Kommentar
10:58 Uhr, 08.11.2012

Mit voller Kraft für Sachkapital

Die Stabilisierung der weltwirtschaftlichen Stimmung schreitet voran. In China notiert der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe aktuell mit einem Wert von 50,2 wieder knapp über der Expansion anzeigenden Schwelle von 50. Auch wenn gewisse politische Schönungen im Zuge des anstehenden politischen Führungswechsels nicht ausgeschlossen sind, betreibt China eine sehr aktive Politik der Stimulierung der Binnenkonjunktur.

Und auch in den USA befinden sich die konjunkturellen Pro-Argumente auf dem Vormarsch. Der US-amerikanische ISM-Index für das Verarbeitende Gewerbe und der Sub-Index der Neuauftragskomponente haben sich mit Werten von 51,7 bzw. 54,2 weiter stabilisiert, was sich übrigens auch in einem zwar langsamen, aber stetigen Arbeitsplatzaufbau im amerikanischen Privatsektor niederschlägt. Die extrem lockere Geldpolitik in Form des mittlerweile dritten Anleiheaufkaufprogramms der Fed trägt zweifellos zu dieser Konjunkturstabilisierung bei.

Auch beim Economic Surprise Index für die Weltwirtschaft - er erfasst positive sowie negative Abweichungen von den Konsensschätzungen der Wirtschaftsdaten - überwiegen bereits seit Anfang Oktober die positiven Überraschungen. Bei einer sich fortsetzenden Konjunkturerholung dürften so auch konjunktursensitive Rohstoffe wie Aluminium, Kupfer und auch Silber - das aufgrund seiner antibakteriellen Wirkung und hervorragenden Leitfähigkeit u.a. große Anwendung in der Medizin- und Elektrotechnik findet - wieder zu fundamentaler Stärke zurückfinden.

Schulden-Hosianna treibt Sachkapital

Genau diese wirtschaftliche Stabilisierung ist auch ein fundamentales Argument für die Aktienmärkte. Denn auch nach der Präsidentschaftswahl wird die Stabilisierung der US-Wirtschaft nach altem Rezept mit mehr Verschuldung vorangetrieben, um mangelnde Wachstumsimpulse aus den noch verhaltenen Nachfrageaggregaten Konsum und Investitionen zu kompensieren bzw. zu stimulieren. Dabei wird das fiscal cliff-Handicap auch umschifft werden. Es macht wenig Sinn, die US-Volkswirtschaft in vier Jahren mühsam wiederzubeleben, um sie dann einer Konjunkturgefahr aus Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen auszusetzen. Hierbei werden beide politischen Lager nach der Präsidentschaftswahl zusammenarbeiten.

Seit 1970 hat sich die US-Staatsverschuldung verfünfzigfacht. Damit wurde eine Steigerung der US-Wirtschaftsleistung im gleichen Zeitraum um das 17-fache erzielt. Die realwirtschaftliche Impulskraft der Staatsverschuldung hat in den letzten Jahren allerdings deutlich nachgelassen. Es müssen also pro Einheit Wirtschaftswachstum immer mehr Einheiten Staatsverschuldung aufgewendet werden.

Im Fahrwasser der so gesteigerten Wirtschaftsleistung haben sich die US-Aktien solide entwickelt und ihren Wert gemessen am S&P 500 seit 1970 versiebzehnfacht.

Edelmetalle glänzen weiter

Von dieser extrem galoppierenden Staatsverschuldung profitiert insbesondere Gold als sachkapitalistischer Sicherheitshafen und Wertspeicher. Der Goldpreis hat ähnlich wie die US-Staatsverschuldung seit 1970 um das 50-fache zugelegt.

Angesichts der weltweit wachsenden Staatsverschuldung zwischen fünf und neun Prozent jährlich seit 2009 - während das Angebot an physischem Gold p.a. nur um etwa 1,5 Prozent zulegt - wird das Edelmetall Gold auch zukünftig aus Sicherheits- aber auch aus Knappheitsgründen weiter profitieren.

Einige Marktteilnehmer verweisen bei Edelmetallen auf mutmaßliche Blasenbildungen. Stellt man die Entwicklung des Goldpreises seit 2008 dem Kursverlauf des NEMAX - der Neuer Markt-Index bildete zwischen 1997 und 2003 den Kursverlauf insbesondere von Technologiewerten ab - seit seiner Einführung gegenüber, ist zunächst zwar eine dynamische Wertentwicklung ähnlich der Dotcom-Blase unverkennbar. Im Gegensatz zum NEMAX, der sich nach seiner Entblähung nicht mehr erholen konnte, zeigt der Goldpreis aber eindeutige Steherqualitäten. Das liegt zunächst an der vergleichsweise unzweifelhaften Substanz des Edelmetalls Gold.

