Austerität als aussterbende Spezies in Euroland
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Trotz euro-politischer Turbulenzen zeigt sich die Konjunkturstimmung in Euroland im II. Quartal 2013 von einer verhalten positiven Seite. Setzt man die aktuelle Geschäftslage euroländischer Unternehmen zu deren Geschäftserwartungen gemäß der typischen vier Phasen eines Konjunkturzyklus zueinander in Bezug, ist keine signifikante Verschlechterung der euroländischen Wirtschaft gegenüber dem I. Quartal feststellbar. Bei einer minimalen Verschlechterung der Geschäftslage haben sich die Geschäftserwartungen sogar minimal verbessert. De facto befindet sich die Eurozone damit laut quartalsweiser Umfrage des ifo Instituts weiter - wenn auch nur knapp - auf Aufschwungskurs.
Grafik der Woche: ifo Konjunkturmatrix der Eurozone
Die Angst vor sozialen Unruhen der Politiker ist groß. Daher soll die Lockerung der euroländischen Sparpolitik - einige Politiker sprechen sogar schon vom Ende der Austeritätspolitik - für dringend nötige Wachstumsimpulse sorgen. Die EU-Kommission hat Spanien und Frankreich bereits zwei Jahre mehr Zeit eingeräumt, um ein Haushaltsdefizit von drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erreichen. Noch mehr "Flexibilität" in der euroländischen Sparpolitik ist zu erwarten.
Denn schon die aktuellen Daten zeigen, dass die prekären Länder bei Erfüllung ihrer bereits nachsichtigen Sparziele im Trend hinterherhinken. Müsste man den Sparerfolgen Noten beimessen, müsste man Italien eine „Sechs“, Portugal eine „Fünf“ und Frankreich eine wohlwollende „Vier“ geben.
Reformmüdigkeit oder die „4“ ist die „1“ des kleinen Mannes
Da der Griff in die Schuldenkiste zur Ankurbelung der Konjunktur auch offiziell zunehmend toleriert wird, nehmen auch die Reformanstrengungen in der Euro-Südzone ab. So verlieren Italien und Frankreich immer mehr an Standortqualität. Ihre Lohnstückkosten liegen deutlich über dem euroländischen Durchschnitt und deutlich ohnehin über den deutschen Daten. Das wichtige Euro-Land Frankreich ist ein besonders dramatisches Beispiel für das Schleifenlassen von Reformen. Auch die von der französischen Regierung für Ende Mai geplante Flexibilisierung des Arbeitsmarktes springt zu kurz, ist kein wirklicher Durchbruch, um in einer globalisierten Industriewelt an Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen.
Nach zuletzt deutlichen Verbesserungen ist selbst in Portugal laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat zukünftig wieder mit steigenden Lohnstückkosten als Konsequenz mangelnder Reformen zu rechnen. Einzig Spanien treibt seine Strukturreformen - auch wenn sie sicher nicht das Niveau unserer Agenda 2010 erreichen - voran, um ein Absinken der Lohnstückkosten zu Frankreich zu bewirken. Man versucht, der französischen Konkurrenz Marktanteile abzunehmen.
Die EZB als Raumschiff Enterprise
Unermüdlicher Feuerschutz für die prekären Euro-Staaten kommt von der EZB. So signalisierte Mario Draghi erneut in für Notenbanker ungewöhnlicher Deutlichkeit seine geldpolitische Unterstützung zur Stabilisierung der Euro-Konjunktur. Neben einer Schwächung des Euros zur Ankurbelung der euroländischen Exporte geht es der EZB insbesondere um günstige Verschuldungskonditionen für Italien & Co.
Insofern wird neben einer erneuten Senkung des Leitzinses auf 0,25 Prozent eine Senkung des EZB-Einlagezinses auf negatives Niveau ins Auge gefasst. Parkten die Banken noch bis Juli 2012 aufgrund der massiven Unsicherheit über die eskalierende Euro-Krise Finanzmittel auf Rekordniveau bei der EZB, so sorgten die nachfolgende Krisenentspannung und die Senkung des EZB-Einlagezinssatzes auf null Prozent für einen deutlichen Rückgang der Übernachteinlagen bei der EZB. Ein negativer Parkzins würde den Abzug von Finanzmitteln noch weiter beschleunigen.
