Kommentar
15:56 Uhr, 30.03.2016

Chaos auf den Weltaktienmärkten

  • Die weltweiten Aktienmärkte haben sich in einem Maße von den zugrundeliegen­den Fundamentalfaktoren gelöst wie schon lange nicht mehr.
  • Solche Phasen sind nicht ungefährlich. Sie signalisieren Orientierungslosigkeit der Investoren.
  • Anleger sollten sich derzeit auch Schwellen- und Entwicklungsländer anschauen.

Wenn man sich die Finanzmärkte mit der Brille des Volks­wirtes anschaut, so scheint das Anlageuniversum klar zu sein. Die Welt ist zweigeteilt. Die Industrieländer stehen recht ordentlich da. Sie wachsen weiter, wenn auch nicht mehr so stark wie im vorigen Jahr. Die monetären Bedin­gungen sind gut. Da müsste man getrost investieren kön­nen. Auf der anderen Seite sollten sich Anleger in Schwel­len- und Entwicklungsländern eher zurückhalten. Das Wachstum in dieser Region schwächt sich ab. Es gibt zum Teil erhebliche politische Probleme. Die Zentralbanken müssen die Zinsen hochhalten, um die Inflation zu bekämp­fen und den Wechselkurs zu stabilisieren. Das ist kein gutes Umfeld für die Börsen.

So die Sicht des Volkswirtes. Schaut man sich aber die tatsächliche Entwicklung der Börsen an, so stellt sich die Lage ganz anders dar. In der Grafik habe ich die Entwick­lung der Aktienkurse seit Jahresbeginn aufgezeigt. Daraus geht hervor, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer die Industriestaaten in Sachen Aktien-Performance weit abhängen. Die Aktienkurse stiegen hier in den letzten drei Monaten zum Teil stark an. In den Industriestaaten überwo­gen in dieser Zeit dagegen die Minuszeichen. Das passt nicht zusammen.

Verkehrte Aktienwelt
Veränderung der Aktienindizes seit Jahresbeginn in %, lokale Währung

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Quelle: Economist

Auch wenn man sich die Struktur innerhalb der einzelnen Ländergruppen anschaut, zeigen sich viele Ungereimthei­ten. Nehmen Sie Brasilien. Das Land steckt in einer tiefen Rezession. Es gibt soziale Unruhen. Die Staatspräsidentin droht abgesetzt zu werden. Und der Aktienindex Bovespa? Er hat seit Jahresbeginn um 18 % zugelegt. Oder Russland. Es leidet unter den niedrigen Ölpreisen und den Sanktionen des Westens. Die reale Wirtschaftsleistung geht stark zu­rück. Gleichwohl hat der Aktienindex RTS um 8 % zugelegt. Ähnlich in Venezuela mit einem Plus von 2 %.

Verglichen mit diesen Ländern geht es China fundamental gesehen nach wie vor "gold". Das Wachstum schwächt sich hier zwar ab, es liegt aber immer noch bei über 6 %. Trotz­dem steigen die Aktienkurse nicht an, sondern sind seit Jah­resbeginn um 15 % gefallen. Auch in Indien gingen die Kur­se zurück, obwohl das Land in punkto Wachstum, Reformen und politischer Stabilität wesentlich besser dasteht als viele Staaten der Dritten Welt.

»Wenn die Unterschiede zwischen Fundamentaldaten und Marktentwicklungen aber so groß werden, wie sie sich derzeit darstellen, muss man aufpassen.«

Das einzige Schwellenland, in dem die Aktienmärkte das fundamentale Bild einigermaßen korrekt widerspiegeln, ist Argentinien. Hier hat zu Jahresbeginn ein neuer Staatsprä­sident sein Amt angetreten. Er will das Land reformieren und nach den Turbulenzen der letzten Jahre wieder in die globale Wirtschaft eingliedern. Die Börse hat das mit einem Plus von 11 % seit Anfang Januar honoriert.

