Kommentar
17:38 Uhr, 06.03.2014

Demographische Probleme mit Verspätung

  • Anders als erwartet nimmt die Bevölkerung in Deutschland derzeit nicht ab, sondern kräftig zu.
  • Die Entwicklung resultiert allein aus der Zu­wanderung. Das ist kein sicheres Ruhekis­sen für die Zukunft.
  • Nutznießer des Bevölkerungswachstums sind die Finanzen der Sozialversicherung. Das ist aber ein "Ponzi"-Spiel.

Vor Kurzem sah ich im Sozialbericht der Bundesregie­rung eine Grafik, die mich stutzig machte. Jeder redet über die demographischen Belastungen, unter denen Deutschland leidet. Die Menschen werden älter. Die Gesamtzahl der Bevölkerung geht zurück. Das verrin­gert das gesamtwirtschaftliche Wachstum, führt zu Knappheit am Arbeitsmarkt und wirft Probleme bei der Finanzierung der Sozialversicherung auf.

Wenn man sich die Zahlen jedoch genauer anschaut, dann sieht das Bild gar nicht so dramatisch aus (siehe Grafik). Im Gegenteil. Seit nunmehr drei Jahren geht
die Zahl der Einwohner in Deutschland nämlich nicht zurück. Sie steigt vielmehr deutlich an. Von 2011 bis 2013 hat sie sich um 600.000 = 0,7 % erhöht. Allein im vergangenen Jahr sind nach Schätzungen des Statisti­schen Bundesamtes 300.000 Menschen dazu gekom­men.

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Natürlich sterben in Deutschland immer noch mehr Men­schen als Kinder geboren werden. Daran hat sich auch durch die zahlreichen Maßnahmen zur Förderung junger Familien in den letzten Jahren nichts geändert. Im Ge­genteil, das Geburtendefizit ist kontinuierlich größer ge­worden. Es betrug im Jahr 2012 rund 200.000. Das war der höchste Stand seit der Wiedervereinigung.

Wo sich die Lage jedoch verändert hat, ist bei den Wan­derungen. Im Jahr 2012 sind per Saldo rund 400.000 Menschen aus dem Ausland nach Deutschland gezo­gen. So viel waren es seit den Jahren der Wiederverei­nigung nicht mehr (als es die hohen Zuzüge aus Russ­land und Osteuropa gab).

Was ergibt sich nun aus dem veränderten demographi­schen Bild für Wirtschaft und Finanzmärkte? Zunächst sollte man mit zu weitreichenden Schlussfolgerungen vorsichtig sein. Die Grafik zeigt, dass die Wanderungen keineswegs eine verlässliche Komponente sind. Anders als die Geburtenüberschüsse gehen sie mal hoch und mal runter. Auch der jetzige Anstieg dürfte nicht ewig so weitergehen.

Was das Wirtschaftswachstum betrifft, sind die oft be­klagten negativen Auswirkungen der Demographie zu­mindest derzeit nicht zu erkennen. Die Konjunktur wird durch die Bevölkerungsentwicklung nicht beeinträchtigt. Sie bekommt vielmehr zusätzliche Impulse. Im vergan­genen Jahr war die Bevölkerung der wichtigste Wachs­tumstreiber. Sie erhöhte sich um 0,3 %, das Sozialpro­dukt um 0,4 %.

Das gilt insgesamt gesehen auch für den Arbeitsmarkt. Es gibt – noch – keine Knappheit an Arbeitskräften, weil immer mehr dazu kommen. Allerdings muss man hier natürlich das unterschiedliche Qualifikationsniveau be­rücksichtigen. Das, was von den Unternehmen ge­braucht wird und das, was von den Zuwanderern ange­boten wird, fällt nicht zwangsläufig zusammen. Vor al­lem der Facharbeitermangel kann nicht oder jedenfalls nicht zum größten Teil durch Migranten behoben wer­den.

Die großen Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Sozialversicherung, die sich aus der Demographie erge­ben sollten, sind derzeit ebenfalls nicht da. Die Große Koalition kann ihre finanziellen Versprechen bei der "Rente mit 63" und der erweiterten Mütterrente realisie­ren, ohne dazu die Beiträge oder die Steuern zu erhö­hen. Damit hatte niemand gerechnet. Das lag daran, dass wir den Zuwachs der Bevölkerung nicht im Kopf hatten.

Auf Dauer ist das aber nur durchhaltbar, wenn die Zu­wanderung hoch bleibt. Wenn immer mehr Beitragszah­ler aus dem Ausland dazu kommen, dann hat die Sozial­versicherung genügend Geld, um die bestehenden Leis­tungen zu bezahlen und auch neue Leistungen zu be­schließen. Das ist aber nur das bekannte "Ponzi-Sys­tem", benannt nach dem italienischen Anlagebetrüger Charles Ponzi vor 100 Jahren. Er bezahlte damals die Zinsen auf die von ihm ausgegebenen Schuldverschrei­bungen aus den Mittelzuflüssen neuer Kunden. Das funktionierte aber nur so lange, wie es immer wieder neue Zuflüsse gab. In dem Augenblick, in dem der Zu­fluss stagniert beziehungsweise zurückgeht, kommt das System in die Bredouille. Charles Ponzi ging damals pleite. Die Sozialversicherung wird die Beiträge erhöhen müssen oder braucht Steuerzuschüsse.

Das hat Konsequenzen für die Politik. Sicher ist nichts dagegen zu sagen, die Finanzierung der Sozialversiche­rung auch auf den Beiträgen der Zuwanderer zu basie­ren. Man darf aber nicht gleichzeitig die hohe Zahl der Zuwanderer kritisieren und versuchen, die Migration ein­zudämmen, wie das in manchen Kreisen derzeit getan wird. Beides widerspricht sich. Entweder man akzeptiert die Zuwanderung. Dann hat die Sozialversicherung Geld. Oder man akzeptiert sie nicht. Dann müssen aber auch die Leistungen eingeschränkt werden. Ich habe das Gefühl, dass das in der deutschen Politik nicht im­mer ganz verstanden wird. Im Englischen sagt man:
You can't have the cake and eat it – Man kann sich nicht über den Kuchen freuen und ihn gleichzeitig essen.

Für den Anleger

Verschieben Sie die Sorgen über die Belastungen, die von der Demographie für die Kapitalmärkte ausgehen. Sie sind derzeit noch nicht gerechtfertigt. Es gibt noch keine demographisch bedingte Knappheit an Anlagemit­teln. Das kann und wird sich aber ändern, wenn die Zu­wanderung eines Tages geringer wird. Verschieben Sie jedoch in keinem Fall die eigene Altersvorsorge im Ver­trauen auf anhaltend großzügige Rentenversprechungen der Sozialpolitiker

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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1 Kommentar

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  • okont
    okont

    Ich denke, es wird nicht die zu hohe Anzahl der Zuwanderer, sondern die hohe Anzahl der "falschen" Zuwanderer kritisiert. Zuwanderung bringt nicht per se Geld für die Sozialversicherung, nur wenn die Zuwanderer auch Beitragszahler werden. Das scheint aktuell nicht gegeben. Zuwanderung von Menschen, die Leistungen aus dem Sozialsystem beziehen, sprengen irgendwann diese Systeme. Und das kann unmöglich toleriert werden. I. K.

    17:53 Uhr, 06.03.2014