Kommentar
14:55 Uhr, 04.12.2012

Schuldenerlass als Ei des Kolumbus?

  • Die Diskussion über einen Schuldenschnitt wurde in den letzten Monaten von der deutschen Bundesregierung abgeblockt; sie wird aber wieder kommen.
  • Rein theoretisch ist ein Schuldenschnitt ein Befreiungsschlag, der dem Land die Chance eines Neuanfangs bieten soll.
  • In der Praxis gibt es aber so viele Probleme, dass man mit einem solchen Instrument sehr zurückhaltend umgehen sollte.

Kommt nach dem PSI jetzt der OSI? In der Eurokrise gibt es inzwischen so viele Abkürzungen, dass sich auch besser Informierte kaum mehr auskennen. Was gemeint ist: Kommt nach dem Schuldenerlass Griechenlands durch private Gläubiger (dem PSI = Private Sector In­volvement) nun vielleicht ein Schuldenerlass durch öf­fentli­che Gläubiger (OSI = Official Sector Involvement)? Der Internationale Währungsfonds hat vor Kurzem einen ent­sprechenden Vorschlag gemacht. Deutschland hat sich dagegen ausgesprochen und hat bisher mit Erfolg ver­hindert, dass das Thema offiziell auf die Tagesord­nung kommt. Aber früher oder später wird sich die Dis­kussion nicht vermeiden lassen. Ist ein OSI eine sinn­volle Lö­sung?

Grundsätzlich ist ein Schuldenschnitt in einer rechts­staatlichen Ordnung ein Fremdkörper. Der Gläubiger muss darauf vertrauen, dass der Schuldner seine Ver­bindlichkeiten bedient. Eine Insolvenz muss die absolute Ausnahme sein.

Die Eurokrise ist freilich eine solche Ausnahme. Grie­chenland ist nicht mehr in der Lage, Zinsen und Tilgun­gen auf seine Verbindlichkeiten zu bezahlen. Auf den ersten Blick ist ein Schuldenerlass in einer solchen Si­tuation das Ei des Kolumbus. Der Schuldner kann wie­der von Null anfangen (oder von fast Null, wenn nicht alle Verbindlichkeiten gestrichen werden). Das erleich­tert vieles. Die Gläubiger verlieren zwar viel Geld. Es ist aber eine einmalige Aktion. Sie müssen für die Zukunft also nicht ein Fass ohne Boden befürchten. Die Steuer­zahler wissen wie teuer die Sache wird. Sie können ab­wägen, ob ihnen der Euro das wert ist oder ob sie lieber ein Ende mit Schrecken wollen. Schließlich: Ein Verzicht bei den öffentlichen Schulden ist das logische Pendant zum Erlass der privaten Schulden. Es ist nicht einzuse­hen, dass ausgerechnet bei der Rettung des Euros die öffentlichen Gläubiger Griechenlands außen vor bleiben sollen.

Es sind diese Gründe, die dazu geführt haben, dass das Instrument Schuldenschnitt gar nicht so selten ange­wandt wird. Im privaten Geschäftsverkehr gibt es die In­solvenz für Unternehmen und für Privathaushalte. Auf Länderebene wurden häufiger Schulden der Entwick­lungsländer im Rahmen der Entwicklungshilfe gestri­chen. Im Londoner Schuldenabkommen wurde Deutsch­land 1953 ein Teil seiner Vorkriegsschulden erlassen.

Ganz so unproblematisch ist ein Schuldenschnitt freilich nicht. Erstens ist er für die Gläubiger teuer. Es kostet im Falle Griechenlands vermutlich sehr viel mehr als die je­weiligen Tranchen, die die Finanzminister regelmäßig an Athen überweisen. Und das Geld ist endgültig weg. Es ist nicht leicht, dafür Verständnis in der Öffentlichkeit zu finden.

