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11:45 Uhr, 01.10.2024

Ost-Ausschuss: Unternehmen interessieren sich für Reisen in die Ukraine

Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones) - In deutschen Unternehmen wächst trotz des andauernden russischen Angriffskriegs die Bereitschaft zur Reise in die Ukraine. Laut einer Umfrage des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, an der sich rund 70 deutsche Unternehmen mit Interesse an Geschäften in der Ukraine beteiligten, haben Mitarbeiter von 28 Unternehmen seit Kriegsbeginn bereits eine oder mehrere Reisen in die Ukraine durchgeführt oder sind dort wieder fest stationiert. Weitere 24 können sich sehr gut vorstellen, demnächst erstmals wieder in die Ukraine zu reisen. Der Verband sieht für deutsche Unternehmen Potenziale in Wachstumsbranchen wie dem Bausektor, der Rüstungsindustrie, der Landwirtschaft, der IT-Branche und bei erneuerbaren Energien.

Hauptziel der Reisen war Kiew mit 25 Nennungen und die als weitgehend sicher geltende Region um Lwiw in der Westukraine (15), gefolgt von der südukrainischen Region Odessa/Mikolajiw (7). Vereinzelt können sich Unternehmen auch Reisen in die frontnäheren Großstädte Dnipro und Charkiw (je 2) vorstellen. Nur 16 von 68 befragten Unternehmen lehnen unter den derzeitigen Bedingungen Reisen ab, so die Umfrage.

"Trotz der weiterhin bestehenden Reisewarnung der Bundesregierung wächst erkennbar die Bereitschaft, in die Ukraine zu fahren", sagte Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms. "Die Lage in der Ukraine wird offenbar inzwischen deutlich differenzierter gesehen, als dies durch die furchtbaren Bilder von der Front im Osten des Landes vermittelt wird."

Die Hauptstadt Kiew im Zentrum der Ukraine sei über 400 Kilometer von der Kampfzone in der Ostukraine entfernt und sehr gut gegen Luftangriffe geschützt. Mit der wachsenden Reisebereitschaft nehme auch die Chance auf neue Projekte zu. "Dies ist eine gute Nachricht für die Ukraine und für die deutsche Wirtschaft", so Harms.

Finanzierung als Problem

Zu den großen Bremsen eines Engagements in der Ukraine zählen weiterhin der unsichere Versicherungsschutz bei Personenreisen und fehlende Finanzierungsmöglichkeiten für Investitionsprojekte.

Viele Unternehmen, die Projekte in der Ukraine vorantreiben wollen, klagen laut Umfrage des Ost-Ausschusses über einen weiterhin unzureichenden Zugang zu Finanzierung und Absicherung von Neuinvestitionen und Exportgeschäften mit ukrainischen Partnern.

Zwar habe die Bundesregierung trotz des Krieges ihre Garantieinstrumente für deutsche Unternehmen offengehalten, diese entfalteten aber bislang noch nicht die erhoffte Wirkung, wie die Umfrage zeigt.

"Wegen der negativen Einstufung der Ukraine durch internationale Rating-Agenturen aufgrund der Kriegssituation tun sich private Finanzinstitute weiterhin sehr schwer mit einer Projektfinanzierung", sagte Harms. "Wir warten hier auf Impulse durch die angekündigte Gründung einer Wiederaufbaubank für die Ukraine nach dem Vorbild der deutschen KfW und durch Mischfinanzierungsmodelle, bei denen öffentliche Banken der Geberländer dem Privatsektor gegen eine Beteiligung an späteren Gewinnen einen Großteil der Ausfallrisiken abnehmen."

Als Folge der weiterhin schwierigen Zugänge internationaler und ukrainischer Unternehmen zu privatem Kapital würden in der Ukraine derzeit fast nur Unternehmen aktiv, die Projekte mit Eigenkapital finanzieren könnten oder ins Raster einer der internationalen Förderbanken passten und sich durch den dazugehörigen Antragsdschungel schlagen würden.

"Das ist einfach zu wenig, um mit ausländischen Direktinvestitionen eine echte Wirtschaftsdynamik in der Ukraine in Gang zu setzen, die möglich wäre", so Harms.

Unzufrieden sind laut Ost-Ausschuss deutsche Unternehmen zudem mit der Mittelvergabe der Bundesregierung. Obwohl Deutschland zu den stärksten finanziellen Unterstützern der Ukraine gehöre, kämen deutsche Unternehmen bei Projektausschreibungen selten zum Zug, weil die Mittel nicht an die Beteiligung deutscher Anbieter geknüpft werden. Stattdessen führe die ukrainische Regierung Ausschreibungen durch, bei denen fast zwangsläufig nicht das qualitativ beste, sondern das billigste Gebot den Zuschlag erhielten.

Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com

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