So nähme die EZB den Geschäftsbanken über eine Strafgebühr den Anreiz, Liquidität bei ihr zu parken. Banken würden weiter gezwungen, in die Finanzmärkte zu investieren.
Auf der Suche nach renditeträchtigen Anlagemöglichkeiten werden die Geschäftsbanken dann nicht zögern, noch mehr Staatsanleihen der Euro-Südzone zu kaufen. Schließlich ist deren Solidität seit Draghis Rettungsversprechen aus dem Juli 2012 von der EZB - wenn auch nur künstlich - garantiert. Und so wird der Wunsch der EZB zur Realität: Das durch die Kaufaktivitäten weiter fallende Zinsniveau bei Staatsanleihen - 5-jährige italienische und spanische Staatsanleihen notieren mit einer Rendite von 2,8 bzw. 2,9 Prozent auf dem niedrigsten Niveau seit 2010 - gewährleistet zunehmend günstigere Verschuldungskonditionen für die angeschlagenen Euro-Länder.
Es steht Bundesbank drauf, drin ist aber Fed
Die EZB betritt geldpolitisches Neuland. Sie diskutiert bereits über den Aufkauf von verbrieften Krediten an Klein- und mittelständische Unternehmen, um die Kreditvergabe an Unternehmen in der Euro-Peripherie zu stärken. Banken erfahren so einen Anreiz zur Vergabe von Krediten, nicht zuletzt, weil sie diese zur Not an die EZB verkaufen könnten. Im Endeffekt drückt diese geldpolitisch neue Maßnahme die Kreditzinsen.
Als Blaupause dient hier der Aufkauf von mit Hypotheken besicherten Wertpapieren der US-Notenbank, der das Zinsniveau für Immobilienkredite in den USA auf ein Niedrigstniveau gedrückt und so zu einer Renaissance des US-Immobiliensektors mit stabilisierender Wirkung auf die Gesamtwirtschaft geführt hat.
Berichtsaison mit freundlichen Ausblicken
Linde konnte insbesondere dank der hinzu gekauften US-Tochter Lincare mit einem Gewinnzuwachs von gut 10 Prozent in das Jahr starten und den soliden Ausblick bestätigen. Die Commerzbank schrieb aufgrund von Sonderkosten in Höhe von 500 Mio. Euro rote Zahlen und auch der Ausblick für 2013 stimmt wenig zuversichtlich. Positive Effekte werden erst ab 2014 Jahr erwartet. Münchener Rück profitiert von ausbleibenden Naturkatastrophen und ist auch für das restliche Jahr zuversichtlich. Allianz konnte aufgrund einer soliden Entwicklung in allen Geschäftssegmenten den Gewinn um rund 24 Prozent zum Vorjahr steigern. Auch der Ausblick bleibt trotz anhaltender Marktrisiken solide. Trotz schwierigem Fahrwasser stimmt der Ausblick der Deutschen Telekom zuversichtlich.
Henkel profitiert von seiner starken Stellung in den Schwellenländern. HeidelbergCement behält trotz des langen Winters in Europa und den USA den grundsätzlich positiven Jahresausblick bei.
E.On bekommt die Kosten der Energiewende weiterhin zu spüren. Entsprechend pessimistisch fällt auch der Ausblick für das Gesamtjahr aus. Lanxess musste einen Gewinnrückgang zum Vorjahr um 87 Prozent hinnehmen, nachdem insbesondere das Reifengeschäft im Zuge der Flaute auf dem Automarkt in Europa deutlich nachgab. Zwar geht der Spezialchemiekonzern von einer Konjunkturerholung im II. Halbjahr aus, revidierte aber trotzdem seine Jahresprognose nach unten.
Und was passiert in der nächsten Woche?
Auf Makro-Ebene deuten in den USA der Empire State Index sowie der Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed eine wieder freundlichere Konjunkturstimmung an, nachdem die US-Industrieproduktion im März - auch aufgrund des langen Winters - einen leichten Dämpfer hinnehmen musste. Unterstützung erhält die US-Wirtschaft weiterhin von Seiten des Immobiliensektors, konkret den Baubeginnen und -genehmigungen. Auch das Verbrauchervertrauen der Universität von Michigan dürfte gestiegen sein.