Ein weiteres Argument für Gold ist die anhaltende Liquiditätsoffensive der internationalen Geldpolitik, die zur globalen Konjunkturstabilisierung dringend geboten ist. Die Zinserhöhungen der EZB, die seit Mitte 1999 das Ende der Dotcom-Blase herbeigeführt haben, werden ausbleiben. Eine langfristige Befestigung bei Edelmetallen als Nebenprodukt der üppigen Notenbankpolitik bleibt schon deswegen wahrscheinlich, da die Alternativrenditen im Zinsbereich uninteressant sind.

Die "Japanisierung" der Staatsanleihemärkte

Schon allein aufgrund der stetig steigenden Staatsschuldenlast kann man eine deutliche Steigerung des Zinsniveaus nicht zulassen. Schließlich muss der Schuldendienst über niedrige Zinszahlungen tragbar bleiben. Deutschland ist hier deutlich begünstigt: Lag die Staatsverschuldung 1990 bei ca. 540 Mrd. Euro, so hat sich diese auf aktuell ca. 2,2 Bill. vervierfacht. Die jährlichen Zinszahlungen haben sich jedoch - unterstellt man zur Refinanzierung die aktuell geringen Renditen deutscher Staatsanleihen - von knapp 50 Mrd. Euro 1990 auf aktuell ca. 11 Mrd. und damit um ein Fünftel reduziert.

Und um bei einem hohen Nettoschuldenstand - der sogar in einem vergleichsweise solide haushaltenden Staat wie Deutschland bis 2050 die Marke von 400 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus Gründen der Demographie erreichen könnte - den Zinsdienst des Staates nicht zu gefährden, muss ein durch offensive Notenbankpolitik gesichertes Niedrigzinsniveau auch zukünftig Realität an den Staatsanleihemärkten bleiben. Und was für uns gilt, gilt für andere finanziell angeschlagene Volkswirtschaften noch mehr. De facto werden wir noch sehr lange japanische Verhältnisse am Rentenmarkt haben.

Historisch zeigt sich, dass unattraktive Renditen bei Staatsanleihen zu einer verstärkten Nachfrage im alternativen Anlagesegment der Edelmetalle führen. Gerade in Zeiten negativer Realrenditen wie in den USA zwischen 1979 und 1981 und seit Anfang 2010, profitiert ebenso Silber deutlich von seinem Inflationsschutz bzw. seiner Werterhaltungsfunktion.

Grafik der Woche: Rendite 5-jähriger US-Staatsanleihen, nach Inflation und Silberpreis, in US-Dollar

Edelmetalle bleiben grundsätzlich ein attraktives Investment, das es sogar mit soliden Substanzaktien aufnehmen kann. Vergleicht man die Wertentwicklung von Gold mit der des Berkshire Hathaway Fonds von Warren Buffet - der nur unzweifelhafte Substanzunternehmen in sein Portfolio aufnimmt - seit 1996, so geht das gelbe Edelmetall als Gewinner hervor. Denn während der Fonds in Folge der aufkeimenden double dip-Ängste in Amerika seit dem I. Halbjahr 2011 klare Werteinbußen hinnehmen musste, konnte Gold von seiner Funktion als sicherer Hafen profitieren und seinen relativen Aufwärtstrend fortsetzen.

Gold- und Silberminen mit Nachholpotenzial

Beim Vergleich zwischen der Entwicklung von Goldpreis und dem Kursverlauf von Minenaktien fällt die dramatische Outperformance von Gold auf. Das Verhältnis von Goldpreis zu Minenaktien - gemessen am Philadelphia Gold and Silver Index - liegt mit 9,1 auf historisch hohem Niveau und massiv über dem langfristigen Durchschnitt von 4,6. Grundsätzlich haben die Minenwerte ein klares Aufholpotenzial.

Aus fundamentaler Sicht spricht für Goldminen insbesondere ihre operative Gewinnentwicklung. Zwar zeigt diese sich seit Ende letzten Jahres überschattet von steigenden Explorations- und hohen Investitionskosten sowie der bis Mitte 2012 anhaltenden Korrektur beim Goldpreis. Allerdings findet in der Branche aktuell ein positives Umdenken mit Blick auf die Kosten- und Kapitaleffizienz statt. Zeitgleich mit dem Goldpreisanstieg seit August hat sich auch der Gewinntrend wieder gefestigt, so dass Goldminenaktien im Vergleich zu physischem Gold bereits wieder erste Stärke zeigen. Dieser Trend sollte anhalten.

