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10:43 Uhr, 19.03.2013

Zypern: "Wir fühlen uns wie im Krieg"

London (BoerseGo.de) - Tim Adams, Chef des Internationalen Bankenverbandes IIF, hat die Zwangsabgabe auf zyprische Bankguthaben heftig kritisiert. Das widerspreche der bisherigen Praxis, dass Guthaben in Europa unangreifbar und garantiert sind, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. „Mit einem derartigen Tabubruch, der Verletzung einer Garantiezusage, werden viele destabilisierende Effekte sowohl kurzfristige als auch auf lange Sicht ausgelöst", warnte Adams.

Um Kleinanleger zu entlasten, sollen nun Guthaben bis 100.000 Euro verschont werden. Die Euro-Finanzminister sind Reuters zufolge dafür, eine Abgabe von 15,6 Prozent auf Einlagen von mehr als 100.000 Euro zu erheben, um den Eigenanteil der Zyprer zum Rettungspaket zustande zu bringen. Es sei aber nach wie vor unklar, welche Form der Bankenabgabe nun zur Abstimmung gestellt werden soll. Ein Vertreter des griechischen Finanzministeriums sagte am Dienstag, Zypern scheue eine stärkere Besteuerung der Großanleger, weil das Land einen massiven Geldabfluss befürchte. „Zwei Drittel der Einlagen sind aus dem Ausland”. Heute Nachmittag will das zyprische Parlament über das Rettungspaket abstimmen. Ein Regierungssprecher ließ bereits durchblicken, dass das Parlament gegen die Zwangsabgabe auf Sparguthaben stimmen wird.

Der Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, Klaus Regling, hat die zyprische Regierung vor einem Aufweichen des Rettungspakets gewarnt. Ein unkontrollierter Bankrott Zyperns „würde zum gegenwärtigen Zeitpunkt den Euro insgesamt in Gefahr bringen“, sagte Regling der „Bild“-Zeitung (Dienstag). Es sei allerdings allein Sache der zyprischen Regierung zu entscheiden, wer in Zypern die Kosten zur Stabilisierung des Landes und seiner Banken mittragen müsse, sagte Regling.

Die Zwangsenteignung der Sparer ist eine Katastrophe für das europäische Wirtschaftsmodell, schreibt der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Thomas Straubhaar, in einem Gastbeitrag für die „Welt“. Die Eigentumsfreiheit gehöre zu den Grundprinzipien von Kapitalismus und Marktwirtschaft. Sie werde mit Füßen getreten, wenn der Staat per Gesetz wie nun im Falle Zyperns Ersparnisse konfisziere, so der Ökonom. Ihm zufolge drohen dramatische Folgen: „Wenn nichts mehr vor staatlichen Übergriffen sicher ist, ist in einer Marktwirtschaft alles verloren. Dann werden Menschen beginnen, den Staat nicht mehr als manchmal lästigen, da die persönliche Freiheit einschränkenden, oft aber notwendigen und letztlich unverzichtbaren Ordnung schaffenden und Stabilität sichernden Rahmen zu respektieren“, befürchtet Straubhaar.

Die zyprische Wirtschaft reagierte entsetzt auf das vorgelegte Rettungspaket. „Wir fühlen uns wie während des Krieges“, sagte der Präsident der Industrie- und Handelskammer der zweitgrößten zyprischen Stadt Limassol, Philokypros Andreou, gegenüber der Zeitung. „Das ist für uns ein finanzieller Völkermord“, sagt der Kammerpräsident der „Welt“. Andreou befürchtet, dass die Brüsseler Einigung die Geschäftsgrundlage der zyprischen Wirtschaft zerstören wird. Künftig werde das Geld aus dem Ausland ausbleiben. „In den vergangenen 48 Stunden ist unsere Finanzindustrie ruiniert worden“, sagte Andreou am Montagnachmittag. „Ich weiß nicht, was aus unserem Bankensystem werden soll.“ Das werde Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft haben. Unternehmen hätten ohnehin bereits große Schwierigkeiten sich zu finanzieren; künftig werde es für viele unmöglich. „Die meisten Firmen hierzulande werden verschwinden“, so Andreou.

Nach Informationen der „Welt“ haben sich die Bankguthaben in Zypern seit Ende Januar von 68,4 Milliarden Euro auf 65,0 Milliarden Euro reduziert. Der bereits zuvor zu beobachtende Kapitalabfluss habe im Februar und März angehalten, so das Blatt.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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