Im I. Quartal 2013 wird eine vergleichsweise schwach wachsende deutsche Volkswirtschaft dennoch die Stellung Deutschlands als Konjunkturzugpferd der Eurozone verdeutlichen. Die ZEW Konjunkturdaten zeichnen zudem wieder einen leicht freundlicheren Konjunkturausblick.
Auf Unternehmensebene präsentieren die letzten Unternehmen aus dem DAX ihre Zahlen für das I. Quartal 2013. Laut Analysteneinschätzungen dürfte K+S ein solides Gewinnwachstum, getrieben von einem starken Salz-Geschäft, präsentieren. Auch Merck dürfte stark in das Jahr 2013 gestartet sein. Die Quartalszahlen von RWE dürften keine großen Überraschungen bereit halten. Im Ergebnis der Deutschen Post dürfte sich die starke Stellung in den Emerging Markets widerspiegeln. Das Ergebnis von ThyssenKrupp wird weiter von der anhaltenden Konzernumstrukturierung beeinflusst sein. Insbesondere der Ausblick dieses harten Zyklikers ist wegweisend auch für die Weltkonjunktur.
Aus charttechnischer Sicht erhält der DAX erste Unterstützung an den Marken bei 8200, 8151 sowie 8074 Punkten. Darunter bieten die Haltelinien bei 7953 und 7872 Punkten weiteren Halt. Als maximales Korrekturniveau bietet sich die Marke bei 7750 Punkten an.
Auf der Oberseite ist der Weg im DAX noch oben frei, wobei die Angst der Anleger vor neuen Allzeithochs zu einem theoretischen Bremsfaktor werden kann.
Halvers Woche:
Lebensphasen und Geldanlage - Zwischen Risiko und Roulette
Wir Deutschen wollen die Dinge im Griff haben. So planen wir auch gerne unsere Zukunft. Und daran gibt es auch nichts zu mäkeln, schon gar nicht, wenn es um Altersvorsorge geht. Die Rente ist zwar sicher, leider jedoch nicht in ihrer Höhe. Es mag Zeitgenossen geben, die Finanzplanung spießig finden. Ich kann dazu nur sagen, ich bin stolz darauf, ein Spießer zu sein.
In punkto Geldanlage teilen wir unser Leben in zwei Phasen ein: Die Ansparphase zur Altersvorsorge und die Entsparphase zur Alterssicherung. Phase 1 beginnt früh, spätestens mit dem ersten Gehalt. Dann schon wird der junge Mensch mit erhobenem Zeigefinger ermahnt, ab jetzt etwas zurückzulegen. Schon meine Großmutter sagte immer „Sparste was, dann biste was“. Sie war nie entzückt, wenn ich mir vom Taschengeld mal wieder „Nippeskram“ gekauft hatte. Ich sollte doch an die schönen Zinsen denken, die mir jetzt entgingen.
Die gute alte Sparer-Zeit...
Diese Denke hat mich wie viele andere Deutsche zu Weltmeistern im Sparen gemacht. Früher jedoch war die Frage, wie man anspart, noch einfach zu beantworten. Damals brauchte der Otto Normal-Sparer nur das traditionelle Trio Grandioso: Festgeld, Sparbuch, Bundeswertpapier. Und wie bitte, Aktien? Das war nur etwas für Spekulanten und Superreiche.
Überhaupt, es gab früher auch keine Not, an Aktien zu denken. Denn vor 40, 30 Jahren oder nach der Wiedervereinigung waren die Zinsen für das traditionelle Sparen doch üppig, sieben bis zwölf Prozent. Ich persönlich bekam zu meiner Kommunion in den 70er-Jahren von meiner Tante Bundeswertpapiere mit einer Rendite nach Inflation von über vier Prozent geschenkt. Da gab es nichts zu meckern. Und wer in den 80er-Jahren für den Ruhestand eine Million DM zusammengespart hatte, konnte von den Zinsen selbst nach Inflation gut leben und die Anlagesumme unangetastet an die lieben Erben weitergeben.