Zudem befinden sich Goldminenaktien sowohl nach Ertrags- als auch nach Substanzbewertung auf historisch günstigem Niveau.

Deutsche Berichtsaison als Aktienstütze

Auf Unternehmensebene hat die Berichtsaison in Deutschland Fahrt und zeigt ein stabiles Bild. So auch der Industriegasehersteller Linde. Die Gesundheitssparte Lincare sowie eine kräftige Nachfrage aus Osteuropa und Asien konnten das schwache Geschäft in der Eurozone überkompensieren und sorgten im Jahresvergleich für ein Gewinnplus von acht Prozent. Im Ausblick wurde das Rekordziel für Gewinn und Umsatz bestätigt. Auch der Chemiekonzern Bayer präsentierte einen soliden Ausblick, insbesondere für sein Agrochemie- und Gesundheitsgeschäft. Der Reifenhersteller und Automobilzulieferer Continental verzeichnet eine Verdoppelung seines Gewinns und präsentiert ebenfalls einen soliden Ausblick.

Hervorzuheben ist das Ergebnis von Beiersdorf. Die Fortschritte beim Konzernumbau machen sich in Gewinnsteigerung von ca. 40 Prozent zum Vorjahr bemerkbar mit einem besonders starken Umsatzwachstum in den Schwellenländern und einem freundlichen Ausblick: Das Umsatzziel wurde angehoben.

Die Deutsche Bank hat mit ihren Quartalszahlen überrascht. Anziehende Geschäfte im Investmentbanking konnten die hohen Kosten für den Konzernumbau überkompensieren und sorgten für eine Gewinnsteigerung um drei Prozent.

Und was passiert in der nächsten Woche?

Im Rahmen der deutschen Berichtsaison veröffentlichen neun DAX-Werte ihre Zahlen. Von dem Automobilhersteller BMW werden dabei solide Zahlen und ein stabiler Ausblick erwartet. Bei dem Sportartikelhersteller adidas dürften die Konjunkturprobleme insbesondere in Südeuropa sowie hohe Marketingaufwendungen während der Olympiade und der Fußball-Europameisterschaft auf den Gewinn drücken. Ein stabiler Ausblick aufgrund einer weltweit starken Nachfrage nach den Markenprodukten von adidas ist dennoch zu erwarten. Die Zahlen der Deutschen Telekom zeigen, inwiefern man die anhaltenden Probleme auf dem US-Markt in den Griff bekommt. Siemens dürfte ein solides Zahlenwerk vorlegen. Der Fokus der Investoren gilt hier den Details des neuen Sparprogramms.

Im Fokus bleiben die Entwicklungen auf Makroebene. In den USA steht die Präsidentschaftswahl an. Unabhängig davon, wer gewählt wird, ist nicht mit einer besonderen Marktreaktion zu rechnen. Denn beide politischen Lager werden die Probleme mit neuen Schulden angehen. Der US-ISM-Index für Dienstleistungen signalisiert eine anhaltende Konjunkturerholung. Das gilt auch für das Verbrauchervertrauen der Universität von Michigan.

In Euroland wird die EZB auf der anstehenden Zinssitzung ihr Euro-Rettungsversprechen bekräftigen, weitere geldpolitische Schritte sind jedoch angesichts der spanischen Zurückhaltung bezüglich eines Rettungsantrags nicht zu erwarten.

Aus charttechnischer Sicht sprechen die überverkaufte Lage und der nach wie vor intakte Aufwärtstrend für eine grundsätzliche Erholung auf dem deutschen Aktienmarkt.

Halt findet der DAX derzeit bei 7300 Punkten. Knapp darunter verlaufen die nächsten Unterstützungen bei 7257, 7188, 7100 sowie 7000 Zählern. Darunter gibt die Marke bei 6875 Punkten halt.

Auf dem Weg nach oben trifft der DAX an der Marke von 7478 Punkten auf einen ersten Widerstand, bevor er Kurs auf die Hürde bei 7523 Punkten nimmt. Als nächstes kann dann das Vorjahreshoch bei 7600 Zählern ins Auge gefasst werden.

Grundsätzlich dürften die Aktienmärkte in den beiden letzten Monaten des Jahres an Fahrt gewinnen, da der Dreiklang aus mehr Verschuldung, anhaltender geldpolitischer Unterstützung und verstärkter politischer Harmonie in den USA und Euroland Unsicherheiten mildert und die Konjunktur stärkt. Dies spricht für einen DAX-Stand am Ende des Jahres von 7800 Punkten.

