Kommentar
12:09 Uhr, 09.10.2012

Wie in Bretton Woods?

  • Die Situation im Euroraum hat sich beruhigt. Es sieht jetzt nicht mehr so aus, als werde der Euro bald zerbrechen.
  • Es besteht aber die Gefahr, dass die Währungsunion zu einem Währungsarrangement à la Bretton Woods verkommt. Dann wäre die jetzige Ruhe nur eine vorübergehende Atem-pause.
  • Ohne institutionelle Reformen zur Verankerung der Integration wird es nicht gehen.

Jeder weiß, dass zu einer gemeinsamen Währung auch ein gemeinsamer Staat gehört. Die Schweiz hat den Fran­ken, die USA den Dollar, Norwegen die Krone. Auch beim Euro war das so geplant. Er sollte einmal die Währung der Vereinigten Staaten von Europa sein. Dass er früher als die politische Union eingeführt wurde, war kein Irrtum. Man wollte vielmehr die identitätsstiften­de Wirkung der gemeinschaftlichen Währung nutzen, um die Integration voranzutreiben und damit die politi­schen Voraussetzungen für den Euro zu schaffen.

Inzwischen sind viele von dieser Sicht abgerückt. Die Po­litik kümmert sich eher um nationale Belange. Sie ist in manchen Ländern mehr besorgt, dass der National­staat auseinanderbrechen könnte, als dass der Euro scheitert. Siehe das Problem der Spanier mit den Kata­la­nen oder das Italiens mit dem Mezzogiorno. Viele Ex­perten halten eine politische Union unter den derzeitigen Bedingungen für gänzlich illusorisch. In der Bevölkerung ist die Begeisterung für Europa angesichts mancher bü­ro­kratischer Auswüchse in Brüssel abgekühlt.

Ist eine gemeinsame europäische Währung unter diesen Umständen noch machbar? Oder müssen wir uns am Ende vom Euro, zugunsten von nationalen Währungen, verabschieden?

Theoretisch ist eine gemeinsame Währung ohne eine politische Union möglich. Es gibt hierzu zwei Modelle. Das eine ist, dass sich ein kleineres Land an die Wäh­rung eines größeren anhängt, um sich von den Wirren der Weltdevisenmärkte abzuschirmen. Es gibt Souverä­nität ab, um damit beim Wechselkurs mehr Ruhe zu ha­ben. Österreich hatte den Schilling über Jahre an die D-Mark gekoppelt. In Luxemburg wurde vor dem Euro mit belgischen Francs bezahlt. Der Kosovo hat den Euro übernommen, obwohl er gar nicht der EU angehört. Ecuador hat den US-Dollar als seine Währung. Die Beispiele zeigen freilich, dass das für den Euro nicht so richtig passt.

Das zweite Modell geht schon eher. Es wurde von dem deutschen Bundesbankpräsidenten Weidmann ins Ge­spräch gebracht. Eine gemeinsame Währung kann auch dann funktionieren, so sagt er, wenn jedes einzelne Land politisch unabhängig bleibt. Es muss dafür jedoch in eigener Verantwortung eine stabilitätsorientierte Poli­tik betreiben. Jeder sorgt für ausgeglichene Haushalte, macht die notwendigen Strukturreformen und erhält die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft. Eine solche Ge­meinschaft kann nicht durch Marktspekulationen unter Druck gesetzt werden, weil es keine Fehlentwicklungen gibt. Das ist das, was derzeit in der Währungsunion ver­sucht wird. Die Mitglieder sollen ihre Hausaufgaben machen. Wenn sie das getan haben, so hofft man, wird auch wieder Ruhe in den Euroraum eintreten.

Ich will darüber nicht schlecht reden. Es ist ehrenwert. Es ist aber ein instabiler Zustand. Zum einen weiß nie­mand, ob sich die Disziplin so über die Zeit durchhalten lässt. Es kann soziale Unruhen geben. Es kann zu Neu­wahlen kommen, die eine Regierung an die Macht bringt, die unterschiedliche Prioritäten hat. Sie muss das noch gar nicht mal sagen oder umsetzen. Es reicht, dass die Märkte das vermuten. Schon schwappt die Spe­kulation auf und setzt darauf, dass das Land in Schwierigkeiten kommt.

Zum anderen kann es aber auch externe Ereignisse geben, die die einzelnen Länder unterschiedlich treffen und Anpassungen erfordern. Wenn sich beispielsweise in China das Wachstum stärker abschwächen sollte, dann ist Deutschland davon mehr als andere Länder in Europa betroffen. Die Libyenkrise hatte für Italien eine größere Bedeutung als für Andere. Das hängt damit zusammen, dass die Mitglieder des Euros nicht die Be­dingungen einer "optimalen Währungsunion" erfüllen, die die ökonomische Theorie postuliert. Wenn so etwas passiert, können leicht Spekulationen aufkommen, weil die Märkte erwarten, dass die betroffenen Länder nicht adä­quat reagieren.

Letztlich ist es mit diesem Modell so wie in einer Gesell­schaft: Wenn alle gute Menschen sind und sich strikt an die Gesetze halten, dann braucht man keine Polizei. Es gibt aber leider keine Garantie, dass das immer so ist.

Man kann auch einen Vergleich mit dem Wechselkurs­system von Bretton Woods ziehen. Es war bekanntlich weniger ambitioniert als die Europäische Währungsun­i­on, weil es keine unverrückbar festen Wechselkurse hatte. Die Umtauschkurse konnten in einer Bandbreite schwanken und sie konnten bei fundamentalen Un­gleichgewichten geändert werden. Es beruhte aber wie beim Euro auf der Selbstverpflichtung der Länder zu ei­ner soliden, stabilitätsbewussten Politik. Lange Zeit hat das funktioniert. Ab den 60er Jahren aber ließ die Diszi­plin aber nach. Es kam immer häufiger zu Währungskri­sen. Sie wurden mit den Jahren heftiger. Am Schluss zerbrach das Bretton-Woods-System an diesen Krisen.

Das Gleiche passierte im Europäischen Währungssys­tem. Auch hier gab es immer mehr Krisen. Ein Ausei­nan­­derbrechen wurde nur dadurch verhindert, dass die Europäische Währungsunion geschaffen wurde.

Die Schlussfolgerung: Die Modelle für eine Währungs­union ohne politische Union funktionieren nicht. Das lehrt auch die Geschichte. Noch nie hat eine Währungs­union längere Zeit ohne politische Union überlebt. Es kann zwar immer Phasen der Ruhe geben, wenn alle ihre Hausaufgaben machen. Es wird aber auch immer wieder Rückschläge geben, in denen der Markt auf ein Auseinanderbrechen der Gemeinschaftswährung setzt. Solche Rückschläge haben die Tendenz, mit der Zeit im­mer größer zu werden. Der Euro würde daran am En­de zerbrechen.

Für den Anleger

Verlassen Sie sich nicht darauf, dass der Euro durch die beschlossenen Maßnahmen der Peripherieländer schon wieder auf stabile Füße gestellt werden kann. Der Euro wird dauerhaft nur gerettet, wenn sich seine Mitglieder zu einer politischen Union zusammenschlie��en. Leider sind die Voraussetzungen dafür im Augenblick nicht gut. Selbst wenn sich Berlin zur Abgabe von Souveränität be­reitfinden sollte, ist dies in Madrid, Rom und auch in Paris kaum zu erwarten. Der Nationalstolz und die eska­lierenden separatistischen Tendenzen sind einfach noch zu groß.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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