Kommentar
16:51 Uhr, 20.03.2013

Weiterungen der Eurokrise

  • Unabhängig von Zypern: Der Fokus der Eu­rokrise verschiebt sich. Zur Schuldenkrise kommen die Rezession und zunehmende gesellschaftliche Akzeptanzprobleme.
  • Wenn sich der Charakter der Krise ändert, muss sich auch die Politik anpassen.
  • Das darf aber nicht zu einer Aufweichung der Konsolidierungs- und Reformanstrengungen führen.

Jeder redet in diesen Tagen von Zypern. Mit Recht. Da­hinter vollzieht sich im Euro aber noch eine andere Be­we­gung. Die Krise tritt in eine neue Phase. Bisher ging es vor allem um die hohe Verschuldung einzelner Län­der sowie um mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und Strukturreformen auf den Arbeits- und Gütermärkten. Bei der Bewältigung dieser Probleme wurden erhebliche Fortschritte erzielt. An sich wäre es an der Zeit,
sich über das Erreichte zu freuen.

Das ist aber leider nicht möglich. Denn jetzt ändert sich der Fokus der Krise und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum Einen kommen Konjunkturprobleme hinzu. Die reale Wirtschaftsleistung geht zurück. Die Arbeitslosigkeit steigt dramatisch an.

Das macht die Anpassung noch schwerer. Zudem wer­den jetzt auch Länder in den Strudel gezogen, die bisher noch relativ verschont geblieben waren. Ein Kandidat ist Frankreich. Es war schon im letzten Jahr in der Rezes­sion. 2013 wird es kaum besser werden. Ein zweiter sind die Niederlande. Hier ist die reale Wirtschaftsleis­tung 2012 um fast 1 % zurückgegangen. Der Immobili­enmarkt ist zusammengebrochen.

Die schlechte Konjunktur beruht zum Teil auf der schwä­cheren Weltwirtschaft. Dafür kann der Euro nichts. Teil­wei­se ist sie aber auch hausgemacht. Die Regierungen ent­ziehen der Privatwirtschaft Kaufkraft, indem sie selbst weniger ausgeben beziehungsweise die Abgaben erhö­hen. Durch die Verwerfungen an den Kapitalmärkten kom­men die niedrigen Zinsen der Europäischen Zentral-bank nicht bei den Unternehmen und den Verbrauchern in den Krisenländern an. Sie zahlen für Kredite immer noch 8 % und mehr, wenn sie überhaupt Geld bekom­men.

Es zeigt sich, dass die Sparmaßnahmen, anders als man­­­che erwartet hatten, das Investitionsklima in den Schuldnerländern nicht verbessert haben. Der Ökonom würde sagen: Die Ricardianische Äquivalenz hat nicht funktioniert. Sie wurde von den keynesianischen Nach­fragewirkungen überlagert.

Die zweite Änderung der Eurokrise hängt eng mit den Rezessionswirkungen zusammen: Es gibt zunehmend gesellschaftliche Akzeptanzprobleme. Je länger die Kri­se dauert, umso mehr. Die Unzufriedenheit der Men­schen wächst. Die Proteste auf den Straßen eskalieren. Regierungen drohen, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Bei den Wahlen gibt es keine klaren Mehrhei­ten. Nicht Oppositionsparteien werden stärker, sondern Protestbewegungen. Italien steht vor einer schwierigen Situation. In Deutschland entsteht eine neue Protestpar­tei. Das muss man in einer Demokratie ernst nehmen.

Jeder wusste, dass die Anpassungsmaßnahmen in der Eurokrise Zeit brauchen und dass das die gesellschaft­liche Stabilität strapaziert. Es war aber nicht klar, dass es so lange dauern würde. Bisher waren es ganze drei Jahre, allein um die erste Hälfte des Weges zu schaffen. In Griechenland etwa müssen die Lohnstückkosten ins­gesamt um 30 % sinken. Bisher sind sie um 15 % zu­rück­gegangen. Das ist schon eine Leistung. Weitere 15 % müssen aber noch folgen. Hoffentlich braucht das Land dafür nicht noch einmal drei Jahre. Hinzu kommt, dass die zweite Hälfte der Anpassung oft schwerer ist als die erste. Man sagt, dass der Marathonlauf ab Kilometer 20 besonders schmerzhaft und mit dem Ri­siko des Scheiterns verbunden ist. Niemand weiß, wie lange demokratische Gesellschaften das aushalten.

Wenn sich der Charakter der Krise ändert, muss auch die politische Antwort anders werden. Keine Lösung ist, dass die betroffenen Länder – wie an Stammtischen im­mer wieder gefordert – aus der Währungsunion austre­ten. Erstens wird dadurch für sie gar nichts besser. Die dann folgende Abwertung wäre eine neue, vielleicht noch härtere Rosskur. Zweitens muss man sich immer vor Augen halten, dass selbst die deutsche Gesellschaft nicht die Kraft aufbringen würde, so große Verwerfungen durchzustehen.

Keine Lösung ist auch, die Sache auszusitzen und auf eine Verbesserung der Konjunktur zu hoffen. Sie wird nicht so schnell kommen.

Auch eine Aufweichung der Reform- und Konsolidie­rungs­­­maßnahmen darf es nicht geben. Sie sind unab­ding­bar. Ohne sie würde das ganze System zusammen­brechen. Allenfalls kann man an eine gewisse zeitliche Streckung denken (wobei dies den Heilungsprozess aber noch länger macht).

Den Arbeitslosen muss aber geholfen werden. Und zwar schnell. Woran man aber denken kann sind unkonven­tio­nelle Eingriffe wie etwa gezielte Investitionszuschüsse an Unternehmen. Vielleicht könnte man auch Lohnkos­ten­zuschüsse an Firmen geben, die neue Arbeitnehmer einstellen. Das kostet natürlich auch Geld. Man könnte dies aufbringen durch die Europäische Investitionsbank oder die Europäische Bank für Wiederaufbau und Ent­wicklung (die bisher noch gar nicht eingeschaltet worden ist). Das wären keine Euro-Bonds, sondern Finanzierun­gen ähnlich dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg.

Für den Anleger

Es ist schwer abschätzbar, wie sich die Änderung der Eurokrise auf die Finanzmärkte auswirkt. Dazu gibt es keine Erfahrungen. Die Märkte sind offenbar selbst un­sicher. Die Aktienmärkte setzen nach wie vor auf eine Überwindung der Krise, wenn auch vielleicht mit mehr Schwankungen als bisher. Die Devisenmärkte scheinen dagegen skeptischer zu sein. Sie wollen die weitere Ent­wicklung erst einmal abwarten. Ich persönlich neige hier den Aktien zu, vorausgesetzt freilich die Politik bewegt sich.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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