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12:05 Uhr, 03.09.2024

VCI warnt vor negativen Folgen der geplanten Flexibilisierung der Netzentgelte

Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones) - Die chemisch-pharmazeutische Industrie sieht das von der Bundesnetzagentur geplante flexible System für Netzentgelte kritisch, da die Branche in der Praxis kaum Flexibilisierungspotenzial habe und dieses nur mit Hilfe von hohen Kosten realisieren könnte. Individuelle Netzentgelte sollten nicht an die Flexibilisierung gekoppelt werden, sondern müssten praxistauglich sein, so der Verband der Chemischen Industrie (VCI). Die vorgesehene Übergangsregelung hin zu einer Folgeregelung müsse den Unternehmen Zeit zur Anpassung zu geben.

"Aus Sicht unserer Industrie sehen wir natürlich die Notwendigkeit der Flexibilisierung, aber niemand darf dabei die industriellen Realitäten ausblenden", warnte der VCI-Energieexperte Matthias Belitz. "Deshalb fordern wir, dass die Flexibilitätserbringung stets freiwillig erfolgen muss, der Übergang sollte möglichst langfristig gestaltet sein, dass man sich anpassen kann."

Außerdem betonte er, dass die alleinige Anpassung der Stromverbraucher an das Erzeugerprofil erneuerbare Energien "nicht funktionieren" werde. Vielmehr gelte es, den kompletten Lösungsraum zu betrachten und keine Verengung nur auf die Flexibilisierung der Verbraucher vorzunehmen.

Die Bundesnetzagentur hatte Ende Juli einen Plan zur Reform der Netzentgelte für die Industrie vorgelegt, mit dem stromintensiven Betrieben einen Anreiz geschaffen werden soll, um dynamisch auf die aktuelle Erzeugungssituation zu reagieren. Die alten Netzentgeltrabatte von bis zu 90 Prozent entsprechen laut Netzagentur nicht mehr den Anforderungen eines Stromsystems, das von hohen Anteilen erneuerbarer Stromerzeugung geprägt ist.

Konkret ist geplant, dass Industrie und Gewerbe reduzierte Netzentgelte zahlen sollen, wenn sie in Situationen mit hohem Stromangebot mehr Strom verbrauchen. Andersherum erhalten sie auch dann eine Reduktion der Netzentgelte, wenn sie in Zeiten eines knappen Stromangebots weniger Strom verbrauchen. Der Vorschlag wird aktuell mit der Wirtschaft beraten und die Netzagentur will dann die Regelungen festlegen, die ab 2026 gelten sollen.

VCI warnt vor negativen Folgen für die Chemiebranche

Der VCI gab allerdings zu bedenken, dass die Entlastungen bei den Netzentgelten, wie sie aktuell gegeben ist, wirtschaftlich "sehr wichtig" für die Unternehmen seien. "Falls diese Entlastungen einfach ersatzlos wegfallen würden, reden wir von einer Mehrbelastung um Faktor 5 bis 10, je nach individueller Unternehmenssituation", warnte Belitz. Daher spreche man von einem erheblichen Kostenvolumen. Allerdings hatte der Verband keine konkrete Schätzung, da die chemischen Produkte und Prozesse Branche sehr unterschiedlich aufgestellt seien.

Der Verband warnte außerdem, dass eine flexible Fahrweise bei der Produktion eine Abkehr von dem wirtschaftlichen Grundprinzip darstellen würde, nach dem eine hohe und möglichst gleichmäßige Anlagenauslastung die fixen Kosten einer Anlage senkt.

Die Branche habe zudem meist hohe Auslastungen und man könne die Produktion nicht ohne weiteres auf andere Zeitpunkte verlagern. Denn dann drohten Effizienzverluste und zum Teil auch Qualitätsverluste. Prozesse liefen nur dann gut, wenn sie gleichmäßig durchliefen. Außerdem käme es bei einer schwankenden Anlagefahrweise zu höherem Verschleiß und höheren Instandhaltungskosten.

Um Flexibilisierungen zu ermöglichen, brauchten zudem Unternehmen Investitionen in Überkapazitäten, zusätzliche Läger und Speicher. "Flexibilität gibt es in den meisten Fällen nicht zum Nulltarif", sagte Belitz.

Außerdem sei bei der vorgeschlagenen Flexibilisierung zu beachten, dass das Produktionsmanagement komplex sei. Denn Produktionssysteme seien weit verzweigt und es gebe sehr lange Wertschöpfungsketten.

Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com

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