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11:55 Uhr, 22.03.2024

Berenberg: Deutsche Industrie nicht ganz so schwach wie wahrgenommen

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones) - Die deutsche Industrie ist nach Aussage von Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding nicht ganz so schwach wie weithin wahrgenommen. Schmieding verweist in einer Analyse darauf, dass die Produktion im verarbeitenden Gewerbe 2023 zwar um 6,5 Prozent unter dem Niveau von 2029 gelegen habe, die Bruttowertschöpfung aber nur um 0,2 Prozent. Der Ökonom führt drei mögliche Erklärungen dafür an:

1. Angesichts des scharfen globalen Wettbewerbs und der hohen inländischen Kosten, einschließlich der teuren Energiekosten, bewegen sich die deutschen Unternehmen auf der Margen- und Qualitätsleiter nach oben.

2. Es scheinen einige Unternehmen den Produktionsprozess im Inland auszuweiten. Indem sie mehr Vorleistungen im Inland produzieren, anstatt sie aus dem Ausland zu importieren, erhöhen sie den Anteil der inländischen Wertschöpfung pro Produktions- und Umsatzeinheit. "Dies könnte eine Reaktion auf die allgegenwärtige Verknappung von Vorleistungen nach der Pandemie sowie auf geopolitische Bedenken sein, die das exponierte Deutschland besonders hart getroffen hatten", meint Schmieding.

3. Erwirtschaften die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes und ihre Tochtergesellschaften wahrscheinlich einen zunehmenden Anteil ihrer Wertschöpfung aus Kundendienstleistungen und dem Verkauf von Entwürfen und Designs, was sich in ihrer Gesamtunternehmensleistung stärker niederschlägt als in den Produktionszahlen für Waren.

Eine andere Art, die Situation zu beschreiben, ist Schmieding zufolge die Betrachtung des Faktors Arbeit. "Während die Gesamtbeschäftigung in Deutschland trotz eines gesamtwirtschaftlichen Zuwachses der Bruttowertschöpfung von lediglich 0,6 Prozent im Jahr 2023 das Niveau von vor der Pandemie 2019 um 1,4 Prozent übertrifft, ist die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe in diesem Zeitraum um 3,5 Prozent gesunken", schreibt er.

Entgegen dem Trend in der Gesamtwirtschaft hätten die Hersteller damit ihre Produktivität gesteigert, obwohl immer wieder berichtet werde, dass sie in Erwartung einer Erholung nach dem ungewöhnlichen Rückgang des globalen Warenhandels im vergangenen Jahr weiterhin knappe Arbeitskräfte horteten.

Der Produktivitätszuwachs passt zu der Interpretation, dass die deutschen Hersteller ihre Leistung steigern. Zwei Drittel der Arbeitsplatzverluste im verarbeitenden Gewerbe wurden Schmieding zufolge durch Zuwächse in der Informations- und Kommunikationsbranche ausgeglichen, einem weiteren leistungsstarken Teil der Wirtschaft, der seine reale Wertschöpfung von 2019 bis 2023 um 16,2 Prozent steigerte.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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