verlauf des ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe.
Euro-Politik bleibt Handicap
Allerdings bleibt die euroländische Verschuldungskrise ein Hauptstörfaktor für die weitere Entwicklung der Weltkonjunktur. Die euroländische Verschuldungskrise klebt wie Kaugummi am Schuh und bleibt der Hauptstörfaktor für die Finanzmärkte. So bekam zuletzt Spanien sowie zwei spanische Großbanken die Rating-Knute der Agentur Standard & Poor’s zu spüren. Hintergrund ist die spanische Rezession - das Wachstum schrumpfte im I. Quartal das zweite Mal in Folge um 0,3 Prozent - und der angeschlagene Immobilienmarkt. Und in Italien drücken die Sparmaßnahmen merklich auf die Auftragseingänge und die Produktion der Unternehmen, so dass der italienische Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe auf ein Sechs-Monats-Stimmungstief gefallen ist, dass den euroländischen Gesamtindex in den Schatten stellt.
Die Euro-Politik hat erkannt, dass haushaltspolitische Diäten allein, die das Wachstum abschnüren und die Bürger gegen die europäische Idee aufbringen, kein praktikabler Lösungsweg zur Gesundung von Konjunktur und Finanzmärkten sowie der europäischen Missstimmung sind. Eine Erweiterung des stabilitätspolitischen Fiskalpakts um Wachstumskomponenten ist politisch - insbesondere nach der Frankreich-Wahl - ohnehin en vogue und wird auf dem EU-Gipfel im Juni sicherlich vorangetrieben.
Über die zusätzliche Mittelbereitstellung aus dem EU-Haushalt hinaus wird längst über einen Investitionsplan der EU mit einem Volumen von bis zu 200 Mrd. Euro spekuliert. Dabei könnte die Europäischen Investitionsbank (EIB) z.B. die Anschubfinanzierung für Infrastrukturprojekte oder erneuerbare Energie übernehmen. Über die Wachstums- und Finanzspritzen hofft man dann auch private institutionelle Investoren anzulocken.
Reformen sind der Königsweg für Wachstum
Sorge ist jedoch dafür zu tragen, dass die neuen Wachstumsinitiativen nicht als Freibrief für den Rückfall in das süße Gift des Schuldenstaats missbraucht und die Reformaktivitäten als weniger dringend erachtet werden. Das gilt insbesondere hinsichtlich der französischen Präsidentenwahl, nach der wohl dem Stabilitätsgedanken nicht mehr die höchste Priorität gegenüber dem Wachstumsansatz eingeräumt wird.
Zwar sind zuletzt erste Fortschritte bei der Haushaltskonsolidierung festzustellen. So verläuft die Sanierung der Staatsfinanzen in Irland nach Plan, so dass die Hälfte der für dieses Jahr geplanten Defizitreduzierung bereits erreicht ist. Und auch Italien bewegt sich nach einem Konsolidierungsfehlstart endlich vom Fleck und befindet sich ebenfalls nahezu im Sanierungsplan. Spanien und Portugal hängen jedoch weiterhin ihren Konsolidierungszielen hinterher.
Der Kampf zwischen Wachstum und Stabilität
Grundsätzlich bleiben für Länder wie Italien und Spanien klare Strukturmaßnahmen eine conditio sine qua non. De facto sind deren Produkte und Dienstleistungen im internationalen Wettbewerb zu teuer.
Nachdem Premierminister Monti die klare Lockerung des Kündigungsschutzes bislang nicht in Angriff genommen hat, ist zu hoffen, dass er zumindest eine deutliche Flexibilisierung der Löhne in Angriff nehmen wird. Und auch Spanien muss die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes angesichts einer rekordhohen Arbeitslosenquote von 24,1 Prozent - sie liegt höher als in Griechenland - konsequent fortführen.
