Kommentar
13:41 Uhr, 11.12.2015

Für wirkliche Ernüchterung an den Aktienmärkten besteht kein Anlass

China bleibt die tragische Figur der Weltkonjunktur. Die Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe liegt laut offiziellem Einkaufsmanagerindex weiter - wenn auch nur knapp - unter der Expansion anzeigenden Schwelle von 50. Der früher so robuste Export hat deutlich an Kraft eingebüßt und bewegt sich seit 2012 nur noch in einem volatilen Seitwärtstrend. Daneben zeugen auch die im Trend schwachen Importe von einem gehemmten Binnenmarkt. Und dabei will Peking ausgerechnet den Konsum als langfristigen Wachstumsmotor etablieren.

Insbesondere die Kurseinbrüche am chinesischen Aktienmarkt im August und September haben die Vermögenssituation der Chinesen auch deshalb geschwächt, da der Börsenboom vielfach auf Privatkrediten basierte. In der Folge ließ die Konsumstimmung nach. Immerhin gelingt der KP mit planwirtschaftlichen Mitteln die Stabilisierung des Aktienleitindex Shanghai Composite. Einem fortgesetzten Aktieneinbruch mit weiterer Eintrübung der Konsumstimmung wird insofern vorgebeugt.

Notgedrungen ist China mittlerweile in der nüchternen Realität der westlichen Finanzwelt angekommen. Für sein früher noch verächtliches Herabschauen auf die künstliche geldpolitische Befruchtung von Fed und EZB gibt es heutzutage keinen Grund mehr. Im Gegenteil, China wird gemäß neuestem Fünf-Jahres-Plan einen umfangreichen Doppelschlag aus staatlichen Konjunkturmaßnahmen mit geldpolitischer Alimentierung in Gang setzten.

Die großen Finanzanleger glauben offenbar an den Erfolg dieser „westlichen“ Rettungsmaßnahmen mit positiver Ausstrahlung auf die asiatischen Anrainerstaaten: Die Konjunkturerwartungen Asiens für die nächsten sechs Monate fallen laut Finanzdatenanbieter Sentix wieder freundlicher aus. Ein nachhaltiger Asien-Schock für die westlichen Export- und Aktienmärkte bleibt daher aus.

Insbesondere haben sich die Konjunkturerwartungen für die Eurozone und Deutschland aufgehellt. Die fallenden Rohstoffpreise beflügeln über Margenerhöhungen der Unternehmen bzw. Kaufkraftverbesserungen der Konsumenten die wirtschaftliche Stimmung markant. Allerdings macht sich der bedeutende Anteil des Energiesektors an der Wirtschaftsleistung in etwas verhalteneren Erwartungen für die US-Konjunktur bemerkbar.

Endlich lässt Janet Yellen die Zins-Katze aus dem Sack

Am 16. Dezember wird die Fed die Leitzinswende vollziehen. Damit schafft sie endlich klare Fakten. Den Finanzmärkten dürfte ein Stein vom Herzen fallen, da die Fed sie seit Amtsantritt von Janet Yellen mit langatmiger zinserhöhungspolitischer Verbalerotik irritiert hat. Nach tatsächlichem Vollzug ist die Fed wieder handlungsfähig und baut verloren gegengenes Vertrauen wieder auf.

Entspannend auf die Finanzmärkte dürfte ebenso die „nette Verpackung“ wirken, mit der die Leitzinserhöhung präsentiert wird. Sie wird nicht der Anfang einer langen Kette von Zinsrestriktionen sein. Der kommende Zinserhöhungszyklus wird der zahmste aller Fed-Zeiten sein. Dafür sprechen nicht nur die im historischen Vergleich verhaltene und inflationsarme nationale und Weltkonjunktur, die ansonsten große Gefahr einer investitionsfeindlichen Kapitalflucht aus Asien nach Amerika und die weltweit überbordende Staatsverschuldung.

Die Fed hat auch die Finanzrisiken auf dem US-Energiesektor im Blick. Der schwache Ölpreis macht sich bei Unternehmensanleihen aus dem High Yield-Bereich des US-Energiesektors bereits in deutlichen Kursverlusten bemerkbar.

GRAFIK DER WOCHE
Ölpreis WTI und US-Unternehmensanleihe-Index (High Yield), Subindex Energiesektor

Da die typischerweise kapitalintensiven US-Öl- und Gas-Fracking-Unternehmen ab 2016 verstärkten Finanzbedarf haben - auch da Öl-Absicherungsgeschäfte über die Terminmärkte auslaufen - würden massiv steigende Refinanzierungskosten eine Pleitewelle auslösen, die auch dem US-Bankensektor zusetzten und schließlich einen Verunsicherungsschock in der US-Konjunktur verursachten. Im Extremfall könnten negative Effekte auf die insgesamt markant überbewerteten, korrekturanfälligen Anleihemärkte streuen und die wirtschaftlichen Restriktionen potenzieren.

