Kommentar
11:47 Uhr, 15.01.2014

Wie schlimm ist Deflation?

  • Die Preissteigerung im Euroraum geht so stark zurück, dass eine Deflation nicht mehr ausgeschlossen werden kann.
  • Deflationen gelten im Allgemeinen als etwas ganz Schlimmes.
  • Schaut man sich die Argumente näher an, sind sie freilich keine Katastrophe, vor allem wenn sie vorübergehend sind. Für die Aktienmärkte können sie sogar positiv sein.

Was haben wir eigentlich gegen Deflation? In den letz­ten zwei Jahren hat sich die Preissteigerung im Euro­raum drastisch verringert. Ende 2011 lag sie noch bei 3 %, inzwischen beträgt sie nur noch 0,8 %. Wenn sich dies so fortsetzt, dann wären wir am Ende des Jahres in der Tat bei sinkenden Preisen. Das klingt für viele nach etwas ganz Schlimmem.

Wie-schlimm-ist-Deflation-Kommentar-Martin-Hüfner-GodmodeTrader.de-1

Eigentlich ist diese Wertung überraschend. Inflation be­deutet, dass das Geld weniger wert wird. Die Menschen wer­den ärmer. Es ist klar, dass das nichts Gutes ist. Bei De­flation ist es aber genau umgekehrt: Das Geld wird mehr wert. Die Menschen werden reicher. Das kann doch an sich nichts Schlechtes sein.

Was negativ ist, ist, dass man Deflation immer mit einer ungünstigen Wirtschaftsentwicklung verbindet. Wenn die Preise sinken, stellen die Unternehmen mehr Güter her als nachgefragt werden. Das ist ein Signal, dass die Pro­duktion künftig zurückgehen sollte. Das ist freilich nicht denknotwendig. Im Augenblick zieht die Konjunktur ge­rade wieder an. Trotzdem verringert sich die Inflation. Auch in der Wirtschaftsgeschichte gab es Zeiten, in de­nen das Wachstum hoch war, und die Preise gleichwohl zurückgingen. Das war zum Beispiel in der Zeit der In­dustrialisierung in den USA im 19. Jahrhundert der Fall. Da steigerten die Unternehmen ihre Produktion so stark, dass die Verbraucher mit dem Konsumieren gar nicht nachkamen. Was muss das für eine schöne Zeit gewe­sen sein!

Was man ferner mit Deflation verbindet ist ein kumu­lativer Prozess der Wirtschaft nach unten. Wenn die Konsumenten erwarten, dass die Preise sinken, dann stellen sie Käufe zurück und warten, bis sie die Güter später günstiger bekommen. Damit fehlt es an Nach­frage und die Wirtschaft bewegt sich tatsächlich nach unten (mit entsprechend weiteren Preisrückgängen).

Auch dies ist freilich nicht zwangsläufig. In der Compu­terbranche haben sich sinkende Preise keineswegs immer negativ ausgewirkt. Wenn ein neues iPhone auf den Markt kam, standen die Leute Schlange, um es zu kaufen, obwohl jeder wusste, dass sie die Geräte ein paar Monate später billiger bekommen. Selbst in Japan gab es keine kumulativen Prozesse.

Von Seiten der Zentralbanken wird gegen Deflation ein­gewandt, dass sie schwerer zu bekämpfen sind. Gegen steigende Preise kann die Geldpolitik mit Restriktions­maßnahmen vorgehen. Bei sinkenden Preisen gilt das alte Diktum: Man kann den Pferden zwar Wasser hin­stellen (= Geldpolitik lockern), man kann sie aber nicht zum Saufen zwingen.

So richtig überzeugend sind all diese Argumente gegen Deflation nicht. Wenn es nur das ist, was man dagegen vorzubringen hat, dann sollte man nicht zu viel Angst vor sinkenden Preisen haben. Es gibt freilich einen Aspekt, der aus meiner Sicht Gewicht hat. Das sind die Vertei­lungswirkungen der Deflation. Wenn die Preise zurück­gehen, dann profitieren Gläubiger, und es leiden Schuld­ner. Gläubiger bekommen zwar einen niedrigen Zins, Ihre Forderungen werden real jedoch mehr wert. Sie können damit mehr kaufen.

Umgekehrt die Schuldner: Sie müssen die Schulden mit einem höheren Realwert zurückzahlen. In den Unterneh­men verlieren die Sachgüter auf der Aktivseite an Wert, die Passiva bleiben gleich. Da entsteht dann schnell eine Unterbilanz. Firmen gehen pleite, Hausbesitzer kommen in Schwierigkeiten.

An sich müsste man angesichts dieser Situation erwar­ten, dass Staaten, die näher an der Deflation sind und zeitweise sinkende Preise hatten, weniger Schulden machen. Das wäre dann für die Gesamtwirtschaft ein Vorteil. Das Gegenteil ist aber leider der Fall. Japan ist nach einer Studie von McKinsey das am höchsten ver­schuldete Land unter den zehn größten Industriestaaten. Seine Gesamtverschuldung (privat und öffentlich) betrug 2011 insgesamt 512 % des Bruttoinlandsprodukts. Der Löwenanteil entfällt dabei auf die öffentliche Hand (226 %). Aber auch bei der Verschuldung von privaten Haushalten, Unternehmen und Finanzinstituten liegt Ja­pan in der Spitzengruppe. So schrecklich stark scheint der Druck der Deflation auf die Schuldner also nicht gewesen sein.

Für den Anleger

Nach dem, was in der Öffentlichkeit über Deflation gere­det wird, müsste man eigentlich erwarten, dass sie Gift für die Aktienmärkte ist. Das gilt aber allenfalls für dauer­hafte Deflationen.

