Geht die US-Wirtschaft über die Fiskalklippe?
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Die Euro-Schuldenkrise rückt immer mehr in den Hintergrund. In den kommenden Wochen dürfte vor allem die US-Fiskalklippe das Geschehen an den Märkten bestimmen. Einigen sich Demokraten und Republikaner nicht bis zum Jahresende, treten zum 1. Januar 2013 massive Steuererhöhungen und automatische Ausgabenkürzungen in Kraft. Die Nettobelastung wird auf 560 Milliarden US-Dollar geschätzt, was ungefähr der Hälfte des US-Haushaltsdefizits im Jahr 2011 entspricht. Eine Familie mit mittlerem Einkommen wird rund 2.000 Dollar weniger in der Tasche haben. Nicht wenige Volkswirte fürchten, dass durch die massiven Einschnitte die US-Wirtschaft wieder in die Rezession gestürzt werden könnte. Sollten die USA wirklich über die Fiskalklippe gehen, wäre das auch eine ernste Gefahr für die ohnehin angeschlagene Weltkonjunktur – auch wenn der Konsolidierungsbedarf bei den US-Staatsausgaben langfristig natürlich groß ist.
Aussagen von US-Politikern zum Verhandlungsfortschritt belasteten zuletzt den Dollarkurs. John Boehner, Verhandlungsführer der Republikaner, konnte am vergangenen Donnerstag keine ernsthaften Fortschritte in den Gesprächen der letzten beiden Wochen erkennen. Zuvor waren Äußerungen von US-Präsident Barack Obama so gedeutet worden, dass sich Demokraten und Republikaner in ihren Positionen angenähert hätten. Dieser Einschätzung widersprach Boehner auch am Wochenende energisch. Der Politiker forderte die Demokraten zu ernsthaften Verhandlungen auf. Senator Lindsey Graham von den Republikanern sagte in einem Interview, dass die US-Wirtschaft wohl über die Klippe gehen werde. Graham bezeichnete den Plan des Weißen Hauses zur Konsolidierung des Haushalts gar als „Witz“. Viele Republikaner schließen Steuererhöhungen kategorisch aus. Obama will hingegen das Defizit vor allem durch die Anhebung der Steuern für Besserverdienende verkleinern. Der jüngste Kompromissvorschlag der Regierung sieht Steueranhebungen im Umfang von 1,2 Billionen US-Dollar in den kommenden zehn Jahren vor. Ohne Steuererhöhungen werde es keinen Kompromiss geben, warnte Finanzminister Timothy Geithner.
Bisher wurde eine Einigung mehr oder weniger eingepreist. Laut einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Bloomberg-Befragung rechnen 75 Prozent der globalen Investoren mit einem kurzfristigen Kompromiss. Nur sechs Prozent der befragten Anleger erwarten ein Scheitern der Verhandlungen. Diese bisher überaus optimistische Haltung sollte ein Warnsignal sein. Das Aufwärtspotenzial an den Aktienmärkten und beim Dollar dürfte im Falle einer Einigung also ziemlich begrenzt sein, da ohnehin die meisten Investoren damit rechnen. Andererseits ist das Risiko eines Einbruchs keineswegs gering. Dies ist eigentlich eine gute Ausgangssituation für Marktteilnehmer, die mit einem Scheitern der Verhandlungen rechnen.
Die professionellen Politikbeobachter in Washington erwarten, dass sich Demokraten und Republikaner kurz vor Weihnachten einigen werden. Als mögliches Datum einer Einigung wird bereits der 21. Dezember genannt – der letzte Freitag vor Weihnachten. Denn spätestens dann dürften sich die meisten Politiker aus Washington verabschieden und in ihre Wahlkreise zurückkehren. Bisher liegen die Positionen allerdings meilenweit auseinander. Die an den Finanzmärkten traditionell eher ruhige Zeit vor Weihnachten könnte in diesem Jahr recht turbulent werden.
Oliver Baron
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