Den Gewinn begrenzen und Verluste laufen lassen
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Hallo liebe Leserinnen und Leser,
nach 13 Jahren an der Börse wundere ich mich heute kaum noch über heftige Bewegungen an den Märkten, zu viele solcher Extremsituationen durfte ich in meiner wahrlich nicht langen, aber sehr turbulenten Zeit als Trader miterleben. Als gebranntes "Crashkind", der seine ersten Trades Anfang 2000 mit Biotech- und australischen Minenwerte versemmelt hat, habe ich seit dem viele Crashs und auch "Jahrhundertrallies" (Apple, Netflix, ...) mit ansehen dürfen.
Steht man als Neuling noch ungläubig mit offenem Mund vor manch einem Chartverlauf, geht man als erfahrener Trader mit einer gewissen Abgebrühtheit an die Sache heran. Eindeutig ist dies der mentalen Abhärtung auf Grund der vielen Erlebnisse zu verdanken. Diese Abhärtung ist einerseits ein Schutzmechanismus, der unbewusst durch die schmerzhaften Erfahrungen aufgebaut wird und künftig vor zu viel Risiko und Überreaktionen schützen soll. Andererseits wird durch die „Abhärtung“ die eigene Intuition trainiert, welche neben dem charttechnischen Grundwissen der zweite Schlüssel zum Erfolg an der Börse ist. Unlängst hatte ich folgende Aussage formuliert:
"Meiner Meinung nach ist (dauerhaft) erfolgreiches Trading das Ergebnis einer soliden mentalen Verfassung und geschickter Kombinationsfähigkeit. Jede Handelsstrategie hat ihre Daseinsberechtigung, ist jedoch nicht für jede Marktsituation und vor allem für jeden Trader geeignet. Erfolgreiches Trading ist die Kunst, verschiedene Handelsansätze zum richtigen Zeitpunkt zu kombinieren und umzusetzen."
Das Training des Bauchgefühls ist ein langwieriger Prozess, den man nicht aus Büchern erlernen kann. Von Natur aus sensible und emotionale Menschen werden hierbei schneller vorankommen als sehr rationale Menschen, die Entscheidungen allein auf empirischer Datenanalyse treffen. Letztlich ist es meines Erachtens aber zwingend nötig, ein gewisses Stück weit die Intuition für die Handelsentscheidungen einzubeziehen, um auf Dauer erfolgreich zu handeln. Denn jedes statische Handelssystem ist nur temporär ein Erfolgsmodell, es muss doch immer wieder manuell, vom Menschen, justiert werden. Aus diesem Grund werden Computersysteme oder Händler, die stur nach Statistiken und lediglich einem bestimmten Handelsansatz vorgehen, auf Dauer immer wieder herbe Rückschläge erleiden. Zu dynamisch ist das System Börse, zu viele Individuen, Meinungen und Interessen treffen sich zum täglichen Schlagabtausch an den Märkten. Deshalb wird es auch niemals DIE eine richtige Technik geben, DEN perfekten Handelsansatz. Zwar hat man mit der Charttechnik ein mächtiges Instrument an der Hand, Stimmungen am Markt zu erfassen und hohe Wahrscheinlichkeiten für einzelne Bewegungssequenzen zu bestimmen, doch sind auch hier die Ansätze so verschieden wie die Marktteilnehmer selber.
Als Anfänger ist man regelrecht erschlagen von der Fülle an verschiedenen Analysemethoden und technischen Ansätzen, aber auch überfordert, was die Risikoeinschätzung und das Moneymanagement betrifft. Da hilft alle auswendig gelernte Theorie nicht: Einige Erfahrungen muss man hautnah erleben, damit sie sich tief genug einbrennen und den „Abhärtungsprozess“ beschleunigen. Der erste heftige Drawdown, im schlimmsten Fall sogar das „An-die-Wand-fahren“ des ersten Depots sind einschneidende Erlebnisse in der Traderkarriere, die fast schon zum Pflichtprogramm gehören. Es ist in gewisser Weise Lehrgeld, das man für die Ausbildung seines Tradingstils und seiner Intuition zahlt - der eine mehr, der andere weniger. Mit einer geschickten Herangehensweise kann man diese unschönen Erfahrungen im kleinen Rahmen halten und schneller auf die Erfolgsspur kommen. Neben dem studieren von Fachliteratur sind meiner Meinung nach noch zwei Dinge extrem wichtig auf dem Weg zum erfolgreichen Trader: Viel beobachten und an der eigenen Persönlichkeit arbeiten. Es ist von enormem Vorteil, seine eigenen Stärken und Schwächen zu kennen. Nur so wird man sich aus den verschiedenen Puzzleteilen den speziellen Tradingstil formen, mit dem man am besten umgehen kann. Dabei verhält es sich wie mit einem maßgeschneiderten Anzug: Nicht jeder Tradingstil bzw. jede Kombination aus verschiedenen Techniken ist für jeden Trader gleich geeignet. Ganz einfach weil er eine andere Sicht auf die Dinge und eine andere Risikoaversion hat.
Das Bauchgefühl wird einem immer den richtigen Weg weisen, wenn man mental ausgeglichen und zufrieden ist, aber auch konsequent reflektiert und kritisch ist. Wir alle sind emotionale Wesen und tagtäglich wechselnden Gefühlsschwankungen unterworfen. Einige davon sind von Vorteil fürs Traden, andere klar von Nachteil. Wenn ich mich morgens ausgeruht und erfüllt von schönen Erlebnissen des Vortages an den Rechner setze, geht das Traden viel leichter von der Hand. Nicht dass ich dann automatisch besser trade, es sind immer die unkalkulierbaren Faktoren Glück und Pech im Spiel. Aber ich gehe bewusster und vernünftiger mit Handelsentscheidungen und -ergebnissen sowie mit Extremsituationen um. Ganz anders, wenn ich müde oder gestresst bin oder emotional unter Druck stehe. Zu leicht lässt man sich dann von Gefühlen überwältigen: Gier, Wut (auf sich selbst und den verflixten Markt) und letztlich Resignation sind die schlechtesten Ratgeber beim Traden. Jeder kennt diese Momente beim Traden, jeder Marktteilnehmer war schon einmal in einer solchen Situation und wird auch unweigerlich wieder hineinschlittern. Diese Situationen gehören im Börsenalltag dazu und es wird sie immer geben. Einen entscheidenden Vorteil hat aber der Trader, der sie frühzeitig erkennt und gegensteuert.
André Rain - Technischer Analyst bei GodmodeTrader.de
Zur Person: André Rain, charttechnischer Analyst und Trader, verantwortet bei GodmodeTrader.de den Tradingservice Rainmantrader.
Rain ist seit dem Jahr 2000 im Aktienhandel aktiv und startete schon bald mit der autodidaktischen Ausbildung der Chartanalyse. Die Faszination für die Charttechnik führte ihn im Mai 2005 zu GodmodeTrader, wo er als Technischer Analyst mit Schwerpunkten in Aktien- und Devisenanalysen tätig ist. Seit 2004 handelt er privat intensiv Aktien und Hebelzertifikate im kurzfristigen Zeitfenster von mehreren Stunden bis wenigen Tagen. Dabei hat er sich auf den Handelsstil des Ausbruchstradings spezialisiert, mit dem er an kurzen, dynamischen Marktbewegungen partizipiert. Seiner Meinung nach ist der Chart das beste Instrument zur Auswertung und Prognose von Bewegungen an den Finanzmärkten. Seit 2009 gibt er sein Wissen und seine Erfahrungen in Vorträgen auf Messen und in Webinaren weiter.
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