Kommentar
14:38 Uhr, 24.08.2012

Auf dem Weg zur romanischen Währungsunion

Die grundsätzliche Unsicherheit über den Fortgang der Euroland-Krise trübt die Konjunkturstimmung. Der euroländische Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe liegt mit 45,3 weit entfernt von der Expansion anzeigenden Schwelle von 50. Auch die Indexstände für Deutschland und Frankreich spiegeln diese Einschätzung mit Werten von 45,1 bzw. 46,2 wider. Dennoch hat mit diesen Indexständen der seit Anfang 2012 etablierte, deutliche Abwärtstrend ein Ende gefunden. Die Vormonatszahlen fielen noch schlechter aus.

Ein verheerender Konjunktureinbruch ähnlich wie im Krisenjahr 2009 ist nicht zu befürchten. Für Deutschland wird nach einer nur im III. Quartal 2012 schrumpfenden Wirtschaft in den anschließenden Quartalen wieder mit Expansion gerechnet. Denn zumindest kann sich die Euro-Wirtschaft mittlerweile einer Fed-ähnlichen Unterstützung der EZB sicher sein.

Die US-Notenbank steht der heimischen Konjunktur seit dem Beginn der Wirtschaftskrise 2009 mit einer Überversorgung an Liquidität zur Seite und wird auch im Wahljahr 2012 eingreifen, sobald sich die makroökonomische Lage einzutrüben droht. Niederschlag findet diese geldpolitische Bella Vista am US-Aktienmarkt, der - gemessen am S&P 500 - mit zwischenzeitlich über 1400 Punkten den höchsten Stand seit 2008 erreicht hat.

Eine mittlerweile geläuterte euroländische Geldpolitik hat längst die „stabilitätspolitische Last der Bundesbank“ abgeworfen und sieht sich jetzt viel stärker in der Rolle des Bekämpfers von Konjunkturrisiken. Spätestens seit der Verschlechterung der Wirtschaftsindikatoren im II. Halbjahr 2011 - gemessen am euroländischen Economic Surprise Index, der die positiven wie negativen Überraschungen bei Konjunktureinschätzungen misst - hat die EZB ihre Liquiditätsausstattung in Form einer ausgeweiteten Bilanzsumme drastisch erhöht. Dieser Prozess wird sich zur nachhaltigen Stützung der Stabilität der Eurozone ohne Einschränkung fortsetzen.

Grafik der Woche: Euroländischer Economic Surprise Index und Liquiditätsausstattung in Euroland, in Mrd. Euro

Die EZB dreht den Spekulanten das Wasser ab

Konkret wird die EZB zur ultimativen Rettungsinstanz in der Eurozone aufgebaut. Hinter vorgehaltener Hand diskutiert man bereits Zinsschwellen für die prekären Euro-Länder. Dabei kauft die EZB am Kapitalmarkt Staatspapiere von Krisenländern immer dann auf, wenn deren Zinsen einen bestimmten Risikoaufschlag auf die Renditen deutscher Staatspapiere überschreiten. Aber auch eine absolute Renditegrenze für prekäre Staatsanleihen - in Händlersprache z.B. "Alles über sechs Prozent von dir" - ist denkbar. Damit griffe die EZB zur effektivsten Waffe im Kampf gegen steigende Staatsanleiherenditen prekärer Euro-Staaten. Theoretisch kann zwar die EZB zum Anleiheaufkauf unendlich viel Geld drucken. Praktisch wird dies jedoch nicht nötig sein. Kein Spekulant wird auf steigende Staatsanleiherenditen der Euro-Peripherie setzen und sich somit der Gefahr der unbegrenzten Feuerkraft der EZB aussetzen. Im Zweifelsfalle sind erhebliche potentielle Verlustgefahren einzukalkulieren.

EZB-Geldpolitik stützt Finanzmärkte auch bei einem Austritt Griechenlands

Allein schon das Rettungsversprechen für die Eurozone, das EZB-Präsident Draghi am 26. Juli 2012 gab, hat schon zu einer abebbenden Risikoaversion in der Eurozone geführt. Dies zeigte sich zuletzt in einer kleinen „Zinswende“: Renditen deutscher Staatsanleihen stiegen im Trend, während die angeschlagener Euro-Staaten sanken.

