Kommentar
08:35 Uhr, 22.08.2011

Angst frisst Seele auf

Was für einen Unterschied ein Monat ausmachen kann. Es ist noch nicht lange her, als Hoffnung aufkam, dass zumindest eine etwas längerfristigere Lösung für die euroländische Schuldenkrise gefunden wurde. Die Wirkung eines zweiten Rettungspakets für Griechenland und einer Flexibilisierung des EFSF hielt aber gerade einmal zwei Wochen an. Die urplötzlichen Zweifel des Präsidenten der Europäischen Kommission selbst, Herrn Barroso, an der mangelnden Größe des EU-Rettungsschirms für weitere Bail-Out-Aktionen ließen gleichzeitig Zweifel an der politischen Lösungsfähigkeit der Euro-Politik aufkommen. In der Folge gerieten auch Spanien, Italien und schließlich Frankreich in die Schusslinie der Finanzmärkte, die sich die ganz einfache Frage stellen, warum man der Politik die Lösung größerer Probleme zutrauen sollte, wenn es schon bei Griechenland und Portugal hapert.

Da der Euro-Rettungsschirm noch nicht retten darf und grundsätzlich - das ist das Basisproblem - die euroländische Politik zwar einen regen Gipfeltourismus betreibt, aber keine klaren Lösungen liefert, ist die Europäische Zentralbank wieder einmal mehr gezwungen, die politischen Versäumnisse auszumerzen und eine Tröpfcheninfektion weiterer, für die deutsche Wirtschaft wirklich bedeutender Staaten mit allen Mitteln zu verhindern.

Die EZB betreibt also ein „EQE“, European Quantitative Easing. Zur Stabilisierung der Anleihenmärkte wurden u.a. italienische und spanische Staatsanleihen in Höhe von 22 Mrd. Euro aufgekauft. Ein Ende der Aufkäufe ist nicht geplant, auch wenn in der letzten Woche keine weiteren Käufe stattfanden.

Immerhin kann sich die EZB die Stabilisierung der Renditen 10-jähriger spanischer und italienischer Staatsanleihen zum aktuellen Zeitpunkt auf die Fahnen schreiben. In Italien ist die Rendite von über sechs auf unter fünf Prozent gefallen.

Von einer Entspannung der Situation kann jedoch keinesfalls die Rede sein. Denn einerseits suggerieren die Ausfallprämien für z.B. 5-jährige periphere euroländische Staatsanleihen weiterhin ein hohes Maß an Skepsis.

Andererseits zeichnet sich ein déjà vu des Misstrauens am europäischen Bankenmarkt ab. Die Bankenbranche war innerhalb des Aktienindex Euro Stoxx zuletzt einer der schwächsten Branchen. Und der Risikoaufschlag 5-jähriger europäischer Bankanleihen zu deutschen Staatsanleihen notiert aktuell sogar oberhalb des Niveaus nach der Lehman-Pleite.

Die Risikoaversion lässt wie damals die Liquiditätshaltung von Banken zunehmen. Die Gefahr von Kreditvergaberestriktionen ist gegeben. Daneben wird es auch für Unternehmen zunehmend schwierig, ihre Refinanzierungsbedürfnisse über den Unternehmensanleihemarkt zu bedienen. So sind die Risikoaufschläge 5-jähriger Anleihen zu deutschen Staatsanleihen bereits deutlich erhöht. Der DAX reagiert mit massiven Kursverlusten.

Amerika ein politisches Chaos ohne Plan B

Die USA haben sich erst in letzter Sekunde zwar auf eine Erhöhung des Staatsschuldenlimits einigen und damit einen drohenden Zahlungsausfall abwehren können. Wenn man aber das Drama der politischen Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Republikanern betrachtet, kann man nur noch den Kopf schütteln. Sicherlich war das Grundrauschen der Probleme in der Eurozone immer vorhanden. Dass sich jetzt aber mit Amerika ausgerechnet das Land eine politische Krise erlaubt, das früher immer in Zusammenarbeit und mit unkonventionellen Mitteln auch für die größte Krise eine Lösung parat hatte, erzeugt eine neue Dimension an Unsicherheit an den Finanzmärkten.

Erschwerend kommt hinzu, dass die gefundene US-Schuldeneinigung keine echte Lösung darstellt. Man muss intelligent sparen. Denn platte Schuldenschnitte nehmen der Wirtschaft zunächst einmal wichtige Wachstumsimpulse weg. In einer Zeit, wo auch die US-Konsumenten ihre Nachfrage eindämmen, nährt dies die Gefahr einer Rezession, einem double dip.

Also geht es aktuell darum, im Rahmen einer großen politischen Koalition in Amerika neue Wachstumsfelder zu finden, wie dies dort vom Eisenbahnbau bis zur New Economy schon oft der Fall war. Jetzt nur die jeweils andere Partei zu bekämpfen, ist zutiefst unamerikanisch. Die Entwicklung eines „Green America“ wäre eine neue Perspektive, die auch wieder für eine Vision am derzeit desaströsen Arbeitsmarkt führen kann. Das heißt aber auch, dass neue Schulden zunächst ein dringendes Übel sind, um die Anschubfinanzierung eines neuen Geschäftsmodells zu erreichen. Diesen New Deal 2 kann man aber nur politisch gemeinsam erreichen, damit die "Sabotage" der jeweiligen Opposition ausbleibt.

Unklare politische Rahmenbedingungen sind Gift für Finanzmärkte und Konjunktur

Die Politik hat also sowohl diesseits als auch jenseits des Atlantiks die entscheidende Aufgabe, perspektivisch zu führen. Dass dies nicht einfach ist, bestreitet niemand angesichts der Tatsache, dass das langjährig funktionierende Instrument des Schuldenmachens nicht mehr nutzbar ist.

Es geht auch darum, zu verhindern, dass soziale Probleme wie in London, aber auch in Madrid nicht aus dem Ruder laufen. Insofern ist es wichtig, klare Lösungen mit Perspektiven für die Bürger zu suchen und nicht mit völlig unrealistischen Visionen aufzuwarten, wie wir sie zuletzt auf dem Treffen von Frau Merkel und Herrn Sarkozy vernehmen mussten. Eine europäische Wirtschaftsregierung ist ohne Zweifel ein lohnendes Fernziel. Euroland, das bleibt eine wichtige Aussage, muss ein starkes Gegengewicht gegenüber den USA, China und weiteren Schwellenländern sein. Klar muss aber auch sein, dass gerade dieses Ziel zu Beginn der europäischen Einigung - als die Stimmung für eine europäische Union noch deutlich besser war - politisch nicht umgesetzt wurde. Jetzt diese Idee - in einer deutlich euroskeptischeren Grundstimmung - zu verfolgen, ist ungleich schwieriger. Haben wir vergessen, wie lange es gedauert hat, bis wir eine EU-Verfassung zustande bringen konnten? Es waren Jahre. Und jetzt geht es bei einer viel weiter gehenden Europäischen Wirtschaftsregierung sicher nicht schneller. Alle Parlamente müssen zustimmen, in einigen Ländern wird es Volksabstimmungen geben müssen.

Schuldenbremse nur eine Scheinarznei

Die Idee einer Schuldenbremse ist dabei nur ein Placebo. Was würden wohl z.B. die Spanier sagen, die mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 45 Prozent zu kämpfen haben, wenn der spanische Staat weitere scharfe Einsparmaßnahmen beschließen würde. Soziale Unruhen, auch in anderen Ländern, wären vorprogrammiert. Gerade wir Deutschen sollten uns erinnern, welche katastrophalen Konsequenzen die Sparpolitik des als „Hungerkanzler“ bezeichneten Herrn Brüning in den 1930er-Jahren des letzten Jahrhunderts nach sich zog. Schuldenabbau allein ist also nicht möglich ohne gleichzeitig eine wirtschaftliche Überlebensvision für jedes Land der Eurozone zu entwickeln. Und kommt man dabei zu dem Schluss, dass es für Länder wie Portugal, Griechenland oder auch Irland keine Überlebenschance gibt, die abseits einer kostspieligen Daueralimentierung und Subventionierung funktioniert, dann ist es auch im Interesse dieser Länder, die Eurozone zu verlassen. Das ist keine Bestrafungsaktion. Es ist eine Unterstützung, um über Abwertung wieder wirtschaftlichen Wind unter die Flügel zu bekommen.

