Kommentar
13:01 Uhr, 28.07.2011

Der Markt unter der Lupe: Von der Hand in den Mund

Da man sich bislang nicht auf eine - zumindest vorläufige - Lösung der Probleme Griechenlands einigen konnte und Details zu einem zweiten Rettungspaket noch immer ausstehen, spitzt sich die euroländische Schuldenkrise zu. Mittlerweile beklagt auch der IWF die politische Hängepartie. Und mit der Begründung, es gäbe noch kein neues und glaubwürdiges Wirtschaftsprogramm für Griechenland, hat nun auch die letzte US-Rating-Agentur, Fitch, die Bonität des Landes um vier Stufen gesenkt. Aufgrund der Handlungsunfähigkeit der Euro-Politik haben wir es mit einer politischen Krise zu tun.

Sehenden Auges lässt damit das politische Euroland zu, dass die Euro-Krise auch die Kernzone in Bedrängnis bringt. So stieg die Rendite 10-jähriger italienischer Staatsanleihen diese Woche erstmals seit 1997 über die Marke von sechs Prozent.

Das Hauptmanko Italiens, der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone, ist ohne Zweifel die hohe Staatsverschuldung. Ernsthafte Sparabsichten hat Italien bisher immer vor sich her geschoben, so dass die Staatsschulden auf knapp 1,8 Billion Euro angewachsen sind. Davon müssen allein bis Ende 2012 knapp 240 Mrd. Euro refinanziert werden. Zum Vergleich: In Griechenland sind es ca. 65 Mrd. Euro.

So wird die Bonität des Landes von den Rating-Agenturen zunehmend mit kritischem Blick beäugt. Zwar sehen die Rating-Agenturen Moody’s und S&P Italiens Schuldendienst nicht in Gefahr. Der Ausblick für das Land bleibt jedoch trotzdem negativ. Nach bekanntem Muster wurde auch das geplante italienische Sparprogramm bereits von den beiden Rating-Agenturen vorsorglich für unzureichend erklärt. Allen Übels nicht genug droht auch den italienischen Banken eine Herabstufung. Insgesamt schürt das Bedenken, dass die Rating-Agenturen auch Italien mit ihren Bonitätsabstufungen sturmreif schießen, was das Land früher oder später in eine finanzielle Schieflage bringen würde. Die self fulfilling prophecy der Rating-Agenturen würde auch hier wieder erfolgreich erfüllt.

Würde eine so große Volkswirtschaft wie Italien allerdings in schweres Fahrwasser geraten, reichten die bisher zur Verfügung stehenden Mittel aus dem Euro-Rettungsschirm nicht mehr aus. Ein Zusammenbruch der Eurozone wäre dann eine reale Gefahr.

Wehe, wenn die Politik ins Spiel kommt

Darauf findet Euroland immer noch keine perspektivische Antwort, keine klare Verteidigungsstrategie. Die Zuspitzung der Ereignisse in Euroland lässt sich besonders gut an der Schwäche des Euros zum weiter erstarkten Schweizer Franken ablesen, der aktuell auf einem Rekordtiefstand notiert und somit den Anlegern auch weiterhin als sicherer Hafen dient.

Die Euro-Politik versucht immer noch sehr einseitig, die Symptome der Krise zu kurieren. Eine Verdoppelung des Kreditvergabevolumens auf 1500 Mrd. Euro wird bereits diskutiert. Mittlerweile scheint man auch den letzten Bruch von Stabilitätstabus nicht mehr zu scheuen. Der Rettungsfonds soll griechische Anleihen aufkaufen und damit das Land entschulden. Diese planwirtschaftliche Rettungsmaßnahme, die wieder auf finanzielle Gesundbetung und Zeitgewinn statt auf marktwirtschaftliche Perspektive setzt, soll schon aufgrund seiner schieren Größe die Finanzmärkte abschrecken. De facto haben wir damit einen Euro-Caritas-Bond geschaffen, der sich der Länder-Wohlfahrt verschrieben hat.

Der Weg zu regulären Euro-Bonds ist dann auch nicht mehr weit. Staatsanleihen der prekären Euro-Länder, die von den Finanzmärkten mit Argwohn betrachtet werden, existierten dann nicht mehr. Ad hoch könnte man annehmen, dass dann Ruhe einkehrte. Würde man die Höhe möglicher Renditen von gemeinsamen 10-Jahres-Euro-Anleihen abschätzen, käme man etwa auf 4,5 Prozent. Das sind etwa 1,8 Prozentpunkte mehr als man derzeit für deutsche Staatsanleihen zahlen müsste. Neben den umfangreichen Bürgschaften und der für den permanenten Rettungsschirm zu zahlenden Bareinlagen, würde Deutschland also über höhere Zinsen erneut in Vorleistung treten.

Grundsätzlich ist jeder Schuldenschnitt Griechenlands langfristig wenig zielführend. Denn die gestrichenen Schulden kommen ohne ein tragfähiges Geschäftsmodell schnell wieder dazu. Machen wir uns nichts vor. Im starren Euro-Korsett hat Griechenland keine Chance, wirtschaftlichen Wind unter die Flügel zu bekommen. Die in der Konsequenz neuen Schulden müssten dann erneut von den Geberländern solidarisch gedeckt werden. Machen die Parlamente der Geberländer das längerfristig überhaupt noch mit? Dies ist zu bezweifeln.

