Kommentar
10:44 Uhr, 08.01.2016

Globalisierung auf dem Rückzug

  • Eine der großen Probleme in diesem Jahr ist die nachlassende Dynamik des Welt­handels.
  • Das ist keine vorübergehende Erscheinung. Sie hat erhebliche ökonomische und politische Auswirkungen.
  • Anleger müssen ihre Investmentstrategien an den Rückzug der Globalisierung anpassen.

Bei allen Unsicherheiten über die wirtschaftliche Entwick­lung in diesem Jahr zeichnet sich eines ab, was relativ si­cher erscheint: In Europa sehen die Perspektiven besser aus als im Rest der Welt. Hier gibt es keine Strukturschwä­ch­en wie in China und anderen Schwellenländern. Hier sind die Zinsen nach wie vor niedrig. Hier bereiten auch die nied­rig­en Rohstoffpreise weniger Kopfzerbrechen. Bereits in den ersten Tagen des neuen Jahres fielen die Einkaufsma­na­gerindizes in Europa besser aus als in den USA und in Chi­na.

Ist das ein einmaliger Ausrutscher, der bald wieder korrigiert werden wird? Oder ist es eine Konstellation, die länger an­halten könnte? Um die Antwort vorweg zu nehmen. Ich fürchte, dass es in der Tat ein längerfristiges Phänomen ist. Es ist ein neues Wachstumsmodell.

Fast in der gesamten Nachkriegszeit war die Weltwirtschaft eine "sichere Bank", auf die sich die Unternehmen verlas­sen konnten. In den letzten 35 Jahren erhöhte sich der Welthandel im Durchschnitt pro Jahr um 5,5 % verglichen mit einer Zunahme von 3,7 % bei der Weltproduktion. Wenn es im Inland mit der Konjunktur einmal nicht so lief, fand sich immer noch der Ausweg, den Export auszuweiten.

Globalisierung-auf-dem-Rückzug-Kommentar-Helge-Rehbein-GodmodeTrader.de-1

Damit scheint es inzwischen jedoch vorbei zu sein. Die Gra­fik zeigt, wie sich die Dynamik des Welthandels schon in den letzten Jahren verlangsamt hat. In den 90er Jahren wuchsen die realen Ex- und Importe noch zeitweise mehr
als doppelt so schnell wie das Weltsozialprodukt. In den letzten fünf Jahren laufen die Raten jedoch zusammen. Seit 2012 wächst der Welthandel überhaupt nicht mehr schnel­ler.

Das hängt nicht nur mit einer schlechteren konjunkturellen Lage in wichtigen Ländern der Welt zusammen. Dahinter stehen vielmehr gravierende Strukturveränderungen.

Eine ist, dass Dienstleistungen mit steigendem Wohlstands­niveau in der Welt eine größere Bedeutung bekommen ha­ben. Dienstleistungen spielen im Welthandel aber keine oder nur eine geringere Rolle. Sie werden dort bereitge­stellt, wo sie gebraucht werden. Ein anderer Grund ist, dass die Löhne inzwischen auch in den Schwellen- und Entwick­lungsländern höher sind. Damit verlieren diese Staaten ihre relativen Wettbewerbsvorteile. Sie sind nicht mehr die ver­längerte Werkbank der Industrieländer. In China verdienen Facharbeiter heute nicht mehr weniger als in Deutsch­land.

»Ich fürchte, dass es in der Tat ein längerfristiges Phänomen ist. Es ist ein neues Wachstumsmodell.«

Hinzu kommt der um sich greifende Protektionismus in der Welt. Brasilien hat erst jüngst Importbeschränkungen einge­führt. Gegenüber Russland gibt es die bekannten Handels­sanktionen aufgrund der Krim- und Ukraine-Krise. In Süd­ostasien wurden im Vorfeld des Starts der neuen Asiati­schen Wirtschaftsgemeinschaft (AEC) zum 1. Januar 2016 nicht-tarifäre Handelsschranken eingeführt. Es gibt kaum mehr multilateraler Handelserleichterungen. Die stattdessen florierenden bilateralen Handelsabkommen können das nicht kompensieren. Denn letztlich sind auch sie eine ver­kappte Form des Protektionismus. Es wird zwar der Handel zwischen den beteiligten Ländern gefördert, dies geschieht jedoch zu Lasten der Drittstaaten. Das gilt auch für das geplante TTIP-Abkommen zwischen Europa und den USA, das so wichtige Handelspartner wie Japan und China aus­schließt. Der Welthandel insgesamt wird ausgetrocknet.

Das sind nicht nur Schönheitsfehler. Sie haben gravierende Auswirkungen. Weniger Welthandel heißt weniger Wirt­schaftswachstum und damit weniger Wohlstand in der Welt. Die Löhne steigen nicht mehr so stark. Die Vielfalt des An­gebots für die Konsumenten nimmt ab. Schwellen- und Ent­wicklungsländer können nicht mehr auf das Wachstumsmo­dell des exportgetriebenen Wachstums bauen. Sie müssen sich neu orientieren. Das kann, wie wir derzeit in China se­hen, erhebliche Friktionen mit sich bringen.

Politisch war die Globalisierung ein Garant für Frieden. Wer miteinander Handel treibt, schießt nicht aufeinander. Sie ist zudem ein Gegenpol zu den nationalistischen Tendenzen, die sich in letzter Zeit überall in der Welt breitmachen. Glo­balisierung in diesem Sinne ist auch eine Art Freiheitssiche­rung. Ohne Globalisierung sind auch alle Bemühungen zur Eindämmung der Umweltverschmutzung in der Welt um­sonst.

Insofern sollte man alles tun, den Rückzug der Globalisie­rung zu stoppen, noch besser ihn umzukehren. Für Euro­päer, vor allem für die Deutschen geht es darum, nicht auf eine Besserung der Absatzbedingungen im Ausland zu warten, sondern neue Quellen des Wachstums zu erschlie­ßen. Glücklicherweise stehen die Vorzeichen dafür derzeit nicht schlecht. Der Konsum läuft inzwischen besser. Viel­leicht gelingt es auch, die Investitionen zu beleben. Für Deutschland ergibt sich dadurch die Chance, den chroni­schen Leistungsbilanzüberschuss, der im letzten Jahr so-gar noch einmal kräftig gestiegen ist, zu verringern.

Für den Anleger

hat der Rückzug der Globalisierung erhebliche Bedeutung. Sie sollten stärker in Regionen investieren, die nicht so weit weg sind und deren Risiken sie besser einschätzen können. Also ein verstärkter "Home Bias" bei den Anlagen. Das ver­ringert freilich die Rendite. Wenn es weniger Wachstum in der Welt gibt, dann steigen auch die Unternehmenserträge nicht mehr so schnell und die Aktienkurse kommen nicht so gut voran. Exportwerte, die vor allem in Deutschland häufig zu den Anlagefavoriten rechneten, muss man sich genauer anschauen, ob dort nicht besondere Risiken lauern.

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen