Kommentar
11:24 Uhr, 06.06.2014

EM: Bessere Wachstumsaussichten oder nicht?

Seit März 2014 haben die Aktienmärkte der Emerging Markets um zehn Prozent zugelegt. Diese kräftige Rally könnte durchaus bessere Wachstumsaussichten bedeuten, für uns damit Anlass, unsere vorsichtigen Wachstumsannahmen für die aufstrebenden Märkte zu überprüfen. Derzeit liegt die durchschnittliche Wachstumsrate bei 5 Prozent und ist somit nur gut halb so hoch wie die Rate von 2010. Vor diesem Hintergrund erwarten wir einen weiteren Rückgang der Wachstumsentwicklung in den aufstrebenden Volkswirtschaften auf vier Prozent bis Anfang 2015. Das Nachlassen der Wachstumsdynamik ist vor allem auf drei Faktoren zurückzuführen: die Verschlechterung des Investitionsklimas und der Wettbewerbsposition der meisten Emerging Markets, die allmähliche geldpolitische Normalisierung in der entwickelten Welt sowie die anhaltende konjunkturelle Abkühlung in China.

Der Höhenflug der EM-Aktienmärkte in den vergangenen Monaten lässt sich durch eine – zumindest als solche wahrgenommene – Verbesserung der ersten beiden Faktoren erklären, trotz der schlechteren Konjunkturaussichten für China.

Das Wachstumspotenzial der meisten Emerging Markets ist in den letzten paar Jahren erheblich gesunken. Die Gründe: starker Anstieg der Löhne und der realen Wechselkurse, zunehmende Rolle der Regierung in der Wirtschaft sowie wachsender steuerlicher und regulatorischer Druck. All diese Faktoren schwächen die Wettbewerbsposition und trüben das Investitionsklima. Dieser Abwärtstrend lässt sich vor allem in Brasilien und Indien beobachten. Tatsächlich ist es sogar der Erfolg des chinesischen Wachstumsmodells, der die politisch Verantwortlichen in die Irre geführt hat. Eine Stärkung des Wachstumspotenzials erfordert jetzt eine umfassende wirtschaftspolitische Korrektur, die allerdings nichts mit dem interventionistischen Modell gemein hat.

In den vergangenen Monaten mehrte sich bei Anlegern die Hoffnung, bei den diesjährigen Wahlen in Indien, Indonesien und Brasilien könnten sich reformfreudige Kräfte durchsetzen. Das könnte die gegenwärtige Negativspirale an den aufstrebenden Märkten stoppen und die Wachstumsperspektiven stärken. Bislang hat sich dieser Optimismus nur im Hinblick auf den erfreulichen Wahlausgang in Indien bestätigt. Was die beiden anderen Länder betrifft, heißt es weiterhoffen. Es wäre daher verfrüht, von einem neuen positiven Trend an den Emerging Markets zu sprechen.

Die USA sind zu einer Normalisierung ihrer Geldpolitik übergegangen. Angesichts der soliden Wachstumszahlen in den USA kann man wohl von einer Fortsetzung des Tapering ausgehen. Bereits im nächsten Jahr dürften die Zinsen dann wieder steigen. Das würde zu anhaltendem Druck auf den Kapitalfluss in die aufstrebende Welt führen. Gleichwohl kam es in den vergangenen Monaten zu einer deutlichen Erholung der EM-Carry-Trades. Dies lag in erster Linie an der zunehmenden Erwartung, die EZB werde den Leitzins weiter senken. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheint die Erwartung weiterer Zinsschritte indes etwas überzogen. Der Kapitalfluss in die Emerging Markets bleibt anfällig.

Und dann ist da ja noch China. Hier setzt sich die konjunkturelle Abkühlung fort. Die jüngsten Daten vom chinesischen Immobilienmarkt deuten auf eine starke Korrektur hin. Auch dadurch steigt der Abwärtsdruck auf das Wirtschaftswachstum und somit das Risiko einer Systemkrise. Insgesamt trüben sich die Aussichten der chinesischen Wirtschaft zunehmend ein. In Anbetracht der großen Bedeutung, die die chinesische Nachfrage für die gesamte aufstrebende Welt hat, sollte man die jüngste Rally an den EM-Aktienmärkten gerade aus diesem Grund nicht zu optimistisch beurteilen.

Autor: Maarten-Jan Bakkum, Senior Emerging Markets Stratege Aktien, ING Investement Management International

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