IMK senkt Konjunkturprognosen
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Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones) - Die deutsche Konjunktur kann sich nach der jüngsten Prognose des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in diesem Jahr nicht aus der Stagnation lösen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde 2024 mit 0,0 Prozent Wachstum auf der Stelle treten und 2025 um 0,7 Prozent zunehmen, sagte das gewerkschaftsnahe Institut voraus. Gegenüber seiner vorherigen Prognose vom Juni nahm das IMK nach eigenen Angaben die Wachstumserwartung für dieses Jahr geringfügig um 0,1 Prozentpunkte und für 2025 um 0,2 Prozentpunkte zurück.
Die Stagnation in diesem Jahr liege an einer verhaltenen Nachfrage aus dem Ausland, einer restriktiven und unsteten Fiskalpolitik der Bundesregierung, die sowohl das Konsumentenvertrauen als auch Investitionen bremse, und an einer trotz erster Zinssenkungen nach wie vor zu straffen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). 2025 helle sich die Situation etwas auf, vor allem, weil positive Impulse durch weiter steigende Nominallöhne und abnehmende Inflation den privaten Konsum wieder in Schwung brächten.
Das IMK erklärte, die insgesamt schleppende Wirtschaftsentwicklung drücke mittlerweile auf die Arbeitsmarktentwicklung. Die Zahl der Erwerbstätigen nehme in diesem Jahr zwar um durchschnittlich 0,4 Prozent und 2025 noch um 0,1 Prozent zu. Gleichzeitig steige allerdings auch die Arbeitslosigkeit weiter leicht, im Jahresmittel 2024 um gut 160.000 auf rund 2,77 Millionen Menschen und 2025 um weitere gut 60.000 auf knapp 2,84 Millionen Personen. Die Arbeitslosenquote beträgt laut der Prognose 6,0 Prozent in diesem Jahr und 6,1 Prozent im kommenden. Die Inflationsrate wird demnach im Jahresdurchschnitt 2024 mit 2,3 Prozent wieder nahe am Inflationsziel der EZB liegen und es mit 2,0 Prozent im Jahresmittel 2025 erreichen.
Nach den Verlusten in der Hochinflationsphase legten die Realeinkommen 2024 deutlich zu, unter anderem durch kräftige Zuwächse bei nominalen Tariflöhnen, sinkende Inflation und die leicht steigende Erwerbstätigkeit. Gleichwohl entwickle sich der private Konsum mit einem durchschnittlichen Plus von 0,5 Prozent in diesem Jahr nur verhalten, während die Sparquote wachse. "Offensichtlich prägt derzeit das Vorsichtsmotiv aufgrund geopolitischer und konjunktureller Unsicherheit das Verhalten der Konsumenten", so das IMK, das für 2025 dann bei weiter steigenden Einkommen und noch einmal sinkender Inflation ein allmähliches Nachlassen der Konsumzurückhaltung und einen kräftigen Zuwachs der privaten Konsumausgaben um 1,5 Prozent erwartet.
Sondereffekt bei Ausrüstungsinvestitionen
Die Ausrüstungsinvestitionen gehen laut IMK-Prognose im Jahresdurchschnitt 2024 um 5,9 Prozent zurück - auch, weil Unternehmen wegen der Verlängerung und Ausweitung der degressiven Abschreibung Investitionen ins kommende Jahr verlagern dürften. 2025 wachsen die Ausrüstungsinvestitionen laut der Prognose dann um 1,7 Prozent. Die deutschen Exporte sinken laut der Prognose 2024 um 0,7 Prozent und legen 2025 um 1,8 Prozent zu. Der Außenhandel leistet per saldo rechnerisch in diesem Jahr einen positiven Wachstumsbeitrag von 0,4 Prozentpunkten, weil die Importe mit einem Minus von 2,0 Prozent noch deutlich stärker sinken sollen als die Ausfuhren. Im kommenden Jahr sollen die Einfuhren dann aber mit 3,1 Prozent kräftiger steigen als die Exporte.
Nach der aktuellen IMK-Prognose werde die deutsche Wirtschaftsleistung damit Ende 2024 auf ähnlichem Niveau liegen wie fünf Jahre zuvor. Die hartnäckige Flaute sei auch Symptom veränderter weltwirtschaftlicher Gegebenheiten, auf die die Wirtschaftspolitik reagieren müsse. "In der Vergangenheit hat sich die deutsche Wirtschaft meist über den Export aus der Wirtschaftsflaute gezogen", so das IMK. Dafür stünden die Chancen derzeit allerdings schlecht, was nicht nur an einer nur moderaten weltwirtschaftlichen Dynamik und nach wie vor relativ hohen Energiepreisen liege, sondern auch an der forcierten Industriepolitik der wichtigen Handelspartner China und USA.
"In dieser Situation bräuchten wir in Deutschland eine wirtschaftspolitische Zeitenwende mit umfangreichen und kontinuierlichen Investitionen unter anderem in erneuerbare Energien, Netze, Verkehrsinfrastruktur und Bildung", sagte IMK-Chef Sebastian Dullien. Das Institut beziffere die notwendigen zusätzlichen Investitionen zusammen mit dem Institut der deutschen Wirtschaft auf 600 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren. In der Wachstumsinitiative der Bundesregierung stehe dazu aber wenig Konkretes mit Ausnahme der erhöhten degressiven Abschreibung. Die erforderlichen Investitionen in Höhe von mehreren Hundert Milliarden Euro in den kommenden Jahren würden aber nur erfolgen, wenn der Staat begleitend die Infrastruktur erneuere.
Zaghaftigkeit präge nicht nur die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, sondern auch die öffentlich geäußerten Vorstellungen der Opposition, insbesondere mit Blick auf Haushalt und ein Festhalten an der wachstumsschädlichen Schuldenbremse, sagte Dullien. Hinzu kämen Unzulänglichkeiten bei der Reform der EU-Fiskalregeln. Diese sollte nach dem Willen der EU-Kommission eigentlich das Investitionspotenzial vergrößern, stattdessen dürften sie nun "die fiskalischen Spielräume für die dringend benötigten öffentlichen Investitionen in der EU unnötig einschränken". Die Wirtschaftspolitik dürfe aber nicht aus der Zeit fallen.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
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