Nachricht
14:37 Uhr, 03.09.2024

Berenberg: Deutschland stagniert 2024 - langfristig Hoffnung

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones) - Deutschlands Wirtschaft läuft seit einiger Zeit deutlich schlechter als die Wirtschaft der südlichen Länder des Euroraums. Nach Aussage von Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding liegt das einerseits an China, das weniger deutsche Waren kauft und Deutschland auf dem Weltmarkt zunehmend Konkurrenz macht. Andererseits sei der Privatkonsum schwächer als anderswo, weil die Beschäftigung in Deutschland kaum noch zunehme. "Langfristig mache ich mir aber nicht so viele Sorgen um die deutsche Wirtschaft", sagte Schmieding bei der Vorstellung aktueller Makro-Prognosen in Frankfurt.

Deutschlands preisbereinigte Wirtschaftsleistung wird nach Einschätzung von Berenberg 2024 kalenderbereinigt stagnieren und 2025 um 0,8 Prozent wachsen. Wie die Bank bei einem Prognose-Update mitteilte, werden für den Euroraum Wachstumsraten von 0,8 und 1,4 Prozent prognostiziert. "Innerhalb der Eurozone fällt auf, dass es einen großen Kontrast zwischen Deutschland und Südeuropa gibt. In Südeuropa läuft es deutlich besser als zu Jahresbeginn gedacht und in Deutschland läuft es kaum", sagte Schmieding.

Für den Euroraum rechnet er damit, dass der Konsum im Jahresverlauf einen stärkeren Wachstumsbeitrag leisten wird, weil der Konsum noch nicht so stark wachse wie dies die verfügbaren Einkommen täten. Schmieding geht zudem davon aus, dass der Rückgang der Gaspreise dem Konsum noch stärker stützen wird. Die Lage in der Industrie wird sich nach seiner Einschätzung noch weiter eintrüben.

Der Ökonom erwartet, dass die Zentralbanken zu beiden Seiten des Atlantiks mit Zinssenkungen reagieren werden. Den Einlagenzins der Europäischen Zentralbank (EZB) sieht er Ende 2024 bei 3,25 (derzeit: 3,75) Prozent und Mitte 2025 bei 2,75 Prozent. "Die EZB prognostiziert für 2026 eine Inflationsrate von 1,9 Prozent, wir sehen sie eher bei 2,4 Prozent. Wir hoffen, dass die EZB das rechtzeitig merkt und bei 2,75 Prozent aufhört", sagte er.

Tendenziell geht der Ökonom aber davon aus, dass die EZB eine Inflation von etwas über 2 Prozent tolerieren wird - nicht ausgesprochen, aber in der praktischen Umsetzung. Solange die Inflation nicht dauerhaft bei 2,5 Prozent liege, werde die EZB die Wirtschaft nicht mit immer neuen Zinserhöhungen abwürgen wollen.

Zurück zu Deutschland, um das Schmieding sich langfristig weniger Sorgen macht als kurzfristig - der Grund für seinen Optimismus: "Unser Mittelstand ist sehr anpassungsfähig. Die Frage ist, ob der Mittelstand bei uns vor Ort Arbeitsplätze schafft oder lieber woanders", sagte er.

Das wird nach seiner Aussage vor allem von der Wirtschaftspolitik abhängen, für die er ein paar Vorschlage hat: Zum Beispiel die Schuldenbremse lockern, die Behörden besser ausstatten - auch mit jüngeren Mitarbeitern -, eine pragmatischere Zuwanderungspolitik und die Zulassung von Fracking bei der Gewinnung von Kohlenwasserstoffen. Schmieding hofft, dass nach den Wahlen 2025 ein formierendes Mitte-rechts/Mitte-links-Bündnis sich zu einer Reform der Schuldenbremse verstehen wird.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

DJG/hab/apo

Copyright (c) 2024 Dow Jones & Company, Inc.