Insofern muss die US-Notenbank mit ihrer sanften Zinspolitik die Schutzpatronin der US-Wirtschaft bleiben. Sollte es dennoch zu Friktionen im Energiesektor kommen, wird die Fed auch nicht vor einem dann vierten Quantitative Easing auch zum Wohle der Fracking-Industrie zurückschrecken.

Aktuelle Marktlage: Billigste Liquidität bleibt wichtigstes Aktienargument
Die Liquiditätsschwemme in der Eurozone ist offensichtlich noch umfangreicher als erwartet. Dabei treten neben der EZB auch die nationalen Notenbanken vor allem aus Italien und Frankreich als aktive Anleihekäufer auf. Im Rahmen eines vertraulichen und hochgradig undurchsichtigen Abkommens mit der EZB - das sogenannte Anfa-Abkommen (Agreement on net-financial assets) - haben sie zwischen 2006 und 2014 Anleihen auch des eigenen Staates im Volumen von insgesamt 720 Mrd. Euro aufgekauft. Diese als „Eigenanlagen“ der Notenbanken deklarierten Zukäufe sind nichts anderes als verdeckte Staatsfinanzierung. Offensichtlich will ein intransparentes Eurosystem, bestehend aus den nationalen Zentralbanken, die Volkswirtschaften der Eurozone mit der Finanzierung staatlicher Konjunkturpakete breit stützen. Die Angst vor deflationärer Stagnation ist offenbar groß. Die germanische Stabilitätsunion ist mittlerweile komplett ausgehöhlt. Sie hat sich längst in eine romanische Schuldenunion verwandelt.

M&A ist wieder ein Marktfaktor
Eine Folge des international vielen und billigen Zentralbankgeldes ist die imposante Wiederbelebung weltweiter Übernahmephantasien. Sie befinden sich auf bestem Weg, erneut das M&A-Niveau aus der Zeit der Immobilieneuphorie zu erreichen.

Typischerweise sind Übernahmephantasien eine markante Stütze für Aktienmärkte. Angesichts der geldpolitischen Visionen wird sich dieser Effekt auch 2016 zeigen. Grundsätzlich erleichtern weiter steigende Aktienmärkte Übernahmen durch Bezahlung in eigenen Aktien, so dass die Aktienhausse die M&A-Hausse und diese wiederum weiter die Aktienhausse nährt.

Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50: Sand im Rallye-Getriebe
Charttechnisch trifft der DAX bei 10.564 sowie 10.508 Punkten auf erste Unterstützungen. Darunter wartet eine nächste nennenswerte Haltelinie bei 10.383 und schließlich bei 10.250 Punkten. Auf dem Weg nach oben wartet die erste Barriere bei 10.585 Punkten. Weitere Widerstände folgen schließlich bei 10.815 und 10.980 Punkten, bevor der DAX Kurs auf die 200 Tage-Linie bei aktuell 11.074 nimmt.

Im Euro Stoxx 50 liegt die nächste Auffangzone zwischen 3.200 und 3.160 Punkten. Im Falle einer Erholung muss der Index zunächst den Widerstandsbereich zwischen 3.290und 3.325 Punkten überwinden. Darüber liegt eine Barriere bei 3.385 Punkten. Wird diese deutlich überwunden, ist der Weg bis zur Marke bei 3.473 und danach dem mittelfristigen Abwärtstrend bei zurzeit 3.545 Punkten frei.

Der Wochenausblick für KW 51: Alle Augen auf die Fed und ifo

In Japan deutet der Tankan Index für die japanische Großindustrie zumindest auf keine weitere Verschlechterung der Konjunktursituation hin.

In den USA zeigt sich die Konjunkturstimmung gemäß Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed wieder etwas stabiler. Das gilt auch für den Immobiliensektor: Baubeginne und -genehmigungen setzten im November ihren volatilen Seitwärtstrend fort. Die Inflationsdaten bewegen sich zwar weiterhin nahe an der Deflationsgrenze. Aus Gründen der zinspolitischen Glaubwürdigkeit wird die US-Notenbank dennoch die Zinswende in Höhe von 25 Basispunkten durchführen.

In der Eurozone liegen die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe erneut deutlich über der Expansion anzeigende Schwelle und signalisieren eine allmähliche Fortsetzung der zyklischen Konjunkturerholung. Dennoch bestätigen die schwachen Inflationsdaten die freizügige Geldpolitik der EZB. In Deutschland dürften die ifo Geschäftsklimadaten sowie die ZEW Konjunkturerwartungen ihren Aufwärtstrend weiter fortsetzen.

Ist die US-Zinswende vollzogen und wurde den Finanzmärkten von der Fed die entsprechende Beruhigungsrhetorik verabreicht, wird sich die unterbrochene Jahresend-Rallye fortsetzen und der DAX wieder Anlauf auf die Marke von 11.000 Punkten nehmen.

HALVERS WOCHE
Erlebt die bislang verschmähte Anlageklasse Rohstoffe 2016 eine Wiedergeburt?

Spätestens seit Mitte 2012 - u.a. rettete Mario Draghi die Finanzwelt mit seiner aphrodisierenden Geldpolitik - haben Zinspapiere und Aktien mit Unterbrechung einen guten Lauf. Das kann man von Rohstoffen nicht behaupten. In der Wertentwicklung sind sie Underdogs.

Das war einmal anders. Öl hatte seinen Rekordwert im Juli 2008 mit fast 150 US-Dollar pro Barrel erreicht. Von vermeintlich renommierten Rohstoffhäusern wurden damals weiter steigende Ölpreise von weit über 200 Dollar prognostiziert. Die Gründe lagen auf der Hand: Die BRIC-Staaten wuchsen mit viel Schmackes, China sogar mit fast 10 Prozent. Daher war man hinter Öl und Industriemetallen her wie der Teufel hinter der armen Seele. Ein Treiber für Rohstoffe war ebenso der schwache US-Dollar. Für einen Euro mussten Amerikaner fast 1,60 bezahlen. Eine schwache Weltleitwährung ist grundsätzlich gut für in Dollar notierte Rohstoffe, da sich beide u.a. aus Absicherungsgründen entgegengesetzt entwickeln. Das erinnerte an die Werbebotschaft von Fisherman’s Friend: „Sind sie zu stark (Rohstoffe), bist Du (Dollar) zu schwach“. Früher war die Rohstoffwelt noch in Ordnung.

An Chinas Wirtschafts-Wesen können die Rohstoffe nicht mehr genesen
Heute ist die „Neue Sachlichkeit“ bei Rohstoffen angesagt. Schuld sind zunächst die Schwellenländer, die unter wirtschaftlicher Ladehemmung leiden. Der Übergang von Export und Investitionen hin zu Konsum ist eben nicht so problemlos möglich wie ein Zugwechsel am Kölner Hauptbahnhof auf dem Weg von Frankfurt nach Düsseldorf. Und was Rohstoffen damals mit einem schwachen Dollar noch zur Blüte verhalf, wirkt sich heute über eine starke Weltleitwährung als deren Vertrocknung aus.

Die von Energiepreis-Völlerei lange Zeit verwöhnten Ölländer mussten sich auf strikte Diät einstellen. Heute sind die Ölpreise so tief wie seit 2009 nicht mehr. Die Öleinnahmen der Opec-Staaten haben sich seit 2012 halbiert. Ausgeglichene Staatshaushalte allein auf Basis des Ölverkaufs sind zurzeit für alle Opec-Mitglieder eine unerreichbare Illusion. In einigen Opec-Ländern soll bereits die Population an Pleitegeiern zugenommen haben.

Da der Ölpreis so etwas wie der Rudelführer unter den Rohstoffpreisen ist, haben auch Industriemetalle wie Tränensäcke nachgegeben. Das ist ebenso der Grund, warum sich Brasilien tief in der Rezession befindet. Alle Rohstoffländer sehen sich 2015 gegenüber 2012 einem Nachfrageausfall von annähernd zwei Billion US-Dollar ausgesetzt. Dieser Kaufkraftverlust macht natürlich auch vor Exportnationen nicht halt. Insgesamt braucht eine so gehandicapte Weltwirtschaft auch noch weniger Öl und Industriemetalle. Die Rohstoffbaisse nährt die Rohstoffbaisse.

Wann steigen die Rohstoffpreise wieder?
Die Aussichten für Rohstoffländer sind wenig hoffnungsvoll. Die Welt ersäuft in Öl. Das Ölpreiskartell Opec hat dieser preisdrückenden Entwicklung nichts entgegenzusetzen. Die Ölminister trafen sich zwar kürzlich in Wien. Aber ähnlich wie beim Wiener Kongress 1815 galt auch hier: Der Kongress hat nur getanzt, aber nicht entschieden. In puncto Drosselung der Förderquoten war man sich völlig einig, komplett uneinig zu sein. Früher war die Opec noch ein starker Hengst: 1973 und 1979 hatte man die Weltwirtschaft über zwei von ihr losgetretene Energiekrisen im Mark getroffen. Heute ist sie nur noch ein schüchterner Wallach. Angesichts der Ölpreisschwäche hat der Kampf um das wirtschaftliche Überleben den früheren Opec-Corpsgeist in einen Förderkrieg untereinander verwandelt. Jedes Land pumpt so viel es kann, um die knubbelige Konkurrenz über unattraktive Preise von den Märkten fernzuhalten, ähnlich wie Febreze üble Gerüche von Kleidern und Möbeln. Trotzdem gibt es keine positive Vision: Denn ab 2016 wird der Iran die bereits bestehende Ölflut zur Öl-Sintflut machen. Denn nach Konfliktbereinigung mit dem Westen will das Land endlich wieder zum big oil spender werden. Und auch Väterchen Putin wird die Ölpumpen Tag und Nacht rund um die Uhr laufen lassen, um irgendwie Geld in die klammen Kassen Russlands zu bringen.

Warum sollte der Ölpreis 2016 steigen?
Kann der Ölpreis überhaupt jemals wieder nachhaltig steigen? Ab der Marke von 60 Dollar pro Barrel wird es nämlich attraktiv, die unkonventionelle Ölfördermethode „Fracking“ zu betreiben, die in immer mehr Ländern als alternative Energieversorgung betrachtet wird. Im Übrigen ist Fracking noch eine junge Technologie, die noch kostensenkende Quantensprünge machen wird und damit zukünftig auch bei tieferen Ölpreisen an Attraktivität gewinnt. Trotz der Preisschwäche bei konventionellem Öl wird man sich diese Alternativmethode nicht kaputtmachen lassen, schon aus Gründen der Energieunabhängigkeit. Insgesamt liegt bei der Ölpreismarke um 60 ein massiver Widerstand. Grundsätzlich wird der technische Fortschritt Öl, aber auch Gas immer mehr ersetzbar machen. Der Heizungsinstallateur meines Vertrauens betont immer wieder, dass es auf absehbare Zeit auch Heizungsanlagen auf Basis von Brennstoffzellen geben wird.

Vor diesem Hintergrund prophezeien einige Ölpreis-Versteher sogar Preise von 20 US-Dollar. Diese Prognose halte ich zwar genauso übertrieben wie die 200er-Marke von 2008. Interessanterweise kommen sie von den gleichen Adressen. Dann würden viele Bohrlöcher - konventionelle und unkonventionelle - aus Kostengründen massenhaft zugemacht. Marktanteilsicherung wird irgendwann der Verlustvermeidung untergeordnet. Dennoch, insgesamt haben Ölpreise ihren konjunkturellen Schrecken verloren. Energiekrisen mit massiv steigenden Ölpreisen wird es nicht mehr geben.

Der Blick auf die Terminmärkte unterstützt diese Einschätzung. Die spekulativen Netto-Long Positionen sind seit Mitte 2014 im Trend gefallen.

Welchen Einfluss hat die Währung?
Es stellt sich die Frage, ob sich eine aufgrund divergierender Geldpolitiken in den USA und in der Eurozone abwertende Gemeinschaftswährung der Rohstoffschwäche zumindest auf Euro-Basis entgegenwirken kann. Nein, offensichtlich hat selbst die seit 2014 zu beobachtende Euro-Schwäche die Rohstoffpreise nicht stützen können. Und sollte der Euro nächstes Jahr Richtung Parität zum US-Dollar gehen, wird auch das Rohstoffe nicht wirklich retten.

Und die Moral von der Anlage-Geschicht‘, Rohstoffe braucht man auch 2016 eher nicht
Rohstoffe als nachhaltige Investments sind also mit Risiken behaftet. Aber als Spekulationsobjekte und im Trading sind sie bestens geeignet. Ihre Volatilitäten dürften zunehmen.

Liebe langfristig orientierte Rohstoff-Freunde, grämen sie sich dennoch nicht. Es gibt ja Ersatzbefriedigungen. Immerhin wirken sich sinkende Rohstoffpreise für die Industriegesellschaften wie Zins- und Steuersenkungen gleichzeitig aus. Sie erhöhen die Margen der Unternehmen und die Kaufkraft der Konsumenten. Beides kommt den Aktienmärkten umsatz- und gewinnseitig zugute. Aktien werden daher 2016 nicht nur durch den „Evergreen“ der Liquiditätshausse, sondern auch immer mehr durch fundamentale Musik bei Laune gehalten.

Da geht man als Rohstoffanleger doch gerne fremd. Und das noch nicht einmal mit schlechtem Gewissen.

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