Aus dem Welt-Spartag wird der Welt-Entspartag
Bekäme ich heute von meiner Tante Bundeswertpapiere geschenkt, wüsste ich, dass sie mich nicht mehr mag. Denn nach Preissteigerung müsste ich draufzahlen. Verfügte man heute über die o.g. schöne, große Summe umgerechnet in Euro, bleibt bereits vor Inflation nicht einmal mehr der monatliche Hartz IV-Satz übrig. Die Anlagesumme an sich geriete in Mitleidenschaft und die theoretischen Erben sollten sich ganz praktisch schon einmal nach einer guten Partie umschauen. Wer traditionell anspart, dessen Entsparphase beginnt schon heute, vor dem Ruhestand. Also mir ist meine Tierliebe beim Anblick der Schuldkröte Günter Schild - der Werbeikone der Bundeswertpapiere - komplett abhanden gekommen.
Besserung ist übrigens nicht in Sicht. Denn auf die Frage frei nach Rudi Carrell „Wann gibts mal wieder hohe Zinsen?“ kann man nur antworten, noch sehr lange nicht, weil eine Zinswende - das permanente Börsen-Unwort der nächsten Jahre - unser verschuldetes und instabiles Finanzsystem in ernste Gefahr brächte.
Und jetzt, wenn sich also die allgemeine Schuldenkrise als persönliche Sparkrise entpuppt, sollte man dann sein Geld nicht lieber ausgeben? Das hat zunächst zwar auch seinen Reiz. Um der gesicherten Armut in Lebensphase 2 - wir werden ja auch noch immer älter - zu entgehen, kommen wir trotzdem um das Sparen in Phase 1 nicht herum.
Raus aus dem finsteren Anlage-Mittelalter
Und die Moral von der Geschicht, mit den alten Sparmodellen klappt die Altersvorsorge nicht. Es geht um das richtige Sparen.
Manche Anleger bekommen angesichts der schlechten Erfahrungen mit z.B. dem Neuen Markt schon beim Gedanken an Aktien Schnappatmung. Und dass DAX und Dow Jones neue historische Höchststände erreicht haben, wird vielfach als Blasenbildung abgetan. Und - noch einen drauf - die Schulden-, die Euro-, die Banken- und die politische Krise sind noch nicht beendet und tatsächlich müsste man Politiker - oder Humorist - sein, um zu behaupten, wir sind bald durch. Und nicht zuletzt gibt es noch die Regel „Je älter, desto weniger Aktien“.
Also Aktie ergebe Dich bedingungslos! Nein, der Zuckerrausch der Geldpolitik, aber eben auch die damit vorangetriebene Konjunkturerholung wirken auf Aktien wie das Energie-Tonikum „Doppelherz“. Und wenn wir bei Aktien ungerechtfertigt von Blasen reden, dann sprechen wir beim gesamten Zinsvermögen von der Mutter und Großmutter und Urgroßmutter aller Blasen. Und - auch hier auch noch einen drauf - käme es bei den genannten Krisen zum Schwur, würde - wie in der Finanzgeschichte üblich - mit Schmackes das Zinsvermögen heimgesucht. Und ich wäre froh, wenn - obwohl ich kein großer Anhänger von Aktienweisheiten bin - die „100 minus Alter“-Regel befolgt würde, bei der es um Aktienquoten im Depot geht. Dann würde das typische deutsche, ungesunde Übergewicht in Zinsvermögen abgespeckt. Und gerade für ältere Jahrgänge sind die jährlich ausgeschütteten, hohen und stabilen Dividenden eine gute Ersatzbefriedigung für schmerzhaft vermisste Zinsen zur Erkaltung ihrer Kaufkraft im Alter.
Eine neue Ansparphase braucht das Land
Aufgrund der vorhandenen Risiken sind schwankungsintensive Aktienkursverläufe einzukalkulieren. Hier ist die Lösung das mit deutscher Disziplin betriebene, regelmäßige Aktiensparen in Phase 1. Denn steigen die Kurse, ist man vermögender, fallen sie, bekommt man für den gleichen Anlagebetrag mehr Anteile.
Wir können uns keine heile Finanzwelt wie damals backen. Wir müssen mit den real existierenden Bedingungen klarkommen. Und wer heutzutage in der Ansparphase nur auf Zins- statt auf Aktiensparen setzt, geht unnötige Risiken für seine Entsparphase ein, er spielt Anlageroulette.
Verehrte Anlegerinnen und Anleger, es geht nicht darum, dass wir die Aktie in Lebensphase 1 retten, nein, die Aktie muss unsere Altersvorsorge, unsere Lebensphase 2 retten.
Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick
Kapitalmarkt auf einen Blick
Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG
Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:
http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/
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