K: Wird der Ölpreis zur Konjunkturbremse?
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Der hervorgehobene Buchstabe K zu Beginn des Titels einer Meldung weist die Meldung als einen externen Kommentar aus. Diese externen Kommentare veröffentlichen wir zu Informationszwecken und zwecks Darstellung unterschiedlicher Argumente und Einschätzungen. Es wird großer Wert darauf gelegt, ausschließlich renommierte seriöse Quellen vorzustellen. Die in diesen Kommentaren, Studien und Analysen widergegebenen Einschätzungen müssen sich nicht mit den Einschätzungen des Godmode-Traders decken.
Die vorgestellten externen Quellen veröffentlichen auf dem FondsReporter oder auf BörseGo
Externe Quelle: DekaBank
Wird der Ölpreis zur Konjunkturbremse?
1. Der Halt an der Tankstelle wurde in den vergangenen Wochen zunehmend von einem immer tieferen Griff in die Geldbörse begleitet. Die rekordhohen Benzinpreise sind Folge der stark gestiegenen Rohölpreise und lassen hier und dort erste Zweifel an einer Fortdauer der konjunkturellen Erholung in Deutschland aufkommen. Auch in den USA haben die Benzinpreise bisher ungekannte Höhen erreicht und sind zu einem potenziellen Belastungsfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung und einem wichtigen Wahlkampfthema geworden. Im Folgenden wollen wir zunächst auf die allgemeinen konjunkturellen Auswirkungen von Ölpreisanstiegen eingehen. Anschließend sollen die speziellen Auswirkungen auf die deutsche Konjunktur beleuchtet und ein Vergleich zu der Situation in den USA gezogen werden.
Konjunkturelle Auswirkungen eines starken Ölpreisanstiegs
2. Die konjunkturellen Belastungen, die mit einem deutlichen Anstieg der Rohölpreise und dadurch auch der Benzinpreise verbunden sind, haben wir bereits in einem Volkswirtschaft Spezial im Herbst 2002 erläutert (Volkswirtschaft Spezial vom 11.09.02: Irak-Krieg). Hierin haben wir auf zwei Wirkungsmechanismen aufmerksam gemacht: (1) Auswirkungen für die Unternehmen und (2) Auswirkungen auf den privaten Konsum. Für die Unternehmen bedeuten hohe Rohölpreise höhere Energie-, Rohstoff- und Transportkosten, sodass sich die Gewinnmargen einengen. Die Ölpreisanstiege der Vergangenheit haben gezeigt, dass die Belastungen so weit gehen können, dass die Produktion zurückgefahren wird und Investitionen aufgeschoben werden. Zwei Aspekte betreffen den privaten Konsum: Höhere Benzin- und Energiepreise wirken zum einen ähnlich wie eine höhere Verbrauchsteuer, sodass sich die Kaufkraft verringert. Der Unterschied zu einer Verbrauchsteuer liegt allerdings darin, dass, zumindest in den meisten Industrieländern, Rohöl importiert werden muss und es sich daher um einen Einkommenstransfer in die erdölexportierenden Länder handelt. Zum anderen haben die höheren Preise einen psychologischen Effekt. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass starke Benzinpreisanstiege zu einer Verunsicherung der privaten Haushalte führten, die sich dann in einer erhöhten Sparquote niederschlug. Reagieren Unternehmer und Konsumenten in dieser Weise auf die höheren Ölpreise, so droht durch die verringerte gesamtwirtschaftliche Nachfrage ein konjunktureller Abschwung. Und um den schlimmsten denkbaren Fall noch anzusprechen: Die meisten Rezessionen der vergangenen Jahrzehnte wurden - wie das deutsche Beispiel zeigt - durch stark gestiegene Rohölpreise im Zusammenspiel mit einer deutlichen Straffung der Notenbankpolitik ausgelöst. Von solch einem Szenario sind wir derzeit jedoch weit entfernt.
