Kommentar
12:36 Uhr, 28.01.2014

Großbritannien: Vom guten und vom weniger guten Wachstum

  • Großbritannien gehört in puncto Wachstum 2014 zu den Superstars der Weltwirtschaft.
  • Die Finanzmärkte haben das Land aber nicht in den Fokus genommen.
  • Der Grund: Manches spricht dafür, dass das Wachstum nicht nachhaltig ist und an einem Boom im Immobiliensektor scheitert.

Es gibt in diesem Jahr drei Länder, die die Welt mit ihrer Wachstums-Performance überraschen. Das eine ist Ja­pan, das nach zwei "verlorenen Jahrzehnten" wieder auf Trab kommen möchte. Das zweite ist Spanien, das eine lange Durststrecke hinter sich hat und 2014 erstmals eine Zunahme des realen Sozialprodukts erreichen wird. Das dritte ist Großbritannien, das in den letzten Monaten wie ein Phönix aus der Asche hervorkam. In zwei dieser Länder haben die Finanzmärkte mit Euphorie auf die Verbesserungen reagiert. Im dritten, nämlich Großbritan­nien, hat sich dagegen nichts gezeigt. Haben die Märkte hier etwas übersehen (und werden vielleicht noch re­agieren), oder liegen hier unterschiedliche Verhältnisse vor?

Ich habe die USA bei dem Vergleich außen vor gelas­sen. Zwar weisen sie in diesem Jahr vermutlich das höchste Wachstum auf. Sie sind aber kein Überra­schungskandidat. Hier läuft die Wirtschaft schon seit einiger Zeit gut. Sie war nur vorübergehend durch den Streit über den Haushalt und die Schuldenobergrenze gebremst.

Großbritannien hatte dagegen bis vor kurzem niemand auf der Rechnung. Noch im Sommer letzten Jahres hat­te die Bank of England erwartet, dass die Arbeitslosen­quote von damals 7,8 % erst in drei Jahren auf 7 % fal­len würde. Stattdessen ist das bereits in sechs Monaten ge­schehen. So grandiose Fehlprognosen gibt es selten.

Das reale Bruttoinlandsprodukt dürfte in Großbritannien 2013 um 1,8 % gestiegen sein. Die genauen Zahlen werden in dieser Woche bekannt gegeben. Im nächsten Jahr rechnen zahlreiche Beobachter mit einer Zunahme von 3 %, vielleicht sogar mehr.

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Die Gründe für die Verbesserung liegen vor allem im Konsum und im Immobiliensektor. Die Käufe privater Haushalte nahmen trotz stagnierender Einkommen und einer nach wie vor hohen Konsumentenverschuldung stark zu. Die Sparquote ist gesunken. Der Immobilien­bereich profitiert von einem Regierungsprogramm ("Help to Buy"), mit dem Hauskäufern die Kreditaufnahme durch staatliche Bürgschaften erleichtert wird. Zudem hat die Notenbank den Geschäftsbanken Refinanzie­rungsmittel zugesagt, geknüpft an die Bedingung, dass sie mehr Kredite geben ("Funding for Lending"). Die privaten Investitionen sind dagegen bisher noch nicht angesprungen. Der Export hat bisher leicht von der Erholung im Euroraum profitiert.

Warum sind die Märkte so zögerlich, auf die besseren gesamtwirtschaftlichen Bedingungen zu reagieren? Der Londoner FTSE hat in den letzten zwölf Monaten um 5 % zugenommen, verglichen mit einem Plus von 13 % in Spanien und von 39 % in Japan. Die Bonds-Zinsen sind leicht angestiegen, im Wesentlichen wegen der An­kündi­gung des Tapering in den USA. Auf den Devi­sen­­märkten hat sich das Pfund nur leicht erholt.

Der Grund: Es reicht offenbar nicht, dass das Wirt­schaftswachstum anzieht. Die Investoren müssen auch davon überzeugt sein, dass das ein Neuanfang ist, dass die Unternehmen davon profitieren und dass die Ent­wicklung nachhaltig ist. Im Falle Großbritanniens beste­hen hier offenbar Zweifel. Das liegt zum Teil daran, dass die Wirtschaft nach wie vor zu stark vom Finanzzentrum London und der Wirtschaft im Südosten des Landes ab­hängig ist. Es ist noch nicht gelungen, landesweit ein wettbewerbsfähiges Verarbeitendes Gewerbe aufzu­bauen, wie es sich die Regierung als Ziel gesetzt hatte. So eine Umstrukturierung dauert freilich lange. Vielleicht waren die Erwartungen hier auch zu hoch.

Die öffentlichen Haushalte sind trotz des konsequenten Sparkurses der Regierung immer noch nicht in Ordnung. Das Budgetdefizit beträgt 6 % des Bruttoinlandsproduk­tes, die Gesamtverschuldung 76 %. Das liegt zum Teil an dem lange Zeit schwachen Wachstum, zum Teil aber auch an den zusätzlichen Ausgaben für die Förderung des Immobiliensektors.

Die gesamtwirtschaftliche Belebung wird die Inflation wieder anheizen. Die Produktivität wächst in Großbritan­nien nur langsam. Auf dem Immobiliensektor gibt es be­reits erhebliche Preissteigerungen. 2014 rechnen die Beobachter hier mit einer Zunahme der Preise um 10 %. Das trägt schon wieder Zeichen eines Booms in sich.

Schließlich spielen politische Unsicherheiten eine Rolle. Die Unterhauswahlen im Frühsommer 2015 werfen ihre Schatten voraus. In diesem Jahr steht das Referendum über die Abspaltung Schottlands auf dem Programm. Es ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass es ein Erfolg für die Schotten wird. Hinzu kommen die Unwägbar­keiten im Hinblick auf die Haltung Großbritanniens zur Europäischen Union. Solange man nicht weiß, ob das Land auf Dauer der Europäischen Union angehört, bremst das die Investitionen im Inland und hält Auslän­der von größeren Engagements auf der Insel ab.

Für den Anleger

Zwei Schlussfolgerungen: Zum einen schauen Sie nicht nur auf die gesamtwirt­schaftlichen Wachstumsraten, um die Attraktivität der Märkte zu beurteilen. Ich rechne nicht damit, dass die Aktien in Großbritannien stärker auf die neue Dynamik reagieren. Es müssten noch sehr viel mehr Da­ten stimmen. Bisher sieht das eher nach einer Schein­blüte aus. Zum anderen aber: Schreiben Sie Großbritan­nien nicht gänzlich ab. Es wird in diesem Jahr vor allem wegen seiner Geld­politik noch Schlagzei­len machen. Zwar möchte die Bank of England die Zin­sen noch eine geraume Zeit niedrig halten. Wenn sich das Wachstum aber so fort­setzt und die Inflation an­zieht, wird dies schwer werden. Ich vermute, dass Groß­britannien zu den ersten Indus­trieländern gehört, in de­nen es 2014 zu Zinserhö­hungen kommt.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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