Kommentar
15:39 Uhr, 03.06.2011

Agrar-Investments: Die Hexenjagd hat begonnen

Weizen, Zucker, Kaffee und Orangensaft: Die Preise für Agrargüter befinden sich im Aufwind. Die Nahrungsmittelorganisation der Vereinten Nationen, FAO, stellt für ihren globalen Nahrungsmittelpreisindex seit Jahresbeginn im Monatstakt neue Rekordnotierungen fest.

Dass steigende Preise insbesondere eine Gefahr für all jene Menschen in den Schwellen ländern darstellen, die niedrige Einkommen und einen hohen Ausgabenanteil für Nahrungsmittel haben, zeigen nicht zuletzt die Unruhen in Nordafrika und im Nahen Osten. Auch die chinesische Regierung sorgt sich um die ständig steigenden Nahrungsmittelpreise. Selbst die US-Notenbank und die Europäische Zentralbank beäugen ängstlich die scheinbar nicht endende Preis spirale. Während die Federal Reserve unter Chairman Ben Bernanke steigende Rohstoffpreise lediglich als „vorübergehend“ ansieht, führt die japanische Zentralbank in einer Note die Teuerung unverholen auf die Niedrigzinspolitik der weltweiten Zentralbanken zurück.

Da die realen Zinsen, also jene abzüglich der mittlerweile gestiegenen Inflation, negativ sind, werden Investoren gezwungen, in riskante Aktiven zu investieren, dazu zählen neben Immobilien, Währungen und Aktien auch Rohstoffe und Ackerland. Es ist vor diesem Hintergrund kurios, dass man in Japan kaum über Manipulationen an den Warenterminbörsen spricht, während das Weiße Haus mittlerweile kaum ein anderes Thema zu kennen scheint, wenn es um die Entwicklung der Grundstoffpreise geht. Einführung von Positionslimits für Spekulanten, Erhöhung von Einschussforderungen an Terminbörsen und die Spekulationssteuer: Die Vehemenz, mit der Abgeordnete gegen Spekulanten klagen, erinnert an eine moderne Hexenjagd.

Der Vorwurf der Politiker: Spekulanten würden die Preise für Agrargüter und tropische Rohstoffe wie Kaffee und Zucker manipulieren und in die Höhe treiben. Dabei muss man sich die Frage stellen, bei welchem Preis ein Rohstoff denn richtig und fair bewertet ist. Ist Erdöl bei 100 Dollar richtig bewertet - oder eventuell doch erst bei 120 Dollar? Letztendlich hängt das von der Zahlungsbereitschaft der Käufer ab, die Erdöl benötigen. Und das sind - über Mineralölprodukte - vor allem Autofahrer und Speditionen, aber auch Airlines der Privathaus halte mit Heizöltanks im Keller. In Deutschland scheint die maximale Zahlungsbereitschaft bei 1,60 Euro pro Liter Superbenzin erreicht zu sein - zumindest zeigen dies mehrere Umfragen. Bei Preisen darüber werden viele geneigt sein, darüber nachzudenken, ob die nächste Fahrt mit dem Auto denn wirklich sein muss. Volkswirte sprechen hier bei von einer Signalfunktion des Preises: Wenn an einem freien Markt Knappheit herrscht, dann steigt der Preis, bis eine ausreichende Nachfragemenge aus dem Markt ausscheidet, weil sie sich das knapper gewordene Gut schlichtweg nicht mehr leisten kann. Die Nachfrage fällt dadurch und der Markt kommt wieder in ein Gleichgewicht.

"Es werden hohe Preise benötigt, um hohe Preise zu bekämpfen.“

- Zitat Jochen Stanzl, Chefredakteur Rohstoff-Report.de -

Problematisch wird es nur dann, wenn politische Maßnahmen diese Signalfunktion des Preises außer Kraft setzen. In China wird der Preis für Benzin und Diesel von der Regierung subventioniert. Auch in anderen Ländern ist dies der Fall. Was zunächst gut beim Volk ankommt - kaum steigende Benzinpreise, obwohl die Ölpreise weltweit steil nach oben gehen – ist für den Markt eine Katastrophe. Denn wenn die Preise für Benzin und Diesel wegen Subventionen nicht oder nur kaum steigen, so kann auch die Nachfrage nicht zurückgehen. Sie wird mindestens gleich bleiben – was bedeutet, dass sich der Markt weiter verknappt und die Nachfrage in anderen Regionen der Erde, die nicht über subventionierte Spritpreise verfügen, ausscheiden müssen. In anderen Worten: Autofahrer in Deutschland zahlen die Zeche dafür, dass der Sprit in China billig ist. Die Globalisierung lässt grüßen.