Deutschland: Geschützt durch den Wechselkurs
3. Die aktuelle Situation in Deutschland stellt sich folgendermaßen dar: Zwar ist der Rohölpreis in den vergangenen Monaten stark nach oben gegangen, und der neuerliche verstärkte Anstieg nimmt sich dramatisch aus. Jedoch wird diese Erhöhung durch den immer noch vergleichsweise starken Euro gedämpft. Die Tatsache, dass Rohöl fast ausschließlich in US-Dollar fakturiert wird, wirkt hierdurch eindeutig entlastend. Vergleicht man einmal die durchschnittlichen Quartalsanstiege des Ölpreises in Euro mit denen der Zeiträume 1978 bis 1981 oder 1998 bis 2000, als dramatische Preisausschläge zu beobachten waren, so ist die aktuelle Entwicklung durchaus noch im Rahmen dessen, was eine Volkswirtschaft verkraften kann. Vom zweiten Quartal 2003 bis zum ersten Quartal 2004 waren durchschnittliche Anstiege um knapp 3 % zu beobachten, nimmt man den letzten "richtigen" Tiefpunkt des Ölpreises, das vierte Quartal 2001, so waren es etwa 5 %. In den früheren Phasen waren dagegen Anstiege um 10 % bzw. 15 % pro Quartal zu beobachten.
4. Hinzu kommt, dass die deutsche Volkswirtschaft heutzutage deutlich weniger stark von dem Rohstoff Erdöl abhängig ist als es noch vor vierzig Jahren der Fall war. Dies liegt einerseits an dem verstärkten Einsatz alternativer Energien und der verbesserten Ausnutzung des Rohöls, beispielsweise mit Kraftstoff sparenden Autos oder mit einer besseren Wärmedämmung von Gebäuden. Andererseits ist es aber auch Folge der Tertiärisierung der Wirtschaft, d.h. einem gestiegenen Anteil des Dienstleistungssektors an der Gesamtwirtschaft. Die gesunkene Abhängigkeit vom Rohöl dürfte somit auch die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen eines starken Ölpreisanstiegs verringern.
5. Bislang waren die in Euro gemessenen Belastungen des Rohölpreisanstieges noch nicht Besorgnis erregend. Sollte der Rohölpreis weiter ansteigen, so könnten die Unternehmen zwar anfänglich diese zusätzlichen Kosten dank der Kostensenkungsprogramme der jüngeren Vergangenheit noch verkraften. Bei einem relativ schnellen Anstieg des Rohölpreises von derzeit rund 30 Euro auf rund 35 Euro je Barrel Brent Blend oder noch höher ist jedoch mit einer Zurückführung der Investitionstätigkeit zu rechnen. Bei den Konsumenten verhält es sich mit Blick auf die Beschneidung der realen verfügbaren Einkommen ähnlich, das psychologische Moment könnte aber in der derzeitigen Phase der Verunsicherung der Konsumenten schon früher zum Tragen kommen: Wird die Angst vor höheren Kraftstoff- und Energiekosten stärker, so ist damit zu rechnen, dass sich der schon seit mehreren Quartalen anhaltende "Konsumstreik" nicht oder bestenfalls viel zu langsam auflöst. In diesem Szenario käme die Binnenwirtschaft in Deutschland nicht in die Gänge, die ohnehin schon schwache Erholung würde schnell wieder an Dynamik verlieren. Solange aber der Euro nicht abwertet, verbleibt noch ein größerer Spielraum für den in US-Dollar notierten Rohölpreis. Dies ist insofern wahrscheinlich, als wir aufgrund der doppelten Ungleichgewichte in den Vereinigten Staaten - Leistungsbilanzdefizit und Haushaltsdefizit - tendenziell von einer weiteren Aufwertung des Euro ausgehen.
6. Um diese Überlegungen zu untermauern, haben wir anhand eines ökonometrischen Modells den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Rohölpreises (Brent Blend in US-Dollar; über die Miteinbeziehung des Wechselkurses zum Euro ist damit auch indirekt der Preis in Euro in dem Modell enthalten) und dem Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts untersucht. Von Interesse waren dabei besonders die Auswirkungen eines starken Anstiegs des Rohölpreises auf unser aktuelles Konjunkturbild. Ausgangsbasis war unser in den aktuellen "Volkswirtschaft Prognosen" vom 19.05.04 versandtes Hauptszenario mit einem durchschnittlichen Ölpreis für Brent Blend von 32,0 US-Dollar je Barrel im ersten Quartal.