Zweitens verlieren die Gläubiger damit jedes Druckmittel auf die Schuldner, in Zukunft auch wirklich eine bessere Politik zu machen. Das ist gerade bei Griechenland, das derzeit bei seinen Partnern so wenig Vertrauen genießt, ein wichtiges Argument. Der Internationale Währungs­fonds hält derzeit seinen Teil an den Hilfszahlungen zu­rück, bis das Schuldenrückkaufprogramm beendet ist und die entsprechenden Ergebnisse gebracht hat.

Drittens schneidet sich das Land bei einem Schulden­schnitt für längere Zeit von künftigen Kreditaufnahmen ab. Es muss also ohne fremde Hilfe auskommen. Dazu ist Athen derzeit noch nicht in der Lage. Nach dem Bankrott Griechenlands im Jahre 1832 dauerte es drei­ßig Jahre, bis das Land wieder Geld am Kapitalmarkt aufnehmen konnte. Heute ist das Gedächtnis der Gläu­biger sicher nicht mehr so langlebig. Aber zehn Jahre wird das Land sicher ohne Mittelaufnahmen von außen auskommen müssen. Der deutsche Finanzminister hält es auch haushaltsrechtlich für fragwürdig, einem Land Geld zu geben, das vorher Bankrott angemeldet hat. Genau das scheint freilich der IWF im Kopf zu haben.

Viertens ist es wichtig, dass sich alle großen Gläubiger an dem Schuldenerlass beteiligen (sonst bleibt zu viel an Restschulden). Der IWF hat aber schon angekündigt, dass er sich in keinem Fall an einer solchen Aktion be­teiligen würde. Die EZB, ebenfalls ein großer Gläubiger Griechenlands, fürchtet, ein Verzicht auf ihre Forderun­gen gegen Griechenland könnte als verdeckte Staats­finanzierung verstanden werden, die der EZB explizit verboten ist.

Fünftens sollte man einen Schuldenschnitt – wenn man sich dazu entschließt – möglichst früh machen. Dann sind noch nicht so viele Zahlungen aufgelaufen und der Erlass wird nicht so teuer. Auf der anderen Seite haben die Gläubiger im Fall Griechenlands heute noch nicht so viel Vertrauen, dass Athen nach dem Schnitt dann auch wirklich die Konsolidierung und die Reformen weiter­führt. Sie fürchten, dass das Land dann doch in abseh­barer Zeit wieder auf der Matte stehen wird und neues Geld braucht.

Sechstens schließlich sind die Erfahrungen mit Schul­denschnitten in der Vergangenheit nicht so, dass man unbedingt dafür plädieren müsste. Nach dem Schulden­erlass durch die Privaten (dem PSI) stiegen die griechi­schen Schulden munter weiter. Viele Entwicklungslän­der, denen in der Vergangenheit die Schulden erlassen wurden, haben danach wieder neue aufgebaut. Umge­kehrt hat der Schuldenerlass für Deutschland dem Auf­schwung in den 50er Jahren geholfen.

Es ist schwer, aus diesen Argumenten ein Fazit zu ziehen. Die perfekte Lösung ist ein Schuldenschnitt si­cher nicht. Er ist mit vielen Risiken verbunden. Ander­erseits ist er aber wohl auch nicht immer zu vermeiden. Griechenland wird die Bürde so hoher Staatsschul­den nicht auf Dauer tragen können. Nach der Krise muss es einen Neuanfang geben.

Für den Anleger

Ich vermute, dass es früher oder später für Griechen­-land (und vielleicht auch andere) einen Schuldenerlass ge­ben wird. Das kann auf die offiziellen Schuldner be­schränkt bleiben, es kann aber auch noch einmal die Privaten treffen (die immer noch EUR 100 Mrd. Forde­rungen haben). Es ist auch nicht auszuschließen, dass ein Schuldenschnitt im Euroraum Schule macht (Portu­gal hat schon einmal die Hand gehoben). Seien Sie da­her vorsichtig mit Anleihekäufen im Euroraum. Man kann zwar viel verdienen, es kann aber auch noch etwas pas­sieren.

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