Im Kampf Stabilität gegen Wachstum liegt sicherlich hohes euro-politisches Konfliktpotenzial. Auf die Bundesregierung kommt hier viel Arbeit zu. Sie muss sich weise und diplomatisch in bester Bismarck-Manier verhalten. Sicherlich wird sie sich flexibel bei der Einhaltung von Sparzielen zeigen. Denn Wachstumsimpulse dürfen nicht kastriert werden.
Langfristig müssen diese jedoch schwerpunktmäßig auf Strukturreformen fußen, die über eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit auch wieder Geschäftsperspektiven und damit Steueraufkommen zur Bedienung von Staatsverschuldung in Aussicht stellen. Deutschland muss für sein Entgegenkommen in punkto Sparzielen als Gegenleistung nationale Strukturreformen unmissverständlich einfordern. Das wird kein Zuckerschlecken werden.
Jedem Euro-Politiker dürfte jedoch grundsätzlich klar sein, dass eine politische Hängepartie wie 2011 unkalkulierbare politische und (finanz-)wirtschaftliche Risiken für die Eurozone - und damit auch für die Finanzmärkte - birgt. Der Euro-Politik sind viele Sternstunden zu wünschen. Die Achse zwischen Paris und Berlin kann nur eins: Funktionieren.
Deutsche Aktien profitieren von der Aorta der Weltkonjunktur
An den euroländischen Aktienmärkten werden die Reformbemühungen der Euro-Südzone noch skeptisch betrachtet und auch der fundamental grundsätzlich starke, deutsche Aktienmarkt zeigt sich von dem politischen Gegenwind der euroländischen Verschuldungskrise belastet. Die Weltkonjunktur fungiert aber nach wie vor als Aorta für exportorientierte deutsche Unternehmen. So setzt sich auch die relative Stärke deutscher Aktien gegenüber denen aus Frankreich, Italien, Portugal und Spanien fort.
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Die weltkonjunkturelle Stärke zeigt sich im Übrigen in einer deutlichen relativen Stärke des MDAX - der deutsche Mittelstandsindex - gegenüber dem DAX. Gerade im MDAX finden sich zahlreiche konjunktursensitive Titel, die aufgrund ihres innovativen Industrie-Know How bei zusätzlicher hoch effizienter Kostenstruktur die größten Profiteure des fundamentalen Umfeldes sind.
Grafik der Woche: Weltkonjunktur und MDAX relativ zum DAX
„Fundamentale Lage besser als ihr Ruf“
Geldpolitik: You ain't seen nothing yetAus charttechnischer Sicht konnte der DAX die wichtige Marke bei 6720 Punkten nicht zurückerobern. Sollte die Marke von 6650 unterschritten werden, ist im Ernstfall sogar mit weiteren Kursverlusten bis hin zur 200-Tage-Linie bei aktuell rund 6200 Zählern zu rechnen.
Sollten die Bullen im DAX allerdings die Marke bei 6720 Punkten zurückerobern, liegt die nächste Hürde bei 6835 und darüber bei 6900 Zählern. Darüber treten Kursgewinne bis in den Bereich der 6950 Punkte-Marke in den Vordergrund.
Auf Jahressicht bleiben die Aussichten für den DAX fundamental allerdings deutlich positiver als die Stimmung vermuten lässt. Zwar klebt die Euro-Krise ein Bremsschuh, die nötige Schützenhilfe für die Aktienmärkte kommt allerdings von einer weiterhin soliden Weltwirtschaft und einer internationalen Geldpolitik, die jederzeit ihre bereits gezeigte Großzügigkeit noch weiter steigern kann und im Bedarfsfalle auch wird. Die auf der letzten Sitzung des EZB-Direktoriums aktiv zur Schau getragene, geldpolitische Passivität sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die EZB de facto die Beilegung der Euro-Krise zu ihrem Meisterstück erkoren hat.
