Institute erwarten wirtschaftliche Schrumpfung in diesem Jahr
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Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones) - Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen mit einer Schrumpfung des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,1 Prozent in diesem Jahr. Für die kommenden beiden Jahre erwarten die Institute in ihrem Herbstgutachten eine schwache Erholung mit Zuwächsen von 0,8 Prozent im Jahr 2025 und 1,3 Prozent im Jahr 2026. Gegenüber der Prognose vom Frühjahr bedeutet dies eine Abwärtsrevision um 0,2 Prozentpunkte für dieses und 0,6 Prozentpunkte für kommendes Jahr. Die deutsche Wirtschaft befinde sich "im Umbruch", schrieben die Institute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose.
"Neben der konjunkturellen Schwäche belastet auch der strukturelle Wandel die deutsche Wirtschaft", sagte die Konjunkturchefin des federführenden Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Geraldine Dany-Knedlik. "Dekarbonisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel und wohl auch der stärkere Wettbewerb mit Unternehmen aus China haben strukturelle Anpassungsprozesse ausgelöst, die die Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft dämpfen", betonte die Ökonomin. Die deutsche Wirtschaft trete seit über zwei Jahren auf der Stelle. Im kommenden Jahr dürfte eine langsame Erholung einsetzen, aber an den Trend von vor der Corona-Pandemie werde das Wirtschaftswachstum auf absehbare Zeit nicht mehr anknüpfen können.
Die sich überlagernden Wirkungen von Strukturwandel und konjunktureller Flaute zeigen sich besonders im verarbeitenden Gewerbe. Betroffen seien vor allem die Investitionsgüterhersteller und energieintensive Industriezweige. Ihre Wettbewerbsfähigkeit leide unter den gestiegenen Energiekosten und der zunehmenden Konkurrenz durch hochwertige Industriegüter aus China, die deutsche Exporte auf den Weltmärkten verdrängten. Konjunkturell mache dem verarbeitenden Gewerbe aber auch die schwächelnde globale Industrie und der damit verbundene Mangel an neuen Aufträgen zu schaffen. Abgemildert werde dies durch eine gestiegene Bruttowertschöpfung in den - insbesondere staatlich geprägten - Dienstleistungsbereichen wie dem Erziehungs- und Gesundheitswesen.
Symptomatisch für die Probleme im verarbeitenden Gewerbe ist nach Einschätzung der Institute die anhaltende Investitionsschwäche. Konjunkturell dürfte in Deutschland vor allem das nach wie vor hohe Zinsniveau und die hohe wirtschafts- und geopolitische Unsicherheit die Investitionstätigkeit der Unternehmen und die Anschaffungsneigung der privaten Haushalte belastet haben. Die privaten Haushalte legten ihr Einkommen vermehrt auf die hohe Kante, statt Geld für neue Wohnbauten oder Konsumgüter auszugeben.
Privater Verbrauch trägt die Erholung
Die strukturellen Anpassungsprozesse dürften dem Gutachten zufolge andauern und die konjunkturellen Bremsen sich nur langsam lösen. Getragen wird die zaghafte Erholung demnach von einer Belebung des privaten Verbrauchs, der von kräftigen Zuwächsen der real verfügbaren Einkommen getragen werde. Die Institute erwarten Zunahmen des privaten Verbrauchs um 0,4 Prozent in diesem, 0,9 Prozent im kommenden und 1,0 Prozent im übernächsten Jahr. Das Anziehen der Konjunktur in wichtigen Absatzmärkten wie den europäischen Nachbarländern werde den deutschen Außenhandel stützen. Für die Exporte veranschlagen die Institute einen Rückgang um 0,1 Prozent in diesem Jahr, aber Zuwächse um 1,5 Prozent im nächsten und 2,3 Prozent im übernächsten Jahr, für die Importe ein Minus von 1,0 Prozent 2024 und Steigerungen um 2,2 Prozent und 2,9 Prozent in den beiden Folgejahren.
Zusammen mit günstigeren Finanzierungsbedingungen komme dies den Anlageinvestitionen zugute. Für die Ausrüstungsinvestitionen erwarten die Institute einen Rückgang um 6,7 Prozent im Jahr 2024, aber Zuwächse um 0,5 Prozent 2025 und 5,0 Prozent 2026. Die Finanzpolitik sei leicht restriktiv ausgerichtet. Auf dem Arbeitsmarkt zeigt der wirtschaftliche Stillstand laut dem Gutachten mittlerweile deutlichere Spuren: Die Zahl der Arbeitslosen sei zuletzt weiter leicht gestiegen. Erst im Verlauf des kommenden Jahres, wenn sich die wirtschaftliche Aktivität allmählich erhole, dürfte die Arbeitslosigkeit wieder zurückgehen.
Die Institute erwarten eine Arbeitslosenzahl von 2,775 Millionen Menschen in diesem Jahr, von 2,781 Millionen im kommenden und 2,664 Millionen im Jahr 2026. Die Arbeitslosenquote wird nach der Prognose im laufenden und auch im kommenden Jahr bei 6 Prozent liegen, bevor sie 2026 auf 5,7 Prozent zurückgeht. Die Inflationsrate sei im August auf den niedrigsten Stand seit mehr als drei Jahren zurückgegangen und werde im Prognosezeitraum mit 2,2 Prozent im laufenden Jahr und 2,0 Prozent in den Jahren 2025 und 2026 voraussichtlich in der Nähe des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2 Prozent liegen.
"Ein Risiko für die unterstellte Expansion der deutschen Wirtschaft stellt ein weiterer Anstieg der Verunsicherung bezüglich der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen dar, der die Anschaffungsneigung privater Haushalte und Unternehmen bremsen würde", warnten die Institute. Zudem gebe es erhebliche Unsicherheit darüber, in welchem Umfang die strukturellen Anpassungsprozesse das gesamtwirtschaftliche Produktionspotenzial belasten.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
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