Als neues Szenario haben wir einen Anstieg auf durchschnittlich 38,5 US-Dollar je Barrel Brent Blend (40 USDollar für WTI) für vier Quartale ab dem 2. Quartal 2004 bei sonst unveränderten Rahmenbedingungen angenommen, d.h. ab dem 2. Quartal 2005 gehen wir wieder von unserer bisherigen Prognose aus. Für die Erklärung der statistischen Zusammenhänge fanden die um ein Quartal verzögerte Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts, der reale handelsgewichtete Wechselkurs für Deutschland und der Rohölpreis für Brent Blend in US-Dollar je Barrel (mit zweimonatiger Verzögerung) im Modell Verwendung. Die statistisch signifikanten Ergebnisse weisen für das angenommene Szenario einen Wachstumsverlust in Höhe von 0,1 Prozentpunkten für 2004 und 0,3 Prozentpunkten in 2005 für die deutsche Volkswirtschaft aus. Zwar ist jedes Zehntel an Wirtschaftswachstum in Deutschland wichtig, aber solch eine Bremswirkung dürfte zu verkraften sein.
7. Es ist zwar angesichts des bisherigen Anstiegs der Ölpreise Vorsicht angesagt, unsere Überlegungen und Berechnungen zeigen jedoch, dass vorläufig von binnenwirtschaftlicher Seite keine größere Gefahr für die deutsche Konjunktur besteht. Höchst interessant ist aber die Frage, wie es um die Weltwirtschaft, insbesondere den wichtigen Handelspartner USA bestellt ist, denn über die außenwirtschaftliche Flanke ist die deutsche Volkswirtschaft immer noch am leichtesten zu treffen. Wenn also wichtige Handelspartner straucheln sollten, könnte auch die deutsche Konjunktur wackeln.
USA: Gestärkt durch die robuste Binnennachfrage
8. Der Konjunkturzyklus in den USA ist dem in Deutschland weit voraus. Seit vier Quartalen in Folge wächst die Konjunktur spürbar, der Arbeitsmarkt hat auf Expansionskurs gedreht und auch bei der Zentralbank wird verstärkt über eine Erhöhung der Leitzinsen nachgedacht. Dennoch: Das Wechselkursargument, das für Deutschland als Entlastung angeführt werden kann, gilt für die Vereinigten Staaten nicht, denn Rohöl wird in US-Dollar fakturiert. Der Preis der für die USA ausschlaggebenden Rohölsorte WTI (West Texas Intermediate) ist im ersten Quartal 2004 mit 32,2 US-Dollar pro Barrel im Durchschnitt um rund 4 US-Dollar höher gewesen als im Vorquartal und der Anstieg der Benzinpreise im ersten Quartal 2004 gegenüber dem vierten Quartal 2003 ist in den USA mit 9,5 % im Vergleich zu Deutschland mit 1,6 % auch ungleich höher ausgefallen.
9. Was bedeutete dieser Benzinpreisanstieg für die US-Wirtschaft im ersten Quartal? Die Auswirkungen auf die US-Unternehmen lassen sich nur unzureichend ermitteln. Zwar wiesen Industrieproduktion, gewerbliche Investitionen und Gewinnentwicklung ein robustes Wachstum auf, gleichwohl ist es ungewiss, wie hoch das Wachstum ohne Benzinpreisbelastung hätte ausfallen können. Auf der Konsumentenseite kann zunächst ein psychologischer Effekt vernachlässigt werden, was an den bekannten Stimmungsindikatoren der privaten Haushalte (Konsumklimaindex der Universität von Michigan und Verbrauchervertrauen des Conference Board) abgelesen werden kann, die sich seit Monaten in einer Seitwärtsbewegung auf hohem Niveau befinden.