Und mit einer EZB, die für Ruhe an den Finanzmärkten sorgt und so den prekären Euro-Staaten Zeit zur Durchführung weiterer dringend notwendiger Strukturreformen verschafft, kann dann die griechische Frage im Herbst beantwortet werden. Bei einem Austritt Griechenlands tritt eine romanische Geldpolitik einem Dominoeffekt - kurzfristig wird es sicherlich turbulent werden - konsequent entgegen.

Geldpolitik ersetzt Fiskalpolitik

Ohnehin kann sich die gesamte Weltkonjunktur der notenbankseitigen Unterstützung gewiss sein. Nach Abzug der Inflation befinden sich nicht nur die Zinsen in Euroland, sondern auch in den USA, dem Vereinigten Königreich oder der Türkei im negativen Bereich. Es zeigt sich ein neuer Trend. Konnte man sich in den Schwellenländern im Krisenjahr 2009 noch deutlich höhere reale Notenbankzinsen leisten, so muss mittlerweile die Geldpolitik auch in diesen Ländern Schützenhilfe für deren volkswirtschaftliches Wohlbefinden leisten.

Da ohnehin in vielen Ländern die Staatsverschuldung eingeschränkt ist, obliegt weltweit mittlerweile der Geldpolitik die Hauptverantwortung bei der Konjunkturstützung.

Die weltweit betriebene Liquiditätsausstattung ist ein deutlicher Stabilisierungsfaktor für die weltweiten Aktienmärkte. Setzt man die kumulierten Bilanzsummen der Notenbanken der USA, Euroland und Japan der Entwicklung des Welt-Aktienindex MSCI gegenüber ist diese Tendenz klar erkennbar.

Davon profitiert in hohem Maße auch der deutsche Aktienindex DAX. Die explosionsartige Bilanzsummenausweitung der EZB als Konsequenz einer ihrer üppigen Liquiditätspolitik schlägt sich deutlich in der Performance des DAX nieder. Seit dem Rettungsversprechen von Draghi am 26. Juli ist der DAX bis zum Hoch in dieser Woche um 7,7 Prozent gestiegen.

Vor dem Hintergrund der lockeren internationalen Geldpolitik, die sich verlängernd auf den aktuellen Konjunkturzyklus auswirkt, ist es wenig verwunderlich, dass sich - bezogen auf die Aktien im Weltaktienindex MSCI World - die relative Gewinnentwicklung von zyklischen zu defensiven Aktien sehr stabil verhält.

Insbesondere das Rettungsversprechen der EZB hat wie ein Katalysator auf die Wertentwicklung von zyklischen Aktientiteln gewirkt. Seither zeigen sie eine deutliche Outperformance gegenüber Defensivtiteln.

Gold bleibt glänzend

Und auch bei Edelmetallen, allen voran Gold, sorgt die stillschweigend in Kauf genommene Inflationierung der Geldpolitik für gute Stimmung. So hat z.B. der weltgrößte Anleihemanager Pimco seine Goldbestände weiter aufgestockt, die nun bei 11,5 Prozent des betreffenden Fondsvermögens liegen.

Als grundsätzliche Unterstützung für den Goldpreis dient aber insbesondere die rege physische Nachfrage von Seiten der internationalen Notenbanken. Traten diese vor dem Krisenjahr 2009 noch als Nettoverkäufer auf dem Goldmarkt auf, so haben sie sich aktuell zu Nettokäufern entwickelt. Alleine im vergangenen II. Quartal fragten sie 157 Tonnen nach und damit im Vorjahresvergleich knapp 140 Prozent mehr. So notiert der Goldpreis aktuell mit 1665 US-Dollar pro Unze auf dem höchsten Stand seit Ende April.

Daneben profitiert Gold aber weiter vom Mangel an attraktiven Anlagealternativen. In Euro gerechnet notiert Gold sogar nahe seinem Höchststand. Denn das klassische Konkurrenzinvestment der Staatsanleihen wird noch sehr lange keine bonitäts- und vor allem inflationsgerechte Rendite bieten können. So ist die Umlaufrendite deutscher Staatsanleihen nach Abzug der Inflation weiterhin negativ. De facto zahlen Anleger in dieser Anlageklasse also zu.

Und was passiert in der nächsten Woche?

In der nächsten Woche wird das Börsengeschehen von anhaltenden Spekulationen über den weiteren Verlauf der euroländischen Verschuldungskrise begleitet. Zudem dürften gemischte Makro-Daten für eine vergleichsweise volatile Stimmung an den Finanzmärkten sorgen.

In Amerika weist der Einkaufsmanagerindex der Region Chicago - der auch weiterhin komfortabel über der Expansion anzeigenden Schwelle von 50 liegt - darauf hin, dass die US-Wirtschaft ihre langsame, aber stetige Erholung fortsetzt. Wieder anziehende Auftragseingänge in der US-Industrie unterstreichen dies. Die finalen Verbrauchervertrauenszahlen der Universität von Michigan sowie wachsende Konsumausgaben verdeutlichen zudem, dass das Modell der konsumgetriebenen Volkswirtschaft nicht ausstirbt.

In Deutschland hingegen dürften sich die ifo Geschäftsklimazahlen - anders als der deutsche Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe - leicht eingetrübt haben. Zustände wie im Jahr 2009 sind aber nicht zu befürchten. Ohnehin verdeutlicht das solide GfK Verbrauchervertrauen, gegründet auf einer anhaltend robusten Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt, dass die robuste deutsche Binnennachfrage ein wertvoller Stabilisator für die Gesamtwirtschaft ist.

Aus charttechnischer Sicht dürften deutsche Aktien etwas unter Druck geraten. Nachdem der DAX bereits die psychologisch wichtige Marke bei 7000 Punkten durchbrochen hat, liegt die nächste Auffanglinie nun bei 6950. Sollte auch diese durchbrochen werden, ist mit einem Rücksetzer bis in den Bereich zwischen 6890 und 6875 und darunter 6800 und 6750 Punkten zu rechnen.

Kann der DAX aber die Marke bei 7000 Punkten zurückerobern, so trifft er bei 7100 Punkten auf einen schwachen und am Jahreshoch von 7194 auf einen stärkeren Widerstand. Darüber liegt das nächste Kursziel bei 7400 Zählern, bevor die Marken bei rund 7520 und 7600 in den Vordergrund treten.

Grundsätzlich ist nach einer unsicheren, schwankungsintensiven Aktienmarktverfassung im September - aufgrund der politischen Termine wie dem Troika-Bericht über Griechenland, das Verfassungsgerichtsurteil über den Rettungsschirm ESM und die Nationalwahlen in den Niederlanden - anschließend wieder mit Aufwärtstendenzen zu rechnen. Denn die Euro-Politik wird zu Entscheidungen kommen (müssen), auch wenn diese mit Stabilitätspolitik der deutschen Machart nicht mehr viel zu tun haben werden.

Halvers Woche:

Politisch heißer Euro-Herbst voraus?

Über den Sommer können wir uns - zumindest was den August angeht - sicher nicht beklagen. Endlich einmal heiße Temperaturen, die man ansonsten nur aus Griechenland, Spanien oder Italien kennt.

Aber auch der Herbst hat grundsätzlich das Zeug dazu, heiß zu werden. Nein, nicht mit Blick auf das Wetter. Ich meine die in die entscheidende Phase tretende Eurozone. Denn wenn alle aus dem Sommerurlaub zurück sind, ist Schluss mit lustig. Die sich gegenüberstehenden Stabilitätskulturen lassen sich dann nicht mehr mit billiger Polit-Kosmetik und Vertröstungen verdecken. Die Geduldsfäden der Finanzmärkte und seiner Anleger halten das nicht mehr lange durch. Wie beim Pokern wollen sie im Herbst die Karten einer zukünftigen Euro-Politik sehen.

Die Euro-Mehrheit steht auf Frankreich

Insbesondere zwischen den Euro-Leitwölfen Deutschland und Frankreich ist die Zeit der friedlichen Koexistenz zweier finanzpolitischer Weltanschauungen mit Küsschen hier und Küsschen da vorbei. Wer wird sich durchsetzen und der Eurozone zukünftig den Stempel aufsetzen? Natürlich könnte sich Deutschland weiter mit Händen und Füßen gegen die instabilitätspolitischen Tollwutanfälle der gallischen Seite wehren. Leider jedoch schmeckt die französische Wachstumsrezeptur der Mehrheit der Euro-Familienmitglieder deutlich besser als die Stabilitätsmedizin aus Berlin. Kein Wunder, steht sie doch für mehr Verschuldung bei weniger Ausgabendisziplin und einer antiautoritären Tolerierung von Inflation. Überhaupt die Deutschen mit ihrer Bundesbank und Finanzsolidität sind doch ohnehin nur Spaßbremsen, haben nicht nur einen Putzfimmel, sondern auch noch eine massive Stabilitätsmacke, oder?

Nun wie geht das Spiel aus? Die deutsche Politik hat hinter vorgehaltener Hand längst begriffen, dass die konsequente Umsetzung von Stabilität der deutschen Machart zu einer schmutzigen und für Deutschland teuren Scheidung in der Eurozone führen wird. Also kann es Berlin in der real existierenden Euro-Zweckehe nur darum gehen, das Stabilitäts-Gesicht irgendwie zu wahren.

Realitätsdämmerung in Berlin

Pragmatisch betrachtet scheint dabei die stabilste Instabilitätsidee zu sein, stillschweigend die Finanzierung der klammen Mitgliedsländer der Europäischen Zentralbank zu übertragen. Mit der geldpolitischen Formulierung von Zinsobergrenzen für Spanien & Co. würde den euro-renitenten Heuschrecken sofort das Wasser abgegraben. Den Finanzmärkten würde man nicht mehr verzweifelt hinterherlaufen. Nein, dieses Mal wäre man selbst in der Pole-Position. Denn im Kampf um die Oberhoheit über die Finanzmärkte werden sich die finanziell stets unterlegenen Spekulanten gegen die EZB mit ihrem unendlich großen Portemonnaie bestenfalls eine blutige Schnauze holen. Und wer will dies heutzutage in schwieriger Zeit für die Finanzindustrie wirklich riskieren? Insofern müsste die EZB mit dieser „Bis hierher und nicht weiter“-Strategie ihre Geldbörse für diese Rettungsaktion auch gar nicht so weit aufmachen. Das Wort des heimlichen Präsidenten der Eurozone, Signore Draghi, würde klare Kante geben. Und noch besser, durch den offensichtlichen Wegfall des Zinsrisikos nähme man den Banken auch die Angst, Staatstitel der Euro-Südzone zu kaufen. Staat X, Y und Z könnte sich also wieder einfacher und billiger refinanzieren. Übrigens würde hiermit auch einem Dominoeffekt nach einem Grexit ein entscheidender Riegel vorgeschoben.

Es bleibt nur noch die deutsche Stabilitätshülle

Ja, es wäre wieder ein Stück Aufgabe von Marktwirtschaft und ein weiterer Schritt hin zum dirigistischen Staatskapitalismus, sozusagen zur romanischen Währungsunion. Das "Joch der Bundesbank" würde abgeworfen. Und leider muss festgestellt werden, dass Fiskalpolitik immer mehr Sache der Geldpolitik ohne parlamentarische Kontrolle wird. Ja so weit hat man es kommen lassen.

Es ist dann nur ein schwacher Trost, dass dieser Strukturbruch in der europäischen Geldpolitik Berlin die Peinlichkeit erspart, weiter in auch für Wähler klar sichtbare Staatsschulden und Rettungsschirme zu buttern. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Und wenn man dann auch noch nicht mehr von verdeckter Staatsfinanzierung durch die Notenbank, sondern offiziell von Währungsmanagement einer unabhängigen EZB spricht, ist die Sache für Berlin geritzt.

Goldener statt heißer Herbst

Vor diesem Hintergrund spricht wenig für einen politisch heißen Herbst. Eher werden die Anleger, die aufgrund der Happy Hour der Geldpolitik auf die sachkapitalistischen Anlageklassen Aktien und Edelmetalle setzen, in den Genuss eines Goldenen Herbst kommen.

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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