Sie sind in der Geschichte frei­lich sehr selten. Selbst Japan hatte nicht dauerhaft sink­ende Preise. Bei vor­übergehenden Deflationen sieht das ganz anders aus. Sie waren in der Nachkriegszeit in den USA mit starken Kursaufschwüngen verbunden. Als die Preise in den Jahren 1949/50 zurückgingen, stiegen die Aktienkurse innerhalb von zwölf Monaten um 27 %. In der Deflation 1954/55 gab es sogar Kurssteigerungen um 30 %. Ein ähnliches Ergebnis gab es erst vor kurzem in der Krise 2009. Da gingen die Verbraucherpreise abso­lut zurück und die Aktien stiegen kräftig an.

Der Grund: Die Anleger sehen die sinkenden Preise nicht als dauerhaft an. Vielmehr erwarten sie, dass die Deflation ein Vorbote des Aufschwungs nach der Krise sein könnte und damit eine bessere Zukunft signalisie­rte.

Aber Vorsicht: Man kann diese Erfahrungen nicht ver­allgemeinern. In der Deflation 1986/87 stiegen die Ak­tienkurse in Deutschland nicht an, sondern gingen zu­rück. Schuld waren damals freilich die turbulenten Devisenmärkte. Japan hatte 20 Jahre lang sinkende Kurse.

Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.
Weitere Informationen über Assenagon und unsere Publikationen finden Sie auch auf www.assenagon.com.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

Wie-schlimm-ist-Deflation-Kommentar-Martin-Hüfner-GodmodeTrader.de-2

Assenagon Asset Management S.A., Zweigniederlassung München, Prannerstraße 8, 80333 München, Deutschland

Rechtliche Hinweise

Diese Darstellung wird nur zu Informationszwecken und ohne vertragliche oder sonstige Verpflichtung zur Verfügung gestellt. Alle Informationen in dieser Darstellung beruhen auf sorgfältig ausgewählten Quellen, die für zuverlässig erachtet wurden, doch kann die Assenagon S.A., Luxemburg, die Assenagon Asset Management S.A., Luxemburg und ihre Zweigniederlassungen sowie die Assenagon Schweiz GmbH, Assenagon Client Service GmbH, München und die Assenagon GmbH, München (zusammen im Folgenden "Assenagon-Gruppe" genannt) deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Genauigkeit nicht garantieren. Alle Meinungsaussagen geben nur die Einschätzung des Ver­fassers wieder, die nicht notwendigerweise der Meinung der Assenagon-Gruppe entspricht. Empfehlungen und Prognosen stellen unverbindliche Werturteile zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Darstellung dar. Diese können sich abhän­gig von wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen jederzeit ändern. Der Autor behält sich deshalb ausdrücklich vor, in der Darstellung geäußerte Meinungen jederzeit und ohne Vorankündigung zu ändern. Jedwede Haftung und Gewähr aus dieser Darstellung wird vollständig ausgeschlossen.

Die Informationen in dieser Darstellung wurden lediglich auf die Vereinbarkeit mit luxemburgischem und deutschem Recht geprüft. In einigen Rechtsordnungen ist die Verbreitung derartiger Informationen u. U. gesetzlichen Beschränkungen unterworfen. Die vorstehenden Informationen richten sich daher nicht an natürliche oder juristische Personen, deren Wohn- bzw. Geschäftssitz einer Rechtsordnung unterliegt, die für die Verbreitung derartiger Informationen Beschränkungen vorsieht. Natürliche oder juristische Personen, deren Wohn- bzw. Geschäftssitz einer ausländischen Rechtsordnung unterliegt, sollten sich über die besagten Beschränkungen informieren und diese entsprechend beachten. Insbeson­dere richten sich die in dieser Darstellung enthaltenen Informationen weder an Staatsbürger aus Großbritannien oder den Vereinigten Staaten von Amerika und sind auch nicht als solche konzipiert.

Diese Darstellung stellt weder ein öffentliches Angebot noch eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes zum Erwerb von Wertpapieren, Fondsanteilen oder Finanzinstrumenten dar. Eine Investmententscheidung bezüglich irgendwelcher Wertpapiere, Fondsanteile oder Finanzinstrumente sollte auf Grundlage einschlägiger Verkaufsdokumente (wie z. B. Prospekt) erfolgen und auf keinen Fall auf der Grundlage dieser Darstellung.

Die in dieser Darstellung aufgeführten Inhalte können für bestimmte Investoren ungeeignet oder nicht anwendbar sein. Sie dienen daher lediglich der eigenverantwortlichen Infor­ma­tion und können eine individuelle Beratung nicht ersetzen. Die Assenagon-Gruppe kann andere Publikationen veröffentlicht haben, die den in dieser Darstellung vorgestellten Infor­mationen widersprechen oder zu anderen Schlussfolgerungen gelangen. Diese Publikationen spiegeln dann andere Annahmen, Meinungen und Analysemethoden wider. Dargestell­te Wertentwicklungen der Vergangenheit können nicht als Maßstab oder Garantie für eine zukünftige Wertentwicklung herangezogen werden. Eine zukünftige Wertentwicklung wird weder ausdrücklich noch implizit garantiert oder zugesagt.

Der Inhalt dieses Dokuments ist geschützt und darf ohne die vorherige schriftliche Genehmigung der Assenagon-Gruppe weder kopiert, veröffentlicht, übernommen oder für andere Zwecke in welcher Form auch immer verwendet werden.

© 2014

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen