Kommentar
08:26 Uhr, 04.04.2013

Die Angst vor dem Blutbad an den Kapitalmärkten

  • Jeder weiß, dass die Zinsen zu niedrig sind und dass sie auf Dauer erhöht werden müs­sen.
  • Ein Umschalten der Geldpolitik steht jedoch noch nicht so bald an. Es muss sich auch nicht so negativ auf die Märkte auswirken, wie viele das erwarten.
  • Voraussetzung ist, dass die Zentralbanken ihre Politik gut erklären und die Erwartungen stabilisieren.

Könnte es an den Kapitalmärkten ein Blutbad geben? Die kurzfristigen Zinsen sind fast bei Null. Die Renditen für langlaufende Staatsanleihen liegen in Deutschland gerade etwas über 1 %, in den USA bei knapp 2 %. Das sind ungesunde Verhältnisse, die auf Dauer so nicht an­halten können. In den USA reden immer mehr Mitglieder des Boards der Zentralbank davon, dass die Geldpolitik zu locker ist und die monetären Zügel angezogen wer­den sollten. Manch ein Anleger fürchtet, dass in einem solchen Fall die Anleihemärkte zusammenbrechen und die Aktien in den Keller gehen könnten. Muss man sich auf ein solches Szenario vorbereiten?

Zunächst sollte man die Kirche im Dorf lassen. Selbst wenn es zu einer Umkehr der Geldpolitik kommt, wird dies nicht so bald sein. Die Inflationsrate liegt in den USA bei 2 %, in Europa bei 1,7 %. Das ist praktisch Stabilität. Die Arbeitslosigkeit ist in den USA in den letzten Monaten zwar gesunken (derzeit 7,7 %). Sie ist aber noch weit von dem Wert entfernt, den die amerikanische Notenbank als Schwelle für ein Ende der lockeren Geld­politik definiert hat (6,5 %). Selbst wenn sich die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt so wie in den letzten sechs Monaten fortsetzt, würde es bis zum zweiten Halbjahr 2014 dauern, bis der kritische Wert erreicht ist. Die Anle­ger haben also noch Zeit.

Aber natürlich muss man fragen: Was ist dann? Ich ha­be mir dazu einmal die letzte größere Restriktionsperio­de in den USA und in Europa angesehen. In den Verei­nigten Staaten sind die Leitzinsen von Mitte 2004 von damals 1 % in 17 Schritten auf 5,25 % angehoben wor­den (siehe Grafik). Alle sechs Wochen gab es einen Zinsschritt. Das war starker Tobak.

Und was ist an den Märkten geschehen? Fast nichts. Die Renditen für 10-jährige Staatspapiere haben sich
bis zum Ende der Zinserhöhungsphase von 4,9 % auf 5,2 % erhöht. Die Zinsstruktur ist allerdings erheblich ge­schrumpft. Die Differenz zwischen 3-Monatsgeld und 10-Jahresrenditen lag zu Beginn bei drei Prozentpunkten. Am Ende war sie sogar negativ. Die Zinsstruktur war in­vers.

Am US-Aktienmarkt war das Bild ähnlich. In den ersten Monaten reagierte der Dow etwas nervös. Am Ende no­tier­te er sogar etwas höher als zu Beginn der Restrik­tion.

In Europa war die Zinserhöhung nicht ganz so krass.
Die EZB hob den Satz für die Hauptrefinanzierungsge­schäf­te lediglich in sieben Schritten von 2 % auf 3,75 % an. Die Wirkung auf die Märkte war jedoch ähnlich wie in den USA. Die Zinsen für 10-jährige Bundesanleihen stie­gen zwar um gut einen halben Prozentpunkt an. Sie wa­ren in den Monaten zuvor jedoch um einen ähnlichen Betrag zu­rückgegangen. Der deutsche Aktienmarkt rea­gierte so­gar ausgesprochen positiv. Der DAX stieg von Ende 2005 (als die EZB den ersten Schritt nach oben machte) bis März 2007 (als die Phase zu Ende ging) ins­gesamt um 28 %. Wer hätte sich das vorstellen können? Die Geld­politik zieht die Zügel an und die Märkte reagie­ren so positiv.

Ich erinnere mich noch gut an die Diskussion im Vorfeld dieser Phase. In den USA herrschte damals große Ner­vo­sität. Die Notenbank wollte alles andere als einen Crash riskieren. Andererseits ging die Preissteigerung nach oben und die Konjunktur lief heißer, so dass die Federal Reserve handeln musste. Sie bereitete die Märk­­te intensiv auf bevorstehende Änderungen vor. Im Juni 2004 wagte sie eine erste Erhöhung der Leitzinsen um einen viertel Prozentpunkt. Als die Märkte darauf nicht negativ reagierten, fiel allen ein Stein vom Herzen. Sechs Wochen später riskierte der damalige Vorsitzen­de der Fed, Alan Greenspan, einen zweiten Schritt. Und so ging es dann in kleinen Dosen immer weiter nach oben. Am Schluss hatten sich dann alle so daran ge­wöhnt, dass die Zinserhöhungen kaum mehr zur Kennt­nis genommen wurden.

In Europa war das Ganze nicht so dramatisch. Zum ei­nen begann die EZB ihre Restriktion erst gut eineinhalb Jahre später. Da gab es schon die amerikanischen Er­fah­­rungen. Zum anderen waren ihre Zinsen nicht ganz so niedrig und mussten daher auch nicht in demselben Maß erhöht werden.

Wie erklärt sich die maßvolle Reaktion der Märkte? Ent­scheidend war die gute Kommunikation der Geldpolitik. Die Notenbanken schafften es, den Märkten klarzuma­chen, dass sie selbst nicht an einer Dr. Eisenbarth-Kur interessiert waren. Sie begründeten die Notwendigkeit der Zinserhöhung und wiesen darauf hin, dass die Märk­te dadurch auf eine solidere Basis gestellt würden. Die Gefahren einer steigenden Inflation und einer Überhit­zung der Konjunktur (an der auch die Märkte kein Inte­resse haben) würden geringer. Die Notenbanken hatten dabei auch von den Erfahrungen der Restriktionspolitik 1994 gelernt. Damals hatten die Märkte nicht ganz so gelassen reagiert, weil die Maßnahmen nicht so gut kom­muniziert worden waren.

Für den Anleger

Es gibt keinen Grund, jetzt nervös über ein Ende der restriktiven Geldpolitik zu räsonieren. Zum einen ist es bis dahin noch weit hin. In Europa könnte es vorher so­gar erst noch zu einer Zinssenkung kommen. Zum an­deren werden die Notenbanken, wenn es so weit ist, sehr vorsichtig vorgehen. Sie werden keineswegs mit dem Holzhammer kommen. Andererseits sollte man historische Vergleiche nicht überstrapazieren. Ganz so harmlos wie damals würde es diesmal nicht abgehen. Zum einen sind die Leitzinsen wesentlich niedriger und die Liquidität erheblich höher als damals. Zum anderen sind die langfristigen Renditen so niedrig, dass sie im Zuge einer Restriktion wenigstens um zwei oder drei Prozentpunkte steigen müssten.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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