Kommentar
14:11 Uhr, 24.12.2011

Börsenjahr 2012: Erst mit Taten werden aus Visionen Perspektiven

Es sind die letzten Tage des alten Börsenjahres 2011. Werden Sie etwa melancholisch? Also mir persönlich fällt es schwer, besonders warme Gefühle für dieses annus horribilis zu entwickeln. Im alten Jahr haben eigentlich Politik und Rating-Agenturen den Standard dafür gesetzt, wie man Krisen nicht nur nicht löst, sondern weiter verschärft.

Die Politik, die sich nicht traut, zu führen

Aus den Fehlern könnte man nun für 2012 Visionen entwickeln, wie man es besser machen könnte. Unser Altkanzler Helmut Schmidt sagte aber einmal „Wer Visionen hat, sollte zum Augenarzt gehen“. Er meinte damit, dass es nicht nur bei Visionen bleiben dürfe. Ein zielgerichtetes Handeln müsse sich anschließen, um der Vision auf das Pferd zu helfen.

Sicherlich betonen Politiker zu Recht die Vision, dass die Erhaltung von Eurozone und Euro (geo-)politisch, (finanz-)wirtschaftlich und sozial insbesondere für Deutschland existenziell ist. Wer aber bei dieser Vision A sagt, muss in der Umsetzung auch B sagen. Ist also die euroländische Vision in der Krise, trägt es wenig zur Krisenlösung bei, sich nur zu grämen, dass die Finanzmarktstabilität gefährdet ist (EZB-Chef Draghi), eine neue Große Depression droht (IWF-Chefin Lagarde) oder Euroland scheitert, wenn der Euro scheitert (Bundeskanzlerin Merkel). Wo bleiben denn die konkreten Schritte der Weisen aus dem Abendland, die der Vision zum Erfolg verhelfen? Die bisher ergriffenen „Taten“ - die Kredite an Griechenland haben die Nöte nicht gelindert, der Euro-Rettungsschirm braucht selbst Rettung, auf den EU-Gipfelkongressen wurde getanzt - waren offenbar nicht tatkräftig genug. Sie haben den Finanzmärkten und ihren Hohepriestern, den Rating-Agenturen, deutlich die euro-politische Führungsschwäche vor Augen geführt. Aus politisch Führenden wurden tatsächlich von den Finanzmärkten am Nasenring durch die finanzpolitische Arena Geführte.

Insgesamt war 2011 das Jahr der verpassten Chancen. In der Jahresbeurteilung kann man noch nicht einmal schreiben: Sie waren stets bemüht…

Über den eigenen stabilitätspolitischen Schatten springen

„Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen“. Dieses Zitat von Goethe ist der kategorische Imperativ an die Euro-Politik, endlich mehr Geschlossenheit wie zuletzt zwischen Paris und Berlin zu zeigen und Störenfriede galant zur Ausgangstür zu geleiten.

Am wichtigsten ist es allerdings, die bisherigen alten geldpolitischen Zöpfe abzuschneiden. Denn mittlerweile gibt es Liquiditätswüsten in Euroland, konkret z.B. Spanien und Italien, die das zum finanzpolitischen Überleben dringend erforderliche Wasser auf normalem Weg nicht mehr erhalten. Ihnen kann nur noch die Oase der EZB helfen. Leider kommt diese Liquidität über die Banken als Wasserträger schwerpunktmäßig im risikoarmen Regenwald - z.B. bei deutschen Staatsanleihen, die nun wirklich keinen Wassermangel kennen - an, nicht aber in Spanien und Italien. Damit die Wüste dort aber leben kann, muss die EZB die Dürre zielgerichtet beenden. Sie muss Brunnen bauen, also an deren Staatsanleihemärkten direkt stützend eingreifen.

Diese Maßnahmen werden insgesamt eher früher als später - das gehört zur Wahrheit dazu - die Inflation antreiben. Dieser Preis ist zu zahlen. Man muss jedoch erkennen, dass wir nicht mehr dem germanischen Stabilitätsanspruch genügen können, sondern einen anderen Stabilitätsbegriff in den Fokus stellen müssen: Den Erhalt der Eurozone. Und jetzt mal ehrlich: Wenn schon die Notenbank stabilitätspolitisch sündigen muss, sollte sie sich dann nicht für die Sünde entscheiden, die die schlagkräftigste Wirkung für Euroland hat?

Apropos Stabilitätssünde: Immerhin bekommen die Sorgenkinder durch die EZB die Zeit geschenkt, um sich wieder deutschem Stabilitätsdenken gemäß geplanter Fiskalunion anzunähern, um damit nicht zuletzt die eigene Wasserversorgung längerfristig wieder sicher zu stellen. Oder um einen anderen Bundeskanzler zu zitieren: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt“

2012: Holt die apokalyptischen Reiter vom Pferd

Sicherlich ist das Jahr 2012 ein Jahr mit vielen Unbekannten. Bei seiner Bewältigung sind visionäre Worte allein so kraftlos wie Samson ohne Haare. Erst mit klaren und unkonventionellen Taten werden aus edlen Visionen überzeugende Perspektiven. Nur dann empfangen wir im nächsten Jahr die frohe Botschaft und fallen die vielen apokalyptischen Reiter mit all ihren düsteren Vorahnungen vom Pferd. Das wäre für mich im Neuen Jahr die größte Freude.

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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