Kommentar
11:08 Uhr, 17.10.2013

Überraschungen in der Weltwirtschaft

Die Jahrestagungen des Internationalen Währungsfonds und des Institute of International Finance sind immer für Überraschungen gut. Als ich in der vorigen Woche nach Washington reiste, stellte ich mich auf eine gedrückte Stimmung ein.

  • Eindrücke von der Jahrestagung des Interna­tionalen Währungsfonds und des Institutes of International Finance in Washington.
  • Die Stimmung in der Welt ist derzeit besser als die aktuelle Lage. Es gibt zwar erhebliche Probleme, aber alle schauen auf die erwar­te­te Belebung 2014.
  • Die Risiken (in dieser Reihenfolge): Schwachpunkte in den USA, Strukturpro­bleme in den Schwellenländern, Inkonsisten­zen in Japan, Reformmüdigkeit in Europa.

Die Jahrestagungen des Internationalen Währungsfonds und des Institute of International Finance sind immer für Überraschungen gut. Als ich in der vorigen Woche nach Washington reiste, stellte ich mich auf eine gedrückte Stimmung ein. Der IWF hatte seine Prognosen zur Welt­konjunktur gerade reduziert. In den USA gab es den Haushaltsstreit sowie die Pläne zur geldpolitischen Neu­orientierung. Die Schwellen- und Entwicklungsländer klagten über Kapitalabflüsse. In Europa war die Rezes­sion gerade erst verlassen worden. In Washington sah dann alles anders aus. Hier ein paar – sehr persönliche – Eindrücke von der Tagung:

Zunächst: Die Stimmung der Banker und der Offiziellen aus aller Welt war keineswegs negativ. Im Gegenteil. Die schlechten Nachrichten, so hieß es, sind Vergan­genheit. Wichtiger ist, dass die Zukunft besser sein wird. Alle Prognostiker sind sich einig, dass das Wachstum 2014 höher sein wird. "Sunshine Ahead" (vor uns liegt Sonnenschein), so der Chefvolkswirt des Instituts of International Finance, Charles Collyns (siehe Grafik). Hoffentlich täuschen wir uns da nicht.

Allerdings muss man differenzieren. Ungeachtet des Haushaltsstreits wird die wirtschaftliche Situation in den USA – vor allem von Amerikanern selbst – inzwischen nicht mehr so euphorisch beurteilt. Die Konjunktur­indi­katoren sind gemischt. Die Notenbank sieht noch keine stabile Aufwärtsentwicklung. Der Arbeitsmarkt verbes­sert sich nur langsam.

Das Grundproblem der USA ist – ähnlich wie in Europa – die niedrige Investitionsneigung. Die Unternehmen halten sich trotz hohem technischen Fortschritt mit län­gerfristigen Vorhaben zurück. Grund ist einmal die politische Unsicherheit. Hinzu kommt, dass die Strate­gien der Unternehmen kurzfristiger geworden sind. Ak­tienrückkäufe passen dazu besser als langfristige In­vestitionen.

Konjunkturaufschwung Wachstum des BIP in % ggü. Vorjahr

Quelle: IWF

Interessant zur US-Geldpolitik: Die meisten Marktteil­nehmer gehen nach wie vor davon aus, dass die Fe­deral Reserve noch in diesem Jahr beginnen wird, ihre Käufe von Papieren auf den Märkten zu verringern. Al­lerdings wurden auch Gegenargumente genannt. Ei-
nes ist, dass die Inflation überraschend niedrig ist. Das nimmt Druck von der Notenbank, die Liquidität schnell zurückzuführen. Zudem erhöht es die Realzinsen. In einer solchen Situation müssen die Märkte nicht noch zusätzlich mit Liquiditätsmaßnahmen belastet werden. Auch die unsichere Situation beim US-Haushalt belastet. Am wichtigsten schien mir das Argument, dass man ei­nen so schwierigen Kurswechsel der Geldpolitik nicht unter einem Notenbankpräsidenten beginnen kann, der gerade sein Amt abgibt. Man wird vermutlich warten, bis Janet Yellen das Amt im Februar übernimmt.

Zu den Schwellen- und Entwicklungsländern: Es war Konsens, dass es sich bei der Wachstumsverlangsa­mung um strukturelle Probleme handelt, die länger dau­ern werden. Ich war überrascht, bei den Vertretern die­ser Staaten keine Panikreaktionen zu sehen. Im Gegen­teil: Die Notenbankpräsidenten Indiens und Malaysias beispielsweise traten außerordentlich selbstbewusst, überlegt und überzeugend auf. Da könnte sich mancher westliche Politiker eine Scheibe abschneiden.

Zu Japan: Wer hätte erwartet, dass das Land in diesem Jahr das höchste Wachstum unter allen großen Indus­trieländern haben würde? Interessant war freilich der Hinweis auf Inkonsistenzen. Eine ist, dass die Aktien­kurssteigerungen nicht von japanischen Anlegern aus­gelöst wurden, sondern von westlichen Hedge-Fonds. Japanische Investoren (die ihr Land ja besser kennen) sind nach wie vor zurückhaltend. Eine andere ist: Wenn es gelingt, die Inflation auf 2 % zu erhöhen, müssten die langfristigen Zinsen von jetzt unter 1 % auf 4 % steigen. Das würde einen dramatischen Umschwung (um nicht zu sagen Crash) zur Folge haben.

Gelobt wurde der – wie mancher es nannte – "Turn-around" im Euroraum von einer Rezession mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1 % zu einem Wachstum von 1 %. So einen starken Umschwung in
so kurzer Zeit gibt es in der Weltwirtschaft selten. Die Kritik am Euro, die noch vor einem Jahr so lautstark
war, ist damit verstummt. Europäer waren freilich be­strebt, auf die Risiken der Entwicklung hinzuweisen.

Die Besserung in Europa zeigt, dass die Konsolidierung
der Staatsfinanzen und die Reformen auf Arbeits- und Gü­ter­märkten wirken (was vor einem Jahr zum Teil noch viel­fach bezweifelt worden war). Die Frage ist, ob der Reformwille in den südeuropäischen Programmländern anhält. Wenn Reformmüdigkeit eintreten sollte, dann wären alle bisherigen Erfolge umsonst. Zudem wurde nach den Reformen in Italien und Frankreich gefragt,
die noch nicht wirklich begonnen haben.

Was ich nicht erwartet hatte: Das bisher so positive Bild Deutschlands in der Welt bekommt Risse. Häufiger kam der Hinweis, dass nicht nur die anderen Länder sich mo­dernisieren müssten, sondern auch Deutschland Hand­lungsbedarf habe. Zudem wurde die lange Regierungs­bildung kritisiert. Sie verzögert die notwendige Weiter­entwicklung in Europa, nachdem schon durch den deut­schen Wahlkampf wichtige Zeit verloren worden war.

Für den Anleger

Auf der Tagung wurde natürlich nicht über Anlagepro­bleme gesprochen. Wenn es aber wirklich zu einer kon­junkturellen Beschleunigung im nächsten Jahr kommen sollte, werden davon auch die Aktienkurse profitieren. Das ist positiv. Andererseits sieht es so aus, dass die Liquidität 2014 nicht mehr so stark zunimmt. Die Zinsen müssten ansteigen (wenn auch nur moderat). Das ist negativ. Was überwiegt ist schwer zu sagen.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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