Kommentar
14:39 Uhr, 03.02.2016

Neue Zeitbombe im Euro

  • Niemand hat bisher bemerkt, dass sich das Obligo Deutschlands gegenüber den Partnern in Europa derzeit trotz der Beruhigung in der Eurokrise weiter kräftig erhöht.
  • Das ist eine Nebenwirkung des derzeitigen Wertpapierankaufprogramms. Ich bin ein Freund des Euros und halte viel von der EZB – aber das geht so nicht.
  • Wenn die EZB ihre Geldpolitik unbedingt verschärfen will, sollte sie eher die Zinsen senken statt noch mehr Staatsanleihen zu kaufen.

Diese Tage stieß ich auf eine Statistik, die mich sehr irritier­te. Sie passte so gar nicht in mein bisheriges Weltbild. Je­der weiß, dass in der Währungsunion nicht nur Griechen­land, sondern auch Italien, Frankreich, Spanien und andere noch eine Reihe von Hausaufgaben zu erledigen haben. Andererseits hat sich das Tagesgeschäft im Euro beruhigt. Es gibt nicht mehr so viele Spannungen. Wenn es zu Nachtsitzungen in Brüssel kommt, dann nicht zum Euro, sondern zur Flüchtlingskrise.

Die Statistik, an der man diese Situation am besten ablesen können müsste, sind die Salden im innereuropäischen Zah­lungsverkehr (Target-Salden). Sie sind gewissermaßen ein Fieberthermometer des Euros. Wenn alles ruhig ist, dann sind die Salden mehr oder weniger Null. So war das bis 2007 (siehe Grafik). Dann stehen den privaten Forderungen eines Mitgliedslandes entsprechende private Verbindlichkei­ten anderer Länder gegenüber. Die Notenbanken müssen nicht aktiv werden. Ab 2007 hat sich das Fieber im Zuge der Finanzkrise erhöht. Da musste die Bundesbank zunehmend Forderungen übernehmen. (Die Bundesbank gehört zu den wenigen Zentralbanken im Eurosystem, die diese Zahlen veröffentlichen.)

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Bis 2012 hatten sich bei der Bundesbank Forderungen aus diesen Salden in Höhe von EUR 750 Mrd. aufgebaut. Das
war der Höhepunkt. Jeder wusste, dass das so nicht weiter­gehen konnte. Dann kam glücklicherweise die Wende. Der Target-Saldo ging zurück. Das Fieber ließ nach.

Aber jetzt passiert etwas, was gar nicht ins Bild passt. Trotz der äußerlichen Ruhe im Euro steigen die Salden wieder an. Seit eineinhalb Jahren haben sie sich um EUR 120 Mrd. erhöht. Zuerst konnte man das mit der Entwicklung in Grie­chenland und den Problemen der italienischen Banken be­gründen. Aber jetzt reicht diese Erklärung nicht mehr aus. Denn die Entwicklung geht ungebremst weiter. Seit März 2015 nehmen die Target-Salden pro Monat im Schnitt um EUR 7 Mrd. zu. Das ist so wie wenn Deutschland seinen Partnerländern jeden Monat einen Kredit dieser Höhe gäbe.

»Nun könnte man sagen: So ist das eben. Das ist ein Kollateralschaden, den man hinnehmen muss … Ich glaube, dass man es sich damit zu einfach macht.«

Wie ist die Entwicklung zu erklären? In der öffentlichen Dis­kussion wird darüber nicht geredet. Wenn man sich die Zah­len genauer anschaut, dann liegt aber ein Verdacht nahe.
In den letzten Monaten sind nicht nur die Target-Salden ge­stiegen, sondern die EZB hat auch ihr großes Wertpapier­ankaufsprogramm in Kraft gesetzt. Diese Koinzidenz kann kein Zufall sein.

Um dies zu erklären, muss ich leider etwas in technische Details einsteigen. Im Rahmen des Wertpapierankaufspro­gramms der EZB kaufen die nationalen Notenbanken Wert­papiere von Kreditinstituten und ähnlichen Institutionen. Die Erwartung ist, dass die Verkäufer mit dem Geld entweder zusätzliche Kredite gewähren oder andere Anlagen vorneh­men. Beides soll die Konjunktur anregen. Was aber, wenn beispielsweise eine italienische Bank das Geld, das sie durch den Verkauf von italienischen Staatsanleihen an die Banca d'Italia erhält, nicht mehr in Italien anlegen will, son­dern etwa in Deutschland? Oder wenn die Banca d'Italia italienische Staatsanleihen von einer Bank in London kauft und diese Bank ihr Geld nicht erneut in Italien anlegen will? Das ist ja nicht auszuschließen.

Dann führen die Wertpapierkäufe nicht nur zu – gewollten – Umschichtungen in der Bilanz der Banken, sondern auch zu – ungewollten – zwischenstaatlichen Kapitalbewegungen. Dann können Target-Salden entstehen. Die Forderungen der Bundesbank gegen die EZB erhöhen sich. Genau das passiert derzeit.

Nun könnte man sagen: So ist das eben. Das ist ein Kollate­ralschaden, den man hinnehmen muss, wenn man die Eu­rokrise mit den Mitteln der Geldpolitik überwinden will. Ich glaube, dass man es sich damit zu einfach macht. Es han­delt sich nämlich um eine ganz gefährliche Entwicklung.

Erstens funktioniert das Wertpapierankaufsprogramm nicht so wie es soll. Es hilft nicht zur Überwindung der Eurokrise, indem die Banken mehr Kredite ausreichen. Es löst viel­mehr auch, jedenfalls teilweise, Kapitalflucht aus. Damit nehmen die Unsicherheiten in Europa zu. Die Krise geht nicht zurück, sondern verschärft sich.

Zweitens gibt es unerwünschte Verteilungswirkungen. Eini­ge Länder im Eurosystem bauen immer höhere Forderun­gen auf, andere haben immer höhere Defizite. Und das nicht nur vorübergehend, sondern mindestens noch bis Frühjahr nächsten Jahres. Die Target-Salden könnten dabei leicht wieder Werte erreichen wie zum Höhepunkt 2012. Im Falle eines Scheiterns des Euros muss Deutschland für die Target-Forderungen mit seinem Kapitalanteil haften. Diese Haftung erhöht sich Monat für Monat.

Man kann das wollen. Aber dann sollte man das dem Par­lament und dem Bürger auch offen sagen. Ich persönlich halte es nicht für gut. Wenn die EZB unbedingt mehr Gas geben will, sollte sie daher eher die Zinsen weiter senken als Staatsanleihen zu kaufen.

Für den Anleger

In den letzten Monaten habe ich aus guten Gründen immer wieder Anlagen in Europa empfohlen. Aber wenn es wirklich so sein sollte, dass im Eurosystem eine neue Zeitbombe tickt, sollte man dies ins Kalkül ziehen. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen. Der Euro wird durch die steigen­den Target-Salden nicht zerbrechen. Es handelt sich hier eher um ein politisches Problem. Es könnte aber sein, dass im Euro eine neue Baustelle entsteht, die dann auch – ne­gative – Auswirkungen auf die Kapital- und Devisenmärkte hat.

1 Kommentar

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    "Wenn die EZB ihre Geldpolitik unbedingt verschärfen will, sollte sie eher die Zinsen senken statt noch mehr Staatsanleihen zu kaufen" - versteh ich nicht, haben Sie sich da verschrieben? Sie verschärft doch mit beiden Alternativen nicht die Zinspolitik, sondern lockert weiter?!

    14:50 Uhr, 03.02.2016