10. Wie steht es demgegenüber um den Einkommensverlust der privaten Haushalte? Dessen Ausmaß kann relativ einfach ermittelt werden: In den Teilstatistiken der monatlich verfügbaren Einzelhandelsumsätze, die als Grundlage zur Berechnung des privaten Konsums in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen dienen, werden auch die Umsätze der Tankstellen aufgeführt. Anhand dieser Teilstatistik zeigt sich ein Anstieg der Umsätze im ersten Quartal um 5,6 % gegenüber dem Vorquartal. Allerdings kann dieser nicht in Gänze als Kaufkraftverlust interpretiert werden, denn der Anstieg der Einzelhandelsumsätze insgesamt im ersten Quartal um 2,3 % zeigt, dass es allgemein eine höhere Güternachfrage gegeben hat. Unterstellt man, dass sich die Umsätze der Tankstellen ohne Benzinpreisanstieg ähnlich entwickelt hätten, so beträgt der Kaufkraftverlust knapp 9 Mrd. US-Dollar. In Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts bedeutet das, dass die US-Wirtschaft im ersten Quartal 2004 ohne diesen Kaufkraftverlust um 0,3 Prozentpunkte - auf das Jahr hochgerechnet - stärker angestiegen wäre. Dieses Ergebnis deckt sich weitgehend mit unseren ökonometrischen Analysen, die wir im Zuge des Irakkriegs im Frühjahr vergangenen Jahres angestellt haben (siehe Volkswirtschaft Spezial vom 12. Februar 2003: USA: Hoher Rohölpreis bremst die Konjunktur) und wäre für sich genommen beachtlich. Allerdings lässt sich dies vor dem Hintergrund anderer Belastungsfaktoren im ersten Quartal durchaus relativieren. Beispielsweise sind die Sozialversicherungsbeiträge um 20 Mrd. US-Dollar angestiegen, und auch der Anstieg der privaten Ersparnis um ebenfalls 20 Mrd. US-Dollar zeigt, dass die privaten Haushalte die gezahlten Steuerrückerstattungen nicht komplett ausgegeben haben. Schließlich gilt zu beachten, dass bei der oben beschriebenen Art der Berechnung unterstellt wird, dass das verkaufte Benzin vollständig aus dem Ausland stammt. Dies ist aufgrund eines Eigenproduktionsanteils von Rohöl von ca. 50 % jedoch übertrieben, sodass der tatsächliche Kaufkraftverlust noch geringer ausgefallen sein dürfte.
11. Der Wachstumsverlust in 2004 und 2005 würde sich in den USA, ähnlich wie in Deutschland, in Grenzen halten. Unterstellt man, dass der Preis für WTI im zweiten Quartal 2004 auf durchschnittlich 40 USDollar ansteigt und auf diesem Niveau bis einschließlich des ersten Quartals 2005 verharrt, dann würde das nach unserer Modellrechnung gegenüber unserer bisherigen Prognose eine Wachstumsverringerung des Bruttoinlandsprodukts in 2004 und in 2005 um jeweils etwa 0,2 Prozentpunkte bedeuten. Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der Berechnung des Kaufkrafteffekts deuten die Daten darauf hin, dass es eine Belastung im ersten Quartal gegeben hat, dass diese allerdings nicht Besorgnis erregend hoch gewesen ist. Letztendlich zeigt sich deutlich, dass die US-amerikanische Wirtschaft zurzeit so stark und stabil wächst, dass ihr der Ölpreisanstieg nicht allzu viel anhaben kann.
Fazit: Begrenzte Bremseffekte
12. Die Hysterie der vergangenen Tage bezüglich des Ölpreisanstiegs ist sicherlich übertrieben. Das haben die obigen Ausführungen deutlich gezeigt. Selbst ein dauerhafter Ölpreisanstieg auf etwa 40 US-Dollar je Barrel hätte höchstens eine konjunkturelle Verlangsamung zur Folge, nicht jedoch einen Abschwung, der in eine Rezession mündet. Die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte zeigt, dass tatsächlich die meisten Rezessionen durch das unglückliche Zusammenspiel zwischen starkem Ölpreisanstieg und gleichzeitig höheren Notenbankzinsen verursacht wurden. Allerdings haben die Notenbanken hieraus ihre Lektion gelernt und werden in diesem Fall zunächst von starken Zinserhöhungen absehen. Dies könnte sich höchstens ändern, wenn sie befürchten müssten, dass mit der höheren Inflation eine Preis-Lohn-Spirale in Gang gesetzt werden könnte. Hier liegt also die Verantwortung auch bei den Tarifpartnern, dass sie sich trotz der höheren Inflation in den Lohnforderungen mäßigen. Letztendlich geben wir jedoch Entwarnung für alle Schreckensszenarien, denn laut unserer Ölpreisprognose wird der Ölpreis in den kommenden Monaten wieder in einen Bereich zwischen 30 und 35 US-Dollar je Barrel zurückgehen. Gefahr droht nur, wenn der Rohölpreis massiv ansteigt und dann auf dem hohen Niveau verharrt, was beispielsweise durch Anschläge auf wichtige Ölpipelines verursacht werden könnte.
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.