Kommentar
11:34 Uhr, 24.06.2014

Brasilien als WM-Land – eine unglückliche Wahl

Es bringt Risiken mit sich, eine Fußballweltmeisterschaft in einem Land auszutragen, das sich mitten in einer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise befindet. In den vergangenen Jahren haben nicht nur die FIFA, sondern insbesondere auch die brasilianischen Behörden diese Risiken deutlich unterschätzt. Nachdem die WM nun begonnen hat und vor allem Streiks und Unruhen Schlagzeilen machen, ist die Spannung deutlich spürbar. Und an den Gesichtern von Sepp Blatter und Dilma Rousseff war sie auch während des Eröffnungsspiels zwischen Brasilien und Kroatien klar abzulesen.

Brasilien konnte es sich nicht leisten, das Eröffnungsspiel zu verlieren. Die Risiken für die WM, das Management der FIFA und die politische Zukunft von Präsidentin Dilma Rousseff waren schlicht zu hoch. Aber es war sehr unglücklich, dass für Brasiliens Sieg drei umstrittene Schiedsrichterentscheidungen notwendig waren.

Nachdem nun wohl nicht mehr mit einem frühen Ausscheiden Brasiliens aus der WM zu rechnen ist, könnte die Fußballbegeisterung die soziale Unzufriedenheit etwas in den Hintergrund treten lassen. Dies ist ganz wichtig für Präsidentin Rousseff, die im Oktober wiedergewählt werden möchte. Eine chaotische WM, mit einer gescheiterten brasilianischen National-Elf, könnte der ohnehin schwächelnden Wahlkampagne der Amtsinhaberin den Todesstoß versetzen.

Präsidentin Rousseffs Popularität ist in den vergangenen Monaten spürbar gesunken - trotz zahlreicher Subventionspläne und Steuererleichterungen, von denen große Teile der brasilianischen Bevölkerung profitiert haben. Und trotz der Anhebung des Mindestlohns um 33% in ihrer Amtszeit. Die Präsidentin war noch nie wirklich populär – aber jetzt, da sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt und insgesamt nach Jahren mit kräftigen Beschäftigungszuwächsen Stellen abgebaut werden, verliert sie gegenüber der Opposition deutlich an Boden.

Bis Oktober wird es Rousseff nicht gelingen, das Ruder in der Wirtschaft herumzureißen. Dafür ist das Investitionsklima im Land zu ungünstig und die Nachfrage nach brasilianischen Produkten im Ausland zu schwach. Ihre Hoffnungen auf eine Wiederwahl stützen sich vor allem darauf, dass ihr die niedrigsten Einkommensschichten die Treue halten – und darauf, dass die Fußballweltmeisterschaft günstig verläuft.

In der Zwischenzeit bringen sich die Anleger vorsichtig für einen möglichen Sieg der reformorientierten Opposition in Stellung. Aécio Neves, der wichtigste Oppositionskandidat, wird bei einem Wahlsieg einen ganz anderen Kurs in der Wirtschaftspolitik einschlagen. Er wird den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft verringern und versuchen, die strukturell hohen Inflationsraten und Zinssätze durch fiskalpolitische Reformen in den Griff zu bekommen. Ein Wahlsieg von Neves wäre eine gute Nachricht für das potenzielle BIP-Wachstum und die Unternehmensgewinne. Daraus ergeben sich Chancen für die Anleger – vor allem dann, wenn die Fußballweltmeisterschaft nicht der große Erfolg wird, auf den die Präsidentin so dringend hofft.

Holt aber das brasilianische Team den Weltmeistertitel und klingen die Unruhen in den Städten ein wenig ab, dann könnte dies günstig für Rousseffs Wahlkampagne sein, was wiederum die Chancen auf eine zweite Amtszeit der Präsidentin erhöhen würde. Das wäre für die brasilianische Wirtschaft und den brasilianischen Markt nicht gut. Die Bedeutung der Fußballweltmeisterschaft für Brasiliens Politik kann man gar nicht zu hoch einstufen. Wie die Wähler die Fußballweltmeisterschaft wahrnehmen, könnte entscheidend für den Ausgang der außerordentlich wichtigen Wahlen im Oktober sein.

Autor: Maarten-Jan Bakkum, globaler EM-Aktienstratege, ING Investment Management

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