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12:21 Uhr, 04.09.2008

Der Gesundheitsfonds - ein Politkompromiss mit Risiken und Nebenwirkungen

Externe Quelle: Deutsche Bank Research

In knapp vier Monaten startet der neue Gesundheitsfonds. Er soll für mehr Wettbewerb bei den gesetzlichen Krankenkassen sorgen. Die Kassen verlieren die Hoheit über ihre Beiträge und müssen sich auf ein neues Finanzierungsverfahren einstellen. Bislang konnten die Kassen die Beitragssätze innerhalb – freilich enger – gesetzlicher und politischer Vorgaben selbst bestimmen. Künftig gibt hingegen die Bundesregierung einen einheitlichen Beitragssatz vor. Und statt an die Kassen fließen die Beiträge dann an den neuen Fonds.

Der Fonds fungiert als (Um-)Verteilungsmaschine für die Gelder der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), zu denen neben den Beiträgen noch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt gehören. Diese Mittel leitet der Fonds in Form von Pauschalen je Versicherten an die einzelnen Krankenkassen zurück. Die Pauschalen werden aber durch Zu- und Abschläge abhängig vom Alter, dem Geschlecht und der Gesundheit der Versicherten modifiziert. Dafür sorgt der veränderte, morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (MRSA). Kassen, die mit den Pauschbeträgen nicht auskommen, können von ihren Versicherten Zusatzbeiträge erheben. Hingegen können Kassen, die Überschüsse erwirtschaften, ihren Beitragszahlern Rückerstattungen gewähren. In dem neuen Finanzierungsverfahren steckt Zündstoff eine Umwälzung der Kassenlandschaft.

Zu den elementaren Konstruktionsfehlern des Gesundheitsfonds gehört das Festhalten an lohnabhängigen Beiträgen. Über solche Beiträge werden in der Anfangsphase noch 100 % und in den kommenden Jahren dann immer noch 95 % der GKV-Ausgaben finanziert. Die für den Standort D, für mehr Beschäftigung und für bessere Wachstumsperspektiven des Gesundheitssektors gleichermaßen erforderliche Abkoppelung der Gesundheitsausgaben von den Arbeitskosten findet nicht statt. Das heißt auch: Der Gesundheitsfonds bleibt mit der Aufgabe der Einkommensumverteilung, die eigentlich dem Steuer- und Transfersystem obliegt, überfrachtet.

Vor allem droht der Fonds als Impulsgeber für mehr Wettbewerb zwischen den Krankenkassen und damit bei seiner Hauptaufgabe zu versagen. Ursache dafür sind Mängel in dem neuen Verfahren der Kassenfinanzierung, das den Versicherten nur unzureichende Anreize für die Wahl der wirtschaftlich effizientesten Kasse bietet. Solche Anreize sollen aus den Zusatzbeiträgen resultieren, die unwirtschaftliche Kassen ihren Mitgliedern auferlegen müssen. Restriktive Vorgaben schwächen jedoch die Steuerungsfunktion der Zusatzbeiträge. So dürfen die Kassen von den Versicherten nur maximal 1 % des versicherungspflichtigen Einkommens zusätzlich einfordern, wobei diese Überforderungsgrenze erst für Beträge über EUR 8 pro Monat gilt. Hier stellt sich die Frage, ob Zusatzbeiträge von maximal 6,5 % (gemessen an den individuellen Beiträgen von 15,5 % des Einkommens) ausreichen, um die Versicherten zu einem Kassenwechsel zu motivieren. Manche Zweifler meinen sogar, die Deckelung des Zusatzbeitrages bei EUR 8 könnte Geringverdiener veranlassen, in unerwünschter Weise in Kassen mit einem relativ umfangreichen Leistungsangebot zu wechseln, unabhängig von der Wirtschaftlichkeit dieser Kassen.

Auf ein weiteres Problem hat der Sachverständigenrat hingewiesen. Seiner Ansicht nach benachteiligt die Überforderungsklausel Kassen mit vielen gering verdienenden Beitragszahlern. Diese Kassen müssen im Bedarfsfall von den einkommensstärkeren Versicherten höhere Zusatzbeiträge einfordern als Kassen mit einer ausgewogenen Mitgliederstruktur. Die betroffenen Kassen könnten daher sehr schnell gerade ihre zahlungsstärkeren Mitglieder verlieren. Ergebnis sei ein verzerrter Ausleseprozess, der einzelne Kassen beschleunigt in den Konkurs führen könne.

Nicht weniger umstritten als die Überforderungsklausel ist der neue Risikostrukturausgleich. Hier bestehen Zweifel, ob der komplexe morbiditätsorientierte RSA die unterschiedlichen Risikostrukturen tatsächlich besser ausgleicht als das bisherige, einfachere System, das im Wesentlichen auf die Merkmale Alter, Geschlecht und Einkommen abstellt. Nur dann würde sich der Aufwand der Erfassung und Berücksichtigung einer Vielzahl von Krankheiten lohnen. Von den Zweifeln und der anhaltenden Debatte über einen effizienten MRSA zeugt die Tatsache, dass der von der Bundesregierung mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Klassifizierungsschemas beauftragte wissenschaftliche Beirat im März geschlossen zurückgetreten ist.

Freilich gibt es auch grundsätzliche Bedenken gegen den neuen MRSA. Mit der verstärkten Berücksichtigung von Krankheitsrisiken beim Kassenfinanzausgleich hat die Politik die Reichweite des Solidarprinzips in der Krankenversicherung neu vermessen. Bislang bildet im Grunde jede einzelne Krankenkasse eine Solidargemeinschaft, in der Gesunde für Kranke eintreten. Der kassenübergreifende Solidarausgleich erfolgt nachträglich durch den RSA. Mit der Umstellung auf den erweiterten morbiditätsorientierten RSA erfolgt ein umfassender Solidarausgleich nun über alle gesetzlich Versicherten hinweg. Das entspricht zwar wohl der Idee der Sozialversicherung und eines (relativ) gleichen Solidarbeitrages aller gesetzlich Versicherten. Aber das neue Verfahren zeitigt auch unerwünschte Nebenwirkungen. So kann der MRSA das Interesse der Krankenkassen an effizient organisierter Hilfe für Versicherte, die von einer der im Ausgleichssystem erfassten Krankheiten betroffen sind, mindern. Schließlich werden den Kassen ja die in diesen Fällen anfallenden überdurchschnittlichen Kosten erstattet.

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Über den Experten

Alexander Paulus
Alexander Paulus
Technischer Analyst und Trader

Alexander Paulus kam zunächst über Börsenspiele in der Schule mit der Börse in Kontakt. 1997 kaufte er sich seine erste Aktie. Nach einigen Glückstreffern schmolz aber in der Asienkrise 1998 der Depotbestand auf Null. Da ihm das nicht noch einmal passieren sollte, beschäftigte er sich mit der klassischen Charttechnik und veröffentlichte seine Analysen in verschiedenen Foren. Über eine Zwischenstation kam er im April 2004 zur stock3 AG (damals BörseGo AG) und veröffentlicht seitdem seine Analysen auf stock3.com (ehemals GodmodeTrader.de)

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