Kommentar
00:00 Uhr, 09.09.2011

Aktien sind preiswert . . . aus gutem Grund!

Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten. Niemals zuvor fuhren Unternehmen derartig hohe Gewinne ein.

Und dennoch waren die Renditen auf Staatsanleihen niemals niedriger. Hätte früher jemand vorhergesagt, dass diese beiden Rekordentwicklungen zeitgleich stattfinden, hätte man ihn für verrückt erklärt. Denn schließlich deutet das eine auf ein gesundes wirtschaftliches Umfeld und das andere auf Deflation bzw. Rezession hin. Die widrigen Ereignisse, die diesem seltsamen Phänomen vorausgingen, haben dazu geführt, dass Anleger Aktien en gros abstießen. Dadurch sind diese Werte jetzt ausgesprochen preiswert. Haben die Märkte überreagiert? Kann man an den Aktienmärkten jetzt wieder Schnäppchen schlagen?

Momentan eskomptieren die Aktienmärkte mit rund 50%iger Wahrscheinlichkeit eine Rezession in der westlichen Welt sowie ein Nullwachstum für 2012. Bei Bundesanleihen und US Treasuries mit Renditen von unter 2 Prozent lassen sich Anleiheinvestoren ihre Rezessionsängste nicht ausreden. Am anderen Ende des Spektrums lassen sich die Aktienanalysten nervtötend lange Zeit, die Marktsignale wahrzunehmen. Zwar passen sie ihre Prognosen nach unten an, erwarten aber dennoch für 2012 einen Anstieg der Unternehmensgewinne weltweit um über 10 Prozent. Mit anderen Worten: Sie erwarten ein anhaltend kräftiges Wirtschaftswachstum. Haben sie recht, so heißt es: Aktien kaufen! Wir meinen jedoch, dass sie falschliegen.

Der ewige Optimismus der Aktienanalysten mag sich noch als gerechtfertigt erweisen, das würde indes ein sofortiges Ende der politischen Querelen auf beiden Seiten des Atlantiks voraussetzen. Derzeit erscheint es – vor allem in der Eurozone – als äußerst ungewiss, dass Investoren die von ihnen herbeigesehnte fiskalpolitische Klarheit in Bälde erleben werden. Das Stichwort lautet „durchwurschteln“ und die extrem niedrigen Anleiherenditen in den Kernländern tragen dazu bei, die Dringlichkeit der Lage zu kaschieren. Gleichzeitig lähmt die Politik der Durchwurschtelei allmählich das Bankensystem, was die volkswirtschaftliche Entwicklung insgesamt bremst.

Es besteht ein zunehmendes Risiko, dass die westlichen Volkswirtschaften 2012 ein nur schwaches oder sogar negatives Wachstum erleben und die Unternehmenserträge diese Entwicklung widerspiegeln werden. Sollte das der Fall sein, sind Aktien nicht so preiswert, wie es den Anschein hat. So werden Aktien derzeit immer noch um über 20 Prozent höher bewertet als auf der Talsohle des vorherigen Bärenmarktes. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Unternehmensbilanzen jetzt solider ausschauen als zu Beginn der Rezession von 2008/2009. Mit anderen Worten: Bei einer Rezession würde das Abwärtsrisiko von Aktien bei 20 Prozent liegen . . . und umgekehrt – bei einer wirtschaftlichen Entspannung – betrüge das Aufwärtsrisiko ebenfalls 20 Prozent.

Mittlerweile weisen die verschiedenen Sektoren am Aktienmarkt ein breites Spektrum von Risiko-Ertrags-Relationen auf. Die Bewertung von Finanzunternehmen – nach wie vor der größte Sektor – hängt zunehmend von der politischen Entwicklung ab. Zwar erscheinen diese Werte bei Zugrundelegung herkömmlicher fundamentaler Maßstäbe als sehr preiswert, doch sie neigen dazu, weniger auf die Entscheidungen ihrer Geschäftsführungen, sondern vielmehr auf die politischen Entscheidungen von Staatsschuldnern mit dramatischen Kursschwankungen zu reagieren. Von den jüngsten Ausverkäufen waren vor allem konjunkturabhängige Unternehmen betroffen und dennoch preist man noch keine Rezession ein. In diesem Segment ziehen wir Rohstoffproduzenten vor, da diese stärker von der Wachstumsentwicklung in den Schwellenländern als in den Industrieländern beeinflusst werden. Im konjunkturunabhängigen Sektor – den wir nach wie vor favorisieren – sind international tätige Lebensmittel- und Getränkehersteller sowie Pharmaunternehmen am besten positioniert, jedenfalls besser als Versorger und Telcos, die nur ihre heimischen Märkte bedienen.

Insgesamt bleiben wir bei unserer eher vorsichtigen Herangehensweise an Aktien, wenn auch die Bewertungen immer attraktiver werden. Solange die USA und die Eurozone entschlossene fiskalpolitische Maßnahmen weiter hinausschieben, wird die Lähmung von Bankensystem und Volkswirtschaft anhalten. Die Aktienmärkte geben ein deutliches Zeichen. Wir hoffen, dass die politischen Entscheidungsträger es nicht ignorieren werden.

Ad van Tiggelen, Senior Investment Specialist, Investment Content Management bei ING Investment Management, Den Haag

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