In den Industrieländern ist der Unterschied zwischen den Fundamentalfaktoren und dem tatsächlichen Geschehen an den Märkten nicht ganz so krass. Aber richtig in Ordnung ist es auch nicht. Schauen Sie sich die Verhältnisse diesseits und jenseits des Atlantiks an. Eigentlich müssten sich die Börsen in Europa wegen der lockeren Geldpolitik besser entwickeln als in den USA. Die EZB hat zuletzt beschlos­sen, die Liquidität noch einmal kräftig aufzustocken. Umge­kehrt ist die Federal Reserve dabei, die Zinsen zu erhöhen. Trotzdem hat sich der EURO STOXX 50 mit minus 6 % we­sentlich schlechter entwickelt als der Dow Jones (plus 1 %).

Allein in Japan passen die volkswirtschaftlichen Verhältnis­se zu der Entwicklung der Märkte. Das Wachstum kommt nicht in Fahrt. Die Preise bleiben trotz ultralockerer Geldpo­litik im Tief. Die Aufwertung des Yen knabbert an den Ge­winnen der Unternehmen. Folgerichtig ist der Nikkei-Index um 10 % zurückgegangen.

Nun sind Unterschiede zwischen den volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der tatsächlichen Entwicklung der Märkte nichts Neues. Man kann Fundamentaldaten nicht 1:1 in Marktentwicklungen übersetzen. Das gilt vor allem dann, wenn man so kurze Zeiträume vergleicht wie die letz­ten drei Monate. Solche Diskrepanzen können viele Gründe haben. Da spielt die unterschiedliche Liquidität der Märkte eine Rolle ebenso wie verschiedene Wirtschaftsstrukturen. Schwellen- und Entwicklungsländer sind in der Regel stär­ker von den Rohstoffpreisen abhängig. Es kann auch daran liegen, dass sich die Märkte in unterschiedlichen Phasen befinden. Der russische RTS beispielsweise hat in den letz­ten fünf Jahren 50 % verloren, der amerikanische Dow Jones dagegen 40 % gewonnen. Das sind natürlich ganz andere Investitionsbedingungen.

Wenn die Unterschiede zwischen Fundamentaldaten und Marktentwicklungen aber so groß werden, wie sie sich der­zeit darstellen, muss man aufpassen. Es ist ein Zeichen da­für, dass es den Märkten an Orientierung fehlt. Investoren wissen nicht, wohin die Reise geht. Sie verlegen sich daher auf kurzfristige Strategien. Dabei kommen Titel der Schwel­len- und Entwicklungsländer wegen des insgesamt niedrige­ren Kursniveaus derzeit zwangsläufig besser weg. Phasen der Unsicherheit sind daher immer auch Zeiten, wo es grö­ßere Bewegungen auf einzelnen Märkten geben kann.

Für den Anleger

Die Diskrepanz zwischen Fundamentalfaktoren und Markt­entwicklung ist ein Warnzeichen. Wenn den Märkten der Kompass fehlt, schichten die Anleger häufiger um und es kann zu größeren Schwankungen kommen. Wenn Sie in diesen Zeiten investieren, sollten Sie nicht nur auf die volks­wirtschaftlichen Daten achten. Legen Sie daher nicht nur in Industriestaaten an. Schauen Sie daneben auch auf die Schwellen- und Entwicklungsländer. Dort kann es für kurz­fristig orientierte Investoren zu interessanten Konstellatio­nen kommen. Schließlich erneut mein allgemeines Credo: Streuen Sie Ihre Anlagen regional, um Risiken zu vermei­den.

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  • tschaki
    tschaki

    Darf ich als Anleger eine Frage an einen Ökonomen stellen? Seit wann investieren sie direkt in Aktien? Schon der grosse Kosto sagte: Wenn die Ökonomen es nicht tun würden, dann kaufe Du Aktien. Der erfahrene Investor weiss: Man investiert nicht, wenn Brasilien boomt, sondern wenn dad Land noch dahinkriecht. Ist schon seit Dekaden so, dass man eher dann kauft, wenn Märkte am Boden liegen, als wenn sie von ATH zu ATH eilen. Praxis vs. Theorie. Kurs-Buchwert gibt eine Idee, wo ein Index steht. Hat auch viel mit Psycholgie und zurückgehaltenen Investitionen zu tun. Lg aus Wien. p.s. Makro und Geldpolitik waren meine Lieblibgsfächer auf der Uni ;-)

    08:32 Uhr, 31.03.2016