Darf man noch fragen, was die Gegenleistung für diese permanente Transferunion ist? Ist es die Eindämmung der Gefahr, dass eine Pleite Griechenlands die Banken in arge Bedrängnis brächte? Rechtfertigt dieses seit langem wie eine Monstranz vorgetragene Argument die zunehmende Verflüchtigung der marktwirtschaftlichen Grundordnung in Euroland? Außerdem wer garantiert uns, dass die Rating-Agenturen nicht auch die Euro-Bonds abstufen und damit die Zinsen weiter steigen. Und nicht nur das. Bei gemeinschaftlichen Anleihen ist es noch einfacher, schließlich auch Deutschland als größten Bürgen abzustufen. Denn wir sind in der Mithaftung. Damit erhöhten sich auch in Deutschland die Kreditzinsen. Ist es das alles wert? Insgesamt versucht die Euro-Politik Hase zu sein, um am Ende festzustellen, dass der Igel wieder gewonnen hat.

An klaren Schnitten kommt Euroland nicht vorbei

Um den Kern der Eurozone vor einem Schreckensszenario zu bewahren, in dem die Kosten zur Rettung einzelner Euro-Länder letztlich den Nutzen überschreiten, müssen die einzelnen Problemstaaten nüchtern als Investitionsprojekte betrachtet werden. Es müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden. Die grundsätzlichen Probleme müssen angepackt werden. Wenn ein krisengeschüttelter Peripheriestaat auch langfristig keine perspektivische Besserung verspricht, ein Investitionsprojekt also nur Verluste einfährt, muss zum Schutz der Eurozone offen über eine Umschuldung mit anschließendem Austritt des Landes aus der Eurozone nachgedacht, das Investitionsprojekt also gestoppt werden. Schließlich darf eine Ansteckung der restlichen Eurozone, die es als politisches und wirtschaftliches Gegengewicht zu den USA, China und den Schwellenländern definitiv zu erhalten gilt, nicht zugelassen werden. In diesem Rahmen könnten die zur Stabilisierung des betroffenen Euro-Lands gedachten Hilfsmittel alternativ zur Stützung des Bankensystems der euroländischen Geberländer genutzt werden, um resultierende massive Wertberichtigungen bei Staatsanleihen und Krediten aufzufangen. Natürlich ist dies auch mit deutlichen Reibungsverlusten an den Finanzmärkten verbunden. Aber der Weg der planwirtschaftlichen Daueralimentierung ist ein schleichendes Gift, das längerfristig dennoch nicht den Zerfall der Eurozone aufhält, im Gegenteil.

In der Praxis wird die Euro-Politik diesen theoretisch konsequenten Schritt allerdings noch nicht gehen.

Italien ist nicht Griechenland!

Grundsätzlich geht es darum, die vergleichsweise starken Länder nicht durch politische Unachtsamkeit ins finanzwirtschaftliche Verderben zu stürzen. Noch einmal: Ein starkes Euroland muss erhalten bleiben. Über eine mangelnde Schuldenrefinanzierung Italiens muss man sich grundsätzlich keine Sorgen zu machen. Diese Einschätzung teilt selbst der weltgrößte private Anleihe-Investor Pimco, der den plötzlichen Kursverfall italienischer Staatsanleihen für Zukäufe nutzte.

Vergleicht man Problemstaaten wie Portugal oder Spanien mit Italien, so zeigt sich Italien zwar mit einer für 2011 geschätzten Staatsverschuldung von ca. 129 Prozent zur Wirtschaftsleistung gegenüber Werten von 74 und 111 in schlechterer Verfassung. Bei Betrachtung weiterer Kennzahlen erscheint Italien allerdings wirtschaftlich stabil. So erzielt es Konsensschätzungen zufolge 2011 ein positives, wenn auch geringes Wirtschaftswachstum von 0,9 Prozent, mit dem es im Dreiervergleich an der Spitze liegt. Auch in punkto Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit sowie Arbeitslosigkeit liegt Italien im direkten Vergleich vorn. Das Land hat eine große und diversifizierte Wirtschaft mit weltweit führenden Unternehmen, die starke und innovative Produkte hervorbringen. Im Gegensatz zu anderen Staaten - auch außerhalb des Euroraums - hat man also ein funktionierendes Geschäftsmodell.

Zudem hat die italienische Regierung den Ernst der Lage - wenn auch spät - verstanden und ist dabei, ein umfangreiches Sparpaket über 48 Mrd. Euro zu verabschieden, in dem unter anderem Kürzungen im öffentlichen Sektor, dem Steuer- und Gesundheitssystem sowie Privatisierungen geplant sind. Auch wenn es zu früh ist, eine Schuldenentwarnung zu geben, so würde aus jetziger Perspektive das Haushaltsdefizit bis 2014 auf 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesenkt werden können.

Und auch der sogenannte Misery-Index, der Elends-Index, der die Inflationsrate und Arbeitslosigkeit addiert als Maßstab für das wirtschaftliche Befinden der jeweiligen Bevölkerung darstellt, zeigt für Italien im Vergleich zu den prekären Euro-Ländern eine deutlich bessere Entwicklung. Selbst gegenüber Deutschland fällt er nicht wesentlich schlechter aus. Italien ist also kein Underdog. Würde man jetzt Italien unlösbare Finanz- und Wirtschaftsprobleme vorwerfen, müsste man mindestens der Hälfte der Länder der Welt gleiche Vorhaltungen machen.

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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