Kommentar
10:43 Uhr, 17.08.2011

„2012 wird die Energiesparverordnung verschärft“

Interview mit Dr. Roland Gellert, Geschäftsführer des Forschungsinstituts für Wärmeschutz e.V.:

Aufgrund von gesetzlichen Vorschriften zeigen die Aktienkurse von Dämmstoffherstellern kontinuierlich nach oben. "Nachhaltigkeit & Investment" hat den Leiter von Deutschlands führendem Institut für Dämmstoffe gefragt, wie die Entwicklung der Branche weitergeht.

Ist es absehbar, dass die Politik die Verordnungen zur Energieeffizienz und Wärmedämmung weiter verschärft?

Ja, das ist abzusehen. Zum einen hat die Bundesregierung einen Schwerpunkt ihrer Energie- und Klimapolitik auf den Gebäudebereich gelegt. Im Energiekonzept der Bundesregierung wird unterstellt, dass der Primärenergiebedarf des Gebäudebestands bis 2020 um 20 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent reduziert werden soll. Ziel ist es, bis 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu schaffen. Um diese Ziele zu erreichen, soll 2012 eine Verschärfung der Energieeinsparverordnung – EnEV 2012 – in Kraft treten. Wie genau diese Verschärfung aussehen soll, wird derweilen noch diskutiert.

Auch von Seiten der Europäischen Union werden die Anstrengungen für die energetische Sanierung von Gebäuden intensiviert. Mit der novellierten Gebäuderichtlinie, die 2010 verabschiedet wurde, werden ehrgeizige Ziele zur Energieeffizienz gesteckt. So sollen unter anderem bis 2021 alle Neubauten Niedrigstenergiehäuser werden, deren Energiebedarf bei fast Null liegt. Energieausweise müssen bei gewerblichen oder privaten Wohnungsanzeigen verpflichtend veröffentlicht werden, gleichzeitig müssen die Mitgliedsstaaten ein Kontrollsystem für die Qualitätssicherung der Ausweise einführen.

Wie viele Wohngebäude und wie viele Verwaltungs-, Gewerbe- und Kulturbauten müssen in Deutschland saniert werden?

In Deutschland gibt es rund 18 Mio Wohngebäude und ca. 1,5 Mio Nichtwohngebäude.Rund 10-15 Prozent der Wohngebäude sind vollständig energetisch saniert, d. h. mindestens auf dem Niveau der Anforderungen der Wärmeschutz verordnung von 1995. Etwa 85 bis 90 Prozent der Wohngebäude sind nur teilweise oder gar nicht energetisch saniert. Die schlechtesten 25 Prozent der Wohngebäude verbrauchen ca. mehr als vier bis fünf Mal so viel Energie wie ein durchschnittlicher Neubau oder ein gut sanierter Altbau. Umgekehrt heißt das: Ein energetisch sehr gut sanierter Altbau verbraucht etwa 80 Prozent weniger Energie als ein vergleichbares unsaniertes Gebäude. Zu den Nichtwohngebäuden liegen uns keine belastbaren Zahlen bezüglich des energetischen Zustands vor.

Welcher Prozentsatz dieser Gebäude soll jährlich als Untergrenze energetisch saniert werden? Welcher Prozentsatz bei der energetischen Sanierung wird derzeit erreicht?

Um die Ziele der Bundesregierung zu erreichen – klimaneutraler Gebäudebestand bis 2050 –, muss eine jährliche Sanierungsquote von zwei Prozent erzielt werden. Die momentane Sanierungsrate liegt jedoch bei nur rund 1,1 Prozent. Hält dieses Tempo an, würde es noch rund 70 bis 80 Jahre dauern, bis alle Häuser saniert sind. Eine Verdopplung der Gebäudesanierungsrate ist notwendig.

Wohin geht Ihrer Beobachtung nach der Trend bei den Dämmstoffherstellern?

Die Hersteller packen zum einen mehr Leistung in das Produkt – optimiert für das jeweilige Anwendungsgebiet. Das gilt insbesondere für die Wärmeleitfähigkeit, um die Einbaudicke möglichst gering zu halten – aber auch für z. B. die Wasseraufnahme für Anwendungen im Perimeterdämmbereich; sprich Kellerwände. Zum anderen stehen verstärkt ökologische Anforderungen im Fokus der Produktweiterentwicklung, d.h. kritische Inhaltsstoffe werden substituiert. Vermehrt werden auch Systemlösungen dem Markt angeboten: z.B. für den Steildachbereich Kombinationen von Dämmstoffen, Folien und Klebebändern. Produkte speziell für das Anwendungsgebiet „Innendämmung“ – geringe Einbaudicke durch sehr niedrige Wärmeleitfähigkeit und sehr geringe Emissionen von flüchtigen Substanzen – werden verstärkt in den Markt gebracht.

Welche Marktfaktoren müssen Dämmstoffhersteller bei der Produktion im Blick behalten?

Eine größere Segmentierung und Ausweitung des eigenen Sortimentes wird das Marketing verlangen, da die Kunden für jede Anwendung optimierte Produkte wünschen. Dieses führt zu größerer Komplexität in der Produktion, u.a. bei der Qualitätskontrolle, und im Vertrieb – und zu einer aufwändigeren Lagerhaltung.

Wie schätzen Sie die Zukunft der Dämmstoffsparte ein?
Ich rechne mit einem positiven Wachstum von drei bis vier Prozent pro annum.

DIE FRAGEN STELLTE HELGE REHBEIN.

Dieser Artikel ist zusammen mit einem Beitrag über die Kursgewinne von Dämmstoffherstellern in unserer Sonderpublikation "Nachhaltigkeit & Investment" erschienen. Weitere spannende Themen können Sie nach einer kurzen kostenfreien Anmeldung hier herunterladen.

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