Das laufende II. Quartal dürfte aus heutiger Sicht das vergleichsweise schwierigste sein. Denn die schlechten Konjunkturdaten der Eurozone manifestieren sich in tatsächlichen Zahlen, die Geldpolitik zieht sich - wenn auch nur vorübergehend - zurück und die Euro-Politik ist mit Wahlergebnissen und der Diskussion über die Balance von Stabilität und Wachstum wieder in aller Munde.
Berichtsaison als Aktienstütze
Die US-Konjunkturerholung sowie die starke Wirtschaftsentwicklung in Asien bieten insbesondere für deutsche Unternehmen eine außereuropäische Ersatzbefriedigung für eine unter der Euro-Krise leidende, innereuropäische Nachfrage. Ein Indiz bietet die laufende Berichtsaison. So konnten bisher 68 Prozent der berichtenden Unternehmen aus dem DAX die Erwartungen der Analysten übertreffen.
Der Sportartikelhersteller Adidas präsentierte ein starkes Ergebnis, das insbesondere von einem deutlich höheren Umsatzplus von 26 Prozent zum Vorjahr in Asien profitierte. In der Folge wurde sogar die Gewinnprognose angehoben.
Der Premiumautohersteller BMW verzeichnete sogar das beste Quartal seiner Unternehmensgeschichte mit Höchstwerten bei Absatz und Umsatz und einer Nettogewinnsteigerung von 18 Prozent. Mit neuen Bestmarken rechnet man auch für 2012 insgesamt und sogar für 2013, stabile konjunkturelle Rahmenbedingungen vorausgesetzt.
Auch der Maschinenbauer Linde sowie der Bauzulieferer HeidelbergCement profitieren von der global starken Nachfrage aus Amerika und Asien. Linde profitiert zusätzlich von Einsparmaßnahmen und konnte insgesamt seinen operativen Gewinn um gut sechs Prozent steigern. Allerdings drückten deutliche Preisschübe bei Energierohstoffen sowie erhöhte Frachtkosten auf das operative Ergebnis von HeidelbergCement, das im Jahresvergleich um 16 Prozent schrumpft und so deutlich hinter den Analystenerwartungen zurückblieb. Allerdings bleibt der Jahresausblick beider Unternehmen unverändert solide.
Aus dem MDAX konnte der Automobilzulieferer Continental von einer weltweit robusten Nachfrage nach Reifen und Autoelektronik profitieren und den Nettogewinn um gut 30 Prozent auf 483 Mio. Euro steigern und auch - nicht zuletzt - den positiven Jahresausblick bestätigen. Im Übrigen sind mittlerweile die formalen Bedingungen für eine Rückkehr von Continental in den DAX erfüllt.
Und was passiert in der nächsten Woche?
Aufgrund des dünnen Datenkalenders sorgen auf der politischen Ebene in Euroland die Ergebnisse der französischen Präsidentschafts- sowie der griechischen Parlamentswahl für ein Grundrauschen der Euro-Krise. Eine vermutlicher Sieg von Hollande und eine Schwächung der aktuellen pro Euro-Regierung in Griechenland könnten zu vorübergehenden Irritationen führen.
In Deutschland dürften unterdessen die Produktion und die Auftragseingänge der Industrie besser ausgefallen sein als im Vormonat
Auf Mikroebene geht die Berichtsaison in die nächste Runde. Neben Quartalszahlen der Commerzbank, die Analystenerwartungen zufolge von einem soliden Kerngeschäft sowie belastend von der Eurohypo geprägt sein dürften, sind von Münchner Rück solide Quartalszahlen angesichts eines katastrophenarmen I. Quartals zu erwarten. Zudem stehen weitere Zahlen von der DHL, Fraport sowie RWE auf dem Plan.
Die Suche nach der geliebten deutschen Stabilität
In seinem Schlager „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ besang Rudi Carrel die Sehnsucht der Deutschen nach einem schönen Sommer. Angesichts der Euro-Krise hegen die Deutschen aber noch eine weitere Sehnsucht: Nach Stabilität „wie sie früher einmal war“. Ja früher waren die Staatsschulden vergleichsweise niedlich und die Bundesbank maß dem Inflationsschutz noch ähnliche Bedeutung bei, wie der weiße Ritter der Ehre des Burgfräuleins.