Angst ist kein guter Ratgeber, schon gar nicht bei der Geldanlage

Aktuell kann ich leider nicht behaupten, dass Aktien die beliebteste Anlageform der Deutschen ist. Vermutlich gibt der deutsche Durchschnittshaushalt im Jahr sogar mehr Geld für Bananen als für Aktien aus. Diese Ablehnung erscheint zunächst sogar verständlich. Denn von Anfang des Jahrtausends bis heute - also über 12 Jahre lang - hat der DAX nichts gewonnen, im Gegenteil knapp 10 Prozent verloren. Und erst die entzückenden Ereignisse während dieser langen Fastenzeit: Mit dem Platzen der Neuer Markt-Blase 2000 und dem Bersten der Immobilienblase 2008 sowie der Schuldenkrise in der Eurozone seit mindestens 2010 kennt mittlerweile doch jeder noch so im Fell gefärbte Aktienanhänger Verlustschmerzen.

Und die Perspektiven für Aktien? Ist die Schuldenkrise der westlichen Welt vorbei? Wohl kaum. Ist der politische und konjunkturelle Stresstest in der Eurozone erfolgreich beendet? Auch nicht. Also weiter einseitig auf vermeintlich sichere Staatspapiere mit dem Bundesadler setzen und Aktien meiden wie der Teufel das Weihwasser? Die deutsche Antwort fällt gemäß 80/80-Regel eindeutig au: 80 Prozent der Anleger betreiben ihre Vermögensanlage zu 80 Prozent mit Zins- und Staatspapieren.

Rezessionen werden finanz- und geldpolitisch geächtet

Trotz aller Probleme mangelt es nun wirklich nicht an handfesten Argumenten für die Aktienseite. Oder zweifeln Sie etwa daran, dass Finanz- und Geldpolitik zusammen - in einer Fernsehserie würde man sie das A-Team nennen - alles, was in ihrer Macht steht tun, um das real existierende Finanzsystem und die Weltkonjunktur zu stabilisieren. Eine Rezession der Art von 2009 halten wir doch gar nicht mehr aus, sie würde die Systemfrage stellen. Daher werden selbstverständlich in Amerika auch morgen und übermorgen mit frischen Schulden morgen und übermorgen Konjunkturen auf Vordermann gebracht. Der US-Raum, es bleiben unendliche Schulden-Weiten.

Und auch in Euroland wird es keine stabilitätspolitischen Rosskuren geben. Ansonsten wird die euroländische Konjunktur zum Pflegefall der Stufe drei mit all ihren sozialen Spannungen. Daher werden die einst gibraltarfelsharten Stabilitätskriterien stillschweigend marschmallowisiert.

Mathematisch heißt dies insgesamt: Mehr Schulden = mehr Wachstum = mehr Gewinne = stabilere Aktienkurse.

Die Anleihegläubiger zahlen die Zeche der Entschuldung

So richtig wolkenlos wird der Aktienhimmel aber erst durch die Happy Hour der Notenbanken. Einerseits unterstützen sie Verschuldungsräusche der Finanzminister durch ihre Frei Bier-Politik. Und andererseits verhindern sie durch dirigistische Eingriffe auch noch die Katerstimmung bei Staatsanleihen. Das System wird geldpolitisch geschaukelt, koste es, was es wolle.

Apropos Kosten. Der erzwungene System-Frieden in der Eurozone hat seinen Preis. Sein Name ist höhere Inflation, für die es aufgrund der geldpolitisch gedrückten Renditen keine Entschädigung gibt. Aktuell beträgt die Umlaufrendite sagenhafte 1,2 Prozent. Nach Inflation - ich meine die tatsächliche, nicht die offiziell geschönte - liegt sie bei fast minus 4 Prozent. So funktioniert Entschuldung heute. Und als Dankeschön für soviel Rendite zahlen wir auch noch Zinsabschlagsteuer. Dazu sagt Günther, die Schi(u)ldkröte, interessanterweise nichts. Ich finde, wenn einem so wenig Schönes wird beschert, das ist schon einen zweiten Blick auf Aktien wert.

Es lebe der Sach-Kapitalismus mit Aktien

Ja, wir haben heute viel Instabilität. Die Konsequenz ist aber nicht das anlagepolitische Biedermeier, die Flucht in Staatsanleihen bis Oberkante Unterlippe. Denn ansonsten zahlt man auch noch die Zeche dafür.

Dagegen beschert die real existierende Schuldenunion den Aktien die Kraft der drei Herzen: Schuldenfinanzierte Wachstumsimpulse, die durch die Liquiditätsoffensiven der Notenbanken gedeckt werden und die noch lange, lange, lange nicht aufhören.

Angst vor Aktien ist nicht angebracht, die Bösen sind die anderen.

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