Kommentar
16:15 Uhr, 29.05.2013

Das Gespenst der Umschuldung

  • Es wird wieder darüber gesprochen, dass die Krisenländer des Euros einen Schuldenerlass brauchen, um auf die Beine zu kommen.
  • Das ist gefährlich. Eine Umschuldung nutzt weder Gläubigern noch Schuldnern. Sie würde der Reputation des Euroraums auf den Weltmärkten erheblich schaden.
  • Die Erfahrung der Vereinigten Staaten in den letzten zwei Jahren zeigt, dass mehr Wachstum durch Reformen (und nicht durch höhere Defizite) der bessere Weg ist.

Die Stimmung in der Eurokrise schwankt hin und her. Mal überwiegt die Freude über die beginnenden Erfolge der Konsolidierungs- und Reformpolitik, die es tatsächlich gibt. In Athen sind die Aktienkurse in den letzten zwei Monaten um 25 % gestiegen. Die Rating-Agentur Fitch hat die Bonität der griechischen Staatsanleihen hochgestuft. Mal wächst unter dem Eindruck von Rezession und Arbeitslosigkeit die Ungeduld. Es machen sich Zweifel breit, ob es überhaupt gelingen kann, die Krise in vertretbarer Zeit zu überwinden.

Was mich beunruhigt ist, dass zunehmend wieder Forderungen nach einem Schuldenschnitt erhoben werden. Der Internationale Währungsfonds hat jetzt eine Studie veröffentlicht, in der er mehr und schnellere Schuldenschnitte befürwortet. Der Chef der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, der schon einmal etwas aus den Sitzungen ausplauderte, sprach in einem Interview von der Möglichkeit eines neuen Schuldenerlasses. Der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW, Clemens Fuest, meinte letzte Woche, dass Europa nicht um Schuldenschnitte herumkomme.

Könnte es sein, dass wir vor neuerlichen Schuldenschnitten stehen?

Ausgeschlossen ist es nicht. Selbst wenn die Reformmaßnahmen greifen (und Frankreich aus seiner Lethargie herauskommt), weiß jeder, dass der Weg aus den hohen privaten und öffentlichen Schulden in Euroland noch sehr lang ist. Ein Schuldenschnitt könnte – so die Befürworter – die Chance zu einem schnelleren Neuanfang bieten. Zunehmend hört man auch das Argument, die hohen Schulden seien letztlich "nur" ein Verteilungsproblem. Einige wenige Gläubiger stünden der großen Masse der Steuerzahler gegenüber. Da läge es in ei-
ner Demokratie eigentlich nahe, durch einen Schuldenschnitt für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.

Ich halte diese Diskussion für kontraproduktiv. Ein Schuldenschnitt ist keine Lösung für die Eurokrise. Man sollte sich daher noch einmal die Argumente dagegen in Erinnerung rufen.

Erstens zeigt die Geschichte, dass solche Maßnahmen keineswegs ein Befreiungsschlag waren. Der letzte Schuldenschnitt für Griechenland im März 2012 brachte mehr Probleme als Lösungen.

Zweitens schneiden sich Länder, deren Schulden erlassen werden, über Jahre den Zugang zu den Kapitalmärkten ab. Beim Staatsbankrott Griechenlands 1832 konnte das Land erst 30 Jahre später wieder Kredite aufnehmen. Heute dauert es freilich nicht mehr ganz so lang.

Drittens machen Gläubiger, wenn sie einem Schuldenschnitt zustimmen sollen, meist strenge Auflagen für die Wirtschaftspolitik der Staaten. Die Alternative lautet also nicht "Freiheit oder Schulden", sondern "Auflagen oder Schulden". Ob die Auflagen am Ende einfacher zu erfüllen sind, ist fraglich.

Viertens wird die Kreditversorgung der Unternehmen schwieriger. Die inländischen Banken können nicht mehr so viel ausleihen, weil sie einen Teil ihres Eigenkapitals verlieren. Zudem brauchen sie Hilfe vom Staat. Damit geht ein Teil des Freiraums, den die öffentliche Hand erreichen wollte, wieder verloren. Der Schuldenschnitt Griechenlands war ein Grund für die Schwierigkeiten Zyperns Anfang dieses Jahres.

Fünftens ist ein Schuldenerlass ein Einschnitt in die Altersversorgung. Denn einer der wichtigsten Gläubiger in einer Volkswirtschaft sind nun einmal Pensionskassen. Ihre Leistungsfähigkeit kann bei Verlust ihrer Forderungen nur wiederhergestellt werden, wenn die Leistungen gekürzt, die Prämien erhöht oder die Zuschüsse vom Staat aufgestockt werden.

All das zeigt, dass ein Schuldenerlass auch für den Begünstigten kein "Free Lunch" ist. Für alle Beteiligten besser und nachhaltiger ist es, Wachstum zu generieren und auf diese Weise aus den Schulden herauszukommen. Dazu bedarf es nicht mehr öffentlicher Defizite (wie sie jetzt erlaubt werden sollen), sondern konsequenter Reformmaßnahmen (Privatisierung, Öffnung der Märk-te, Abbau restriktiver Kündigungsvorschriften, um auch Jugendlichen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen etc.). Der Reformelan in Europa ist zum Stillstand gekommen, leider auch in Deutschland.

Wachstum im privaten Sektor ist es, auf was die USA nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzt haben, als sie binnen 20 Jahren die Schuldenquote von 120 % auf unter 40 % senkten. Sie tun das auch jetzt wieder. Durch die Sparmaßnahmen zu Beginn des Jahres (Erhöhung der Steuern, Kürzung der Ausgaben) ist es gelungen, die Defizitquote seit 2011 überraschend schnell von 8,6 % auf 4 % zu halbieren (siehe Grafik) und trotzdem die Arbeitslosigkeit zu verringern. Die USA haben nicht über Austerität geredet, sie haben sie gemacht. Vor allem haben sie erreicht, dass Banken und Industrie wieder wettbewerbsfähig wurden.

Für den Anleger

Noch steht ein Schuldenschnitt in einem der Krisenländer der Währungsunion glücklicherweise nicht unmittelbar bevor. Mein Rat bleibt nach wie vor, in diesen Staaten in Aktien oder in Anleihen zu investieren, um von der Überwindung der Schwierigkeiten zu profitieren. Verfolgen Sie die Debatte über einen Schuldenschnitt aber aufmerksam. Ausschließen kann man eine solche Maßnahme nicht.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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