Es sind somit vor allem politische Interventionen, die Rohstoffpreise manipulieren und maßgeblich beeinflussen. Als Russland im vergangenen Sommer Flächenbrände erlebte, ausgelöst durch fehlenden Re gen und Dürre, sprach der Kreml kurzerhand ein Exportembargo für Weizen aus, das bis heute gilt. Ein bereits geringes Weizenangebot auf dem Weltmarkt verknappte sich dadurch weiter – Russland ist der sechsgrößte Weizenexporteur der Erde. Für die russische Regierung hatte das Embargo den gewünschten Effekt: Die Binnenpreise für Weizen in Russland fielen, mit dem unangenehmen Nebeneffekt, dass Landwirte in Russland sich entschieden, in diesem Jahr weniger Weizen anzubauen, da sie sich ja auch geringere Gewinne erhoffen und auch nicht wissen, ob und wann das Exportembargo wieder aufgehoben wird.

Die Liste dieser Beispiele ließe sich beliebig fortführen. Die Aussage bliebe aber die gleiche: Politische Eingriffe – laxe Geldpolitik, Exportembargos, Schließungen von Bergwerken aus Umweltschutzgründen, die Energiewende – haben weitaus größere Auswirkungen auf Rohstoffpreise, als der Eingriff von Spekulanten. Spekulanten wirken eher als Verstärker in bereits bestehenden Trends. Sie können diese Trends aber nicht selbst erzeugen. Wenn dies der Fall ist, muss man schon eher von kriminellen Machenschaften ausgehen. Eine solche Manipulation gab es zum Beispiel in den späten 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als die Hunt-Brüder mit Krediten aus Saudi Arabien den Silbermarkt nach oben trieben, oder als Hedgefonds im Jahr 2004 Lagerbestände an der Metallbörse LME kauften, um sie sprichwörtlich auf die andere Straßenseite in geheime Lagerhallen zu karren, um dem Markt eine extrem hohe Nachfrage Chinas vorzugaukeln.

Da der physische Wert der verbleibenden Lagerbestände da mals nur ein Bruchteil des Kapitals der Assets under Management eines durchschnittlichen Hedgefonds ausmachten, bedurfte es zu dieser „Übung“ keiner großen Anstrengungen. Selbst die Regularien der London Metals Exchange, der Referenzbörse für Basismetalle, konnten diesem Treiben keinen Einhalt gebieten. Das hat sich mittlerweile geändert. Heute dürfen Spekulanten nur noch bestimmte maximale Mengen kaufen und halten halten, was zum Beispiel auch für die NYMEX gilt, die Referenzbörse für die US-Ölsorte Crude Oil WTI.

In dieser Hinsicht ist jedoch noch nicht alles unternommen worden. So kann die Ölsorte Brentöl immer noch unreguliert over-the-counter, also in bilateralen, abseits der Börse getätigten Derivate ge schäf ten, in beliebigen Größen gekauft und verkauft wer den. Der Vorwurf an Spekulanten und kapitalstarke Fonds, sie würden die Rohstoffpreise beeinflussen, lässt sich daher nie gänzlich entkräften. Dies gilt jedoch nicht nur für die Warenterminbörsen, sondern für alle Märkte. Wie mein Kollege Daniel Kühn, Chefredakteur des „Traders-Journal“ einmal treffend bemerkte: „Wenn Sie denken, dass die Märkte nicht in gewissen Zügen manipuliert sind, dann sind sie selbst einer Manipulation aufgesessen.“

Dies führt uns zur eigentlichen Frage: Sind Investitionen in Weizen, Reis und andere Agrargüter moralisch vertretbar? Während diese Frage letztendlich jeder für sich selbst beantworten muss – und bekannte Kommentatoren wie Dirk Müller von cashkurs.com sogar ein Verbot von Agrarinvestments fordern –, darf man eine grundsätzliche Gesetzmäßigkeit nicht vergessen, die der von mir sehr geschätzte amerikanische Rohstoffanalyst David Hightower einmal formulierte: „You need high prices to cure high prices“, was soviel heißt wie: Preise müssen erst steigen, bevor sie wieder fallen können. Wenn sie sich an das Beispiel des russischen Exportembargos für Getreide erinnern: Prei se haben eine Signalfunktion, und zwar nicht nur für Käufer, sondern auch für Produzenten. Bleiben die Preise zum Beispiel für Weizen niedrig, während sie für Mais durch die Decke gehen, dann werden Landwirte weniger Weizen, dafür aber mehr Mais anbauen. Würde man nun Spekulanten von den Warenterminbörsen aussperren und würde dann die Nachfrage stark steigen, die Preise aber gleichbleiben, dann würden sich zwar die Käufer freuen, sie hätten es aber sehr bald mit der Problematik zu tun, dass ihre Händler nicht mehr liefern können. Denn das Angebot fehlt und wird auch nicht kommen, da Landwirte ihre Felder lieber schonen werden, als zu den relativ mauen Preisen noch mehr anzubauen. In dieser Publikation wollen wir uns mit dem Themenkomplex Agrarrohstoffe befassen: Steigt die Nachfrage wirklich – und wenn ja, aus welchen Gründen? Sind die steigenden Agrarpreise ein kurzfristiges Intermezzo, oder handelt es sich hier um Zeithorizonte, die uns noch
lange beschäftigen werden?

Dieser Artikel ist in unserer Sonderpublikation Rohstoffe erschienen. Weitere spannende Themen können Sie nach einer kurzen kostenfreien Anmeldung hier herunterladen.

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