Und heute? Die Staatshaushalte in Euroland sind von Ausgeglichenheit ähnlich weit entfernt wie das Raumschiff Enterprise von der Erde nach 10 Jahren Lichtgeschwindigkeit. Und mit Blick auf die sintflutartige Geldpolitik der EZB ist Inflationsbekämpfung nur noch ein Thema auf der Arche Noah, die jedoch als verschollen gilt. Für uns Deutsche, die von Kopf bis Fuß auf Stabilität eingestellt sind, war früher alles besser.
Stabilität im Realitätstest
Aber jetzt mal ehrlich. Ohne inflationär von der EZB bereit gestellte Rettungsringe hätten Italien, Spanien & Co. die (finanz-)stabile Seitenlage nie erreicht. Denn mit den Hungerkuren im Club Med hat man lediglich die Wachstumskräfte gelähmt und insofern weitere Schuldensünden auch noch begünstigt. Wachstum ist nicht alles, aber ohne Wachstum ist alles nichts.
Ein pragmatischer Lösungsweg für Euroland könnte den Namen „Kraft der drei Herzen“ tragen. Dabei wird zuerst das Kaputtsparen gelockert, um Wachstumpotenziale nicht völlig zu kastrieren. Diese Kröte wird das politische Deutschland zwar schlucken müssen. Allerdings haben wir dann als Gegenleistung auch das Recht, zu verhindern, dass die deutsche Stabilitätskultur im Zuge einer französischen Euro-Revolution in Gänze unter die Guillotine gerät. Zweitens müssen daher die begünstigten Länder klare Wirtschaftsreformen ergreifen, die ja erst ihrer Industrie über wiedererlangte Wettbewerbsfähigkeit Geschäfts- und damit dem Staat Steuerperspektiven eröffnen. Da diese Anpassungsprozesse lange Jahre dauern werden, fungiert drittens in der Zwischenzeit die EZB als Schutzpatronin für die euroländischen Staatsanleihemärkte.
Stabilität im germanischen Sinne lässt also noch auf sich warten. Aber es gibt ja auch die (Stabilitäts-)Liebe auf den zweiten Blick.
Euro-Krise 2.0? Nein, danke!
Die Euro-Familienmitglieder müssen diesen Weg einvernehmlich gehen und sich nicht wieder wie die Kesselflicker über die beste Lösung streiten. Mit Verlaub, wir müssten mit der Muffe gepufft sein, wenn wir Euroland, von dem auch das deutsche wirtschaftliche Schicksal stark abhängt, erneut wirtschaftslähmenden Polit-Schocks wie 2010 und 2011 aussetzten. Schon auf dem Bauernhof gilt die Regel: Hühner, die keine Ruhe haben, legen auch keine Eier.
Steilpass für sachkapitalistische Anlagen
Was bedeutet dies alles für Anleger? Eine wachstumsfördernde EU-Politik, die in einer prallen Geldpolitik noch sehr lange einen treuen Wegbegleiter findet, der selbst Inflation stillschweigend in Kauf nimmt, ist ein Fehlpass für Staatsanleihen. Warum lässt man Anlegern, die Vater Staat Geld zu Renditen leihen, bei denen man nach Teuerung noch drauf zahlt, mit dem Abgeltungssteuerbescheid nicht zusätzlich auch noch das Bundesverdienstkreuz zukommen?
Aber es ist ein Steilpass für die sachkapitalistischen Anlageklassen Aktien, Rohstoffe und Edelmetalle. Denn hier finden Sie sie noch, die geliebte deutsche Stabilität.
Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG
Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit
Interessenskonflikten der Baader Bank AG:
http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/
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