Austritte aus der Eurozone kein Tabu mehr

Das Geld, das im Augenblick in immer größere Rettungsschirme fließt, wäre als Unterstützung für die nach dem Länderaustritt leidenden Banken und Versicherungen besser angelegt. Überhaupt kann niemand mehr ausschließen, dass, aufgrund der sich weiter verschlechternden sozialen Lage in diesen Ländern, Regierungen gezwungen sein könnten, von sich aus, und zwar unkontrolliert, den Austritt zu beschließen, was dann die Finanzmärkte völlig unvorbereitet träfe und dann wirklich schwere Konsequenzen zur Folge hätte.

Grundsätzlich wäre eine dann kleinere Eurozone insgesamt stabiler. Die wirklich wichtigen Länder Spanien und vor allem Italien könnten aus der Schusslinie der Finanzmärkte genommen werden. Allerdings wird das Zeitfenster für diese Schritte immer kleiner. Der Glaube an die Fähigkeit der Politiker, Probleme nachhaltig zu lösen, könnte schwinden. Aber so weit muss es ja nicht kommen. Allerdings müssten die politischen Entscheidungen dann deutlich weitreichender ausfallen.

Vor allem sollte man durch ein politisches Vakuum nicht mehr jenes Maß an Unsicherheit zulassen, dass nach dem Bankrott der Lehmann-Bank weltweit für wirtschaftliche Schäden gesorgt hat. Es war die Unsicherheit, die die Rezessionen hervorgerufen hat, nicht das Ereignis der Pleite an sich. Also ist die Politik gefordert, hier dringend Abhilfe zu schaffen.

Keine politisch verschuldete Rezession zulassen

Und dabei sollte man sich einen Aspekt besonders vor Augen führen. Würde man eine erneute Rezession zulassen, wäre die Munition zur Gegenwehr weitestgehend verschossen. Denn einerseits könnten die Staaten wegen der Überschuldung weder eine neue Bankenrettung vornehmen, noch neue Konjunkturprogramme auflegen. Andererseits wäre die Geldpolitik mit ihrem Latein - in den USA sind die Zinsen bereits bei quasi Null - auch am Ende. Also wehret den Anfängen einer beginnenden Unsicherheit, die die reale Wirtschaft negativ trifft.

Die politische Unsicherheit, wie Amerika aus dem Tal der Tränen herausgeführt werden kann, macht sich bereits auf Unternehmensebene bemerkbar. Der Geschäftsklimaindex der Fed von Philadelphia, einer Region mit viel Industrie, zeigt einen erschreckenden Einbruch. Historisch gesehen - bei ähnlichen Einbrüchen - hatte dies auch entsprechend negative Auswirkungen auf die Zahl neugeschaffener Stellen.

Grafik der Woche: Philadelphia Fed Geschäftsklimaindex und Beschäftigungssituation in den USA

Bedenklich ist, dass die US-Unternehmen, denen es grundsätzlich gut geht und die über massive Liquiditätspolster verfügen, diese nicht in Amerika investieren. Im Gegenteil, man hält sich wegen der Unsicherheit, wie sich denn die weitere Wirtschaftspolitik entwickelt, zurück. In Summation vieler Unternehmen kann dies über Multiplikatoreffekte ungeahnt negative Größenordnungen annehmen. Die größte Gefahr für die amerikanische und Weltwirtschaft ist ein double dip. Die US-Politik muss daher ein double dip verhindern. Dazu muss sie das große Einmaleins der positiven Wirtschaftspsychologie wieder beherrschen, was sie jahrzehntelang bravourös